Balve/Düsseldorf. Die Briten hatten Angst vor geheimer Wiederaufrüstung, die Balver Angst um ihre Höhle. Die Sprengung schien 1947 unausweichlich.

Die Drohung aus Düsseldorf schürt Angst im Hönnetal. General Lord Brian Robertson hat die Sprengung der Balver Höhle verfügt. Balve fürchtet um Europas älteste Kulturhöhle – und seinen Kulturtempel. Was, bitte, hat Robertson in Rage gebracht?

Hans-Hermann Hochkeppel, Heimathistoriker (Archiv)
Hans-Hermann Hochkeppel, Heimathistoriker (Archiv) © WP | richard ELMERHAUS

Bilder sprechen zuweilen lauter als Worte. Das gilt für das berühmte Telegramm der britischen Besatzungsmacht, auf die geplante Sprengung zu verzichten. Das gilt mindestens genauso sehr für das Foto der zugemauerten Höhle, das wie ein Gegenentwurf zur romantischen Atmosphäre des späten 19. Jahrhunderts steht. Das Mauer-Bild ist nach Kriegsende entstanden – als der Bevölkerung wieder Filme und Fotoapparate zur Verfügung stehen. Die Fassade steht noch. Fenster und Türen indes sind raus. Was hat sich hinter der Mauer befunden?

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Heimische Historiker sind sich einig, dass die Nazis den Felsendom zu militärischen Zwecken genutzt haben. Hans-Hermann Hochkeppel: „Derist an der Höhle nicht spurlos vorübergegangen. Vor der Höhle waren vorübergehend Flakgeschütze postiert. Hinter dem mit Tannengrün getarnten Eingang wurde ein Militärdepot angelegt. Der Einzug der Uerdinger Waggonfabrik als Rüstungsbetrieb für Motoren in die Balver Höhle führte zu baulichen Maßnahmen, die das bis dahin im wesentlichen naturbelassene Höhleninnere und -äußere geradezu entstellte.“ Was ist passiert?

Höhlenromantik, 1897
Höhlenromantik, 1897 © WP | Sven Paul

Der Höhleneingang wird kurzerhand zugemauert, der Boden eingeebnet. Der Grund ist naheliegend. In der Höhle sollen Maschinen Platz finden. Das ist noch nicht alles. Die sogenannte Kapelle im Dechenarm erhält „aus Sicherheitsgründen“ (Hochkeppel) eine hohe Beton-Steinmauer. Wer hat diesen Knochen-Job gemacht?

Gefangene trieben durch den Fels einen Tunnel zum Haus Sauer, dem damaligen Verwaltungsgebäude des Betriebes“, notiert sich Hochkeppel. „In der nun bombengeschützten unterirdischen Fabrik arbeiteten bis zu 500 russische und französische Zwangsarbeiter – vorwiegend Frauen – unter entwürdigenden Umständen. Sie waren im ,Lager Sanssouci’ untergebracht. Dokumentierte Zeugenaussagen berichten von grausamen Behandlungsmethoden.“

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Adalbert Allhoff-Cramer vom Naturhistorischen Verein Hönnetal berichtet, viele Zwangsarbeiter seien getötet worden, verhungert. Auch von tödlichen Unfällen ist die Rede. Als offizielle Todesursache sei beim Standesamt Balve stets „Herzmuskellähmung“ angegeben worden. Ab Jahreswechsel 1944/1945 seien sie komplett unterblieben.

Firmlinge reinigen 25 Gräber von russischen Kriegsgefangenen in Beckum. Sie waren als Zwangsarbeiter im Hönnetal eingesetzt.
Firmlinge reinigen 25 Gräber von russischen Kriegsgefangenen in Beckum. Sie waren als Zwangsarbeiter im Hönnetal eingesetzt. © WP | Sven Paul

Der Arnsberger Medizinalrat Josef Mahr indes gibt laut Allhoff-Cramer als Todesursache „Hungertod“ an. Das gehe aus einem Bericht über die Verhältnisse im Lager Sanssouci vom 9. Januar 1945 hervor.

Mahr schreibt: „Das Lager befindet sich in Baracken, die in dem am Bahnhof Sanssouci im Amt Balve gelegenen Steinbruch erstellt sind. Diese Personen arbeiten im Hönnetal und werden täglich mit der Hönnetalbahn, nicht getrennt von deutschen Volksgenossen, zu ihren Arbeitsplätzen transportiert. Die Unterbringung der Ostarbeiter ist eine äußerst primitive. Sämtliche Räume sind überbelegt; die Leute liegen, wie das Lagerpersonal sich selbst ausdrückte, wie ,die Heringe’. Von den 400 Lagerinsassen waren am Besichtigungstage 115 krank.“ Mahr erwähnt Hungerödeme, Läuse und Fleckfiebergefahr. Ein Teil der Zwangsarbeiter „dürfte in der nächsten Zeit sterben“.

Doch dann kommt alles anders

Die Vorständler des NHV Andreas Löbel, Dirk Dürrschmidt und Adalbert Allhoff-Cramer (von links) arbeiten an einer zweiten Auflage des Hönnebuchs, hier bei einem Redaktionsbesuch. Der NHV arbeitet die Geschichte des Hönnetals in allen Facetten auf, NS-Zeit inklusive.
Die Vorständler des NHV Andreas Löbel, Dirk Dürrschmidt und Adalbert Allhoff-Cramer (von links) arbeiten an einer zweiten Auflage des Hönnebuchs, hier bei einem Redaktionsbesuch. Der NHV arbeitet die Geschichte des Hönnetals in allen Facetten auf, NS-Zeit inklusive. © WP | jürgen overkott

Die US-Army besetzt Balve am 12. und 13. April 1945. Die Überlebenden werden befreit. Bis Ende Juni kommt es zu gewalttätigen Racheakten. Schließlich greift die britische Besatzungsmacht ein. Welches Ziel verfolgt General Robertson, der für den Aufbau des neuen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen verantwortlich ist?

„Wenn früher der Vorwurf erhoben wurde, dass die Industriemacht der Ruhr das Rückgrat der deutschen Kriegsmaschine gewesen sei, so muss darauf in der Zukunft die Antwort lauten, dass jetzt die Ruhr einen wichtigen Bestandteil der europäischen Friedensmaschine darstellt. Wir bieten Ihnen unseren guten Willen und unsere Zusammenarbeit an“, erklärt Robertson 1946. Das erklärt allerdings nicht seinen Plan, die Balver Höhle zu sprengen. Eindeutige Quellen liegen der Westfalenpost nicht vor.

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Doch eine hilfreiche Spur führt zum Leibniz-Zentrum für Zeitgeschichtliche Forschung in Potsdam. Dort arbeitet Dr. Elke Kimmel. Sie erklärt den britischen Plan mit Rückzug auf Erfahrungen aus der Zeit der Weimarer Republik. Das Deutsche Reich hat damals die im Versailler Vertrag verfügte weitgehende Entmilitarisierung kurzerhand unterlaufen. Kimmel: „In der Weimarer Republik sind sehr viele Waffen geheim gehortet worden. Das hat sehr viel damit zu tun, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg auf britischer Seite Vorbehalte gab. Sie haben erlebt, dass die Nazis ordentlich was an Waffen hatten.“

So scheint die britische Operation Dynamit unaufhaltsam. Sie zu stoppen zu wollen wirkt unmöglich. Doch dann kommt alles anders.