Winterberg. Der Wolf ist im Sauerland längst heimisch, sagt Michael Keuthen. Der Naturexperte über die Rückkehr der Wölfe: „Wir dürfen nicht naiv sein.“

Michael Keuthen ist pensionierter Revierförster und Experte für die sauerländische Natur- und Regionalgeschichte und er hat eine klare Meinung zu Wölfen, Wisenten und dem Klimawandel. In Borgs Scheune in Winterberg-Züschen will der Oberkirchener jetzt sein Publikum mit auf eine spannende Reise durch die Wälder, die Tierwelt und die Klimageschichte des Rothaargebirges nehmen.

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Die Rückkehr verlorener Tierarten

Im Mittelpunkt des Abends steht sein Buch „Wälder, Wölfe und Wisente im Rothaargebirge“, in dem er auf 30 Jahre Erfahrung als Forstmann zurückblickt. Im Gespräch mit der Westfalenpost erklärt er, was ihn zur Veröffentlichung bewegt hat und welche Herausforderungen die Region besonders beschäftigen.

Ein Zeitdokument aus erster Hand

„Ich wollte ein Zeitdokument schaffen“, sagt Keuthen. „Viele Bücher über Wald und Wild stammen von Autoren ohne praktische Erfahrung. Mir war es wichtig, die Realität aus meiner Sicht als Revierförster darzustellen.“ Seine Notizen und Beobachtungen sammelte er nach seiner Pensionierung und veröffentlichte sie 2020 als Buch. Nach einer Überarbeitung wurde es 2024 neu herausgegeben. Es behandelt die Waldentwicklung im Sauerland, Ansiedlungs- und Wiederansiedlungsprojekte sowie die natürliche Rückkehr einst verlorener Tierarten. Auch die klimatischen Veränderungen in der Region sind ein zentrales Thema.

In der Mitte dieser Weide am Ortsrand von Hallenberg wurde 2023 ein Lamm von einem Wolf gerissen.
In der Mitte dieser Weide am Ortsrand von Hallenberg wurde 2023 ein Lamm von einem Wolf gerissen. © WP | Rita Maurer

Die Rückkehr des Wolfes

Ein besonders kontroverses Kapitel ist die Rückkehr des Wolfes ins Sauerland. Keuthen geht von einer hohen Dunkelziffer bei den Sichtungen aus