Balve. Die Briten wollen 1947 die Balver Höhle sprengen. Doch Organist Theodor Pröpper hat einen Plan. Anfangs spricht alles gegen ihn.
Es schien Ruhe einzukehren in Balve, damals im Juli 1947, zweieinhalb Jahre nach Kriegsende. Amtsdirektor Franz Rips, damals 33, hat eine Besprechung mit Vertretern des Reichsbauamtes Dortmund. Rips ist gerade mal 15 Monaten im Amt. Seine Mission: Ein Mann räumt auf. Arbeit gibt es satt.
+++ BALVER HÖHLE: DIE ANGST DER BRITEN VOR GEHEIMER AUFRÜSTUNG +++
Die britische Militärregierung hat ein besonderes Auge auf die Balver Höhle. Sie hat im Krieg als geheimer Rüstungsbetrieb gedient. Ringfedern sind dort gebaut worden, für die Uerdinger Waggonfabrik. Das Unternehmen gilt als führender Hersteller von Schienenfahrzeugen, wichtig im Frieden, noch wichtiger im Krieg. Die deutschen Behördenvertreter gehen davon aus, dass die Maschinen aus der Höhle weg sollen. Der Plan: Die Stadt Balve kümmert sich drum. Doch es soll anders kommen.
+++ THEODOR PRÖPPER: SO FEIERT BALVE DEN 40. TODESTAG +++
Die Abbrucharbeiten haben kaum begonnen, da erscheinen laut Historiker Frank Uekötter bei Rips drei Offiziere, zwei Belgier, ein Engländer. Sie stoppen die Arbeiten, erklären, sie allein seien künftig dafür verantwortlich, ein Angebot der Stadt Balve zur Zusammenarbeit lehnen sie ab. Der Stadtspitze bleiben die Offiziere laut Uekötter wortkarg, nicht jedoch gegenüber „anderen Personen“. Ein böses Gerücht kursiert: Die Höhle solle, so heißt es, gesprengt werden. Balve ist in Alarmstimmung.
+++ 75 JAHRE RETTUNG BALVER HÖHLE: EIN KLEINES WUNDER +++
Dunkle Ahnung, finstere Gewissheit
In Arnsberg, im britischen Hauptquartier für die Region, wird für Rips und Bürgermeister Wilhelm Hertin aus dunklen Ahnungen finstere Gewissheit. Sie erfahren, die Balver Höhle sei dem alliierten Kontrollrat „als kriegswirtschaftliche Anlage“ gemeldet. Der Kontrollrat habe „eine Beseitigung der Höhle“ gefordert; er fürchtet auf deutscher Seite, wie nach dem Ersten Weltkrieg, geheime Wiederaufrüstung. Was tun?
+++ THEODOR PRÖPPER - BALVER WAR DER SPIELMANN GOTTES +++
Die Heimwacht kennt die Gerüchte, Fakten kennt sie nicht, noch nicht. Am 26. August 1947 tagt der Vorstand der einflussreichen heimischen Kulturvereins, abends um „1/2 9“ beim Vorsitzender Theodor Pröpper. Kurz zuvor, gegen 18 Uhr, hat er erfahren, „daß das Gerücht über eine von der Militärregierung geplante Sprengung der Balver Höhle auf Wahrheit beruht“. So heißt es im Protokoll. Der heutige Ehrenvorsitzende Werner Ahrens hütet Dokumente wie diese wie einen Schatz. Die Heimwacht ist in Aufruhr, und Theodor Pröpper hat einen Plan. Wie sieht er aus?
Das Ziel ist klar: Die Heimwacht will die Sprengung verhindern. „Es sollen sofort mehrere entsprechende Eingaben an die verschiedensten Stellen gerichtet werden“, vermerkt das Protokoll. Theodor Pröpper fährt eine Doppelstrategie. Er sucht die Unterstützung der Öffentlichkeit. Sie soll bereits tags drauf im ehemaligen Hotel Kohne informiert werden. Noch in der Nacht werden Anschläge ausgehängt.
