Balve. Vor 75 Jahren wäre fast Schluss mit lustig gewesen. Die britische Besatzungsmacht wollte Balves Höhle sprengen. Doch dann geschah ein Wunder.
Die frohe Botschaft war unscheinbar. Für sie reichten 49 Worte und ein Blatt Papier: ein Telegramm. Das Original ist kaum DIN-A-4-groß und längst vergilbt, die handschriftlichen Eintragungen verblasst. In dem Schreiben vom 19. September 1947 eröffnete Ministerialrat Dr. Josef Busly mit dem „Amtsdirektor Balve Krs Arnsberg Westf“, der Chef der britischen Besatzungsmacht General Lord Brian Robertson habe „mit dem gestrigen Tage entschiden dass die Balverhöhle nicht gesprengt wird“. Europas älteste Kulturhöhle war gerettet. Die großmütige britische Entscheidung jährt sich in diesem Jahr zum 75. Mal. Es ist die Geschichte eines kleinen Wunders.
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Das Telegramm besitzt in Balve längst den Stellenwert eines historischen Ikone. Werner Ahrens, Grafik-Legende und Ehrenvorsitzender der Heimwacht, hat das schlichte Stück fotorealistisch vergrößert. Das Gemälde hängt im Amtszimmer vom Bürgermeister Hubertus Mühling. Er sieht es vom Schreibtisch aus jederzeit.
Ein Repro des Telegramms besitzt auch sein Stellvertreter im Rathaus. Bei einem Gespräch mit der Westfalenpost in seinen Arbeitszimmer zückt Michael Bathe ein klarsichtgehülltes Dokument. Die laminierte Eilmeldung braucht er für eine ehrenamtliche Nebentätigkeit. Michael Bathe ist Höhlenführer. Bei Führungen von Besuchergruppen gilt: Hören ist Silber, Sehen ist Gold. Der Balver Junge kennt Historie und Histörchen rund um den Felsendom. Nicht alles ist amüsant. Die Höhle steht auch für dunkle Seiten der heimischen Zeitgeschichte. „Es sind noch so viele Fragen offen“, gesteht Michael Bathe.
Eine nahe liegende Frage lautet: Was ist von dem Plan der Briten, die Kalkstein-Arena kurzerhand in die Luft zu jagen, sonst noch zu sehen?
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In Balve heißt es noch immer, die Sprengung des Felsendoms sei in letzter Minute gestoppt worden. Ein Zeitungsbericht von 1957 behauptet: „Dynamitpatronen waren schon angebracht.“ Einen Beweis indes liefert die knappe Meldung nicht. Schützen-Chronist Franz Gercken jedoch hielt die Darstellung, wie der damalige Zeitgeist, für wahr. Das geht aus seiner Festschrift „333 Jahre Schützenbruderschaft St. Sebastian Balve e.V.“ hervor. Was ist dran an der Behauptung?
Balves Schützen-Geschäftsführer Thomas Scholz ist der Sache nachgegangen. „Nach jetzigem Stand ist es so: Es sind keine Bohrlöcher mehr ersichtlich“, berichtet er. „Die Löcher, die man im Höhlengewölbe sehen kann, sind sämtlich von der Bruderschaft beauftragt worden und von einer Fachfirma in die Höhlenwand hineingetrieben worden. Dort wurde der Vogel positioniert, und dort wurden Regalsystem angehängt.“
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Fakt aber ist: Soldaten der Rhein-Armee – Disarmament Branch, Kreis Group 14, im Headquarter Arnsberg – hatten die Sprengung vor General Robertsons Kehrtwende bereits vorbereitet. Thomas Scholz hat eine Vorstellung davon, was damals geplant war: „Es gab keinen Grund, die Bohrlöcher zu verfüllen. Bohrlöcher für Dynamitpatronen haben die Größe von Zwei-Euro-Stücken; sie müssten deutlich sichtbar sein. Deshalb vermute ich, dass die Sprengladung auf dem Gestein platziert war.“
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Den Briten dürfte bei ihrer Entscheidung nicht wohl gewesen sein. Der Balver Amtsdirektor wird „ausdruecklich gebeten von einer Veroeffentlichung diser Mitteilung vorerst Abstand zu nehmen“. Die Briten wollten die Hoheit über ihre Pressemitteilungen behalten.
Ein Ultimatum und eine Drohung
Mehr noch: Nur wenige Tage nach dem Telegramm, am 30. September 1947, schob die Rhein-Armee Ausführungsbestimmungen in Deutsch und Englisch nach. Die Stadt wurde mit dem Rückbau der Höhle in den Vorkriegszustand beauftragt. Immerhin: „Die Kosten für die anfallenden Arbeiten werden der Stadt Balve zurückerstattet.“ Allerdings war das Schreiben mit einem Ultimatum und einer Drohung versehen. Die Arbeiten sollten bis zum 15. November 1947 abgeschlossen sein: „Falls Sie dieses nicht befolgen, werden unverzüglich Anordnungen getroffen, die Neutralisierung der Höhle durch Sprengungen vervollständigen.“
Damit hatte Balve ein Problem, wie Adalbert Allhoff-Cramer vom Naturhistorischen Verein Hönnetal weiß: „Die Termine waren nicht einzuhalten. Also wurden die Betonfundamente kurzerhand an den Vorplatz gekippt, gegen die Anweisung der Engländer. Da liegen sie heute noch.“
So großzügig sie am Ende waren, so zornig waren sie am Anfang. Aber welchen Grund hatten die Engländer für die Operation Dynamit?Fortsetzung folgt