+++ BALVER HÖHLE: KRACHER AUS COVERBAND-SZENE +++
In der öffentlichen Versammlung wird eine „Denkschrift der Heimwacht Balve über die Bedeutung der Balver Höhle aus Anlaß der von der britischen Militärregierung geplanten Sprengung“ beschlossen. Organist Pröpper zieht rhetorisch alle Register. Er argumentiert mit der nachweislichen Bedeutung des Felsendoms für die Wissenschaft, für Biologen, Geologen, Historiker. Theodor Pröpper will offenkundig die britischen Besatzer beeindrucken. Die Höhle, schreibt er, sei „ein Objekt von internationaler Bedeutung“. Die Nutzung der Höhle als Rüstungsbetrieb stellt Theodor Pröpper als Entwicklung dar, die die Bevölkerung „aufs tiefste mißbilligt“ habe. Sie sei aber „machtlos“ gewesen. Theodor Pröpper droht den Briten indirekt. Eine Sprengung würde „in weiten Kreisen Verbitterung“ hervorrufen.
Appell an die Weltöffentlichkeit
Schließlich stellt er die Balver Höhle mit dem Kölner Dom sowie prähistorischen Stätten in anderen europäischen Ländern gleich. Er kommt, nicht ohne Pathos, zu dem Schluss, würde die Höhle gesprengt, „die Weltöffentlichkeit würde es nicht fassen“. Theodor Pröpper setzt bei seinem Verteiler gleich ganz oben an. Der Landtag des gerade gegründeten Landes Nordrhein-Westfalen wird angeschrieben, Landeskultusminister Werner Cohen, auch Heinrich Lübke gehört. Dass der spätere Bundespräsident damals NRW-Landwirtschaftsminister ist, stört die Heimwacht nicht. Das Kalkül: Heinrich Lübke kommt aus dem nahen Enkhausen bei Sundern. Der Christdemokrat ist Vertreter der Region. Neben Bezirksregierung und Kreistag wird auch die westfälische Kulturszene einbezogen.
Doch der Plan wirkt zunächst wie ein hoffnungsloses Unterfangen. Woher nimmt Theodor Pröpper sein Selbstbewusstsein, sich ausgerechnet gegen die Besatzungsmacht durchsetzen zu können?
+++ JIM KNOPF DAMPFT DURCH BALVER HÖHLE +++
Die Spurensuche der Westfalenpost führt ins Pfarrarchiv der St.-Blasius-Gemeinde. Der ehrenamtliche Archivar Rudolf Rath hat lebendige Erinnerungen an den Mann, der 1979 im Alter von 83 Jahren in seiner Heimatstadt Balve gestorben ist. Rudolf Rath, inzwischen 78, hat Theodor Pröpper als Schüler kennengelernt. Der Kirchenmusiker ist in der Gemeinde St. Blasius als Organist beschäftigt. Zu seinen zahlreichen Aufgaben zählen auch Schulmessen. „Er macht mit uns nach den Messen Übungen gemacht, damit wir die Lieder konnten“, erinnert sich Rudolf Rath.
Welchen Eindruck hat Theodor Pröpper hinterlassen? „Eine Lichtgestalt, bombastisch“, sagt der sonst so nüchterne Rudolf Rath, „unnahbar, einer, vor dem man Ehrfurcht hatte, der Mann, der auf der Straße immer einen schwarzen Hut mit einer riesigen Krempe trug, war einfach eine Ausnahmegestalt.“
Theodor Pröpper hat ein unerschütterliches Selbstbewusstsein. Der Kirchenmusiker ist auch Kommunalpolitiker. Er gehört dem Balver Rat bis 1934 an, politisch steht er dem Zentrum nahe. Kein Wunder, dass er nach Krieg beinahe zwangsläufig zu den Männern der Stunde null gehört.
Tatsächlich löst Theodor Pröpper mit seiner „Denkschrift“ eine breite Debatte aus. Selbst die Londoner Times soll, wie es später heißen wird, davon Notiz genommen haben. So gilt der per Telegramm am 27. September 1947 verkündete Verzicht auf die Sprengung der Höhle gemeinsam als Triumph von Theodor Pröpper.
Doch der ehrenamtliche Stadtarchivar Reimund Schulte will das so uneingeschränkt nicht stehen lassen. Und er kann seine Einschätzung belegen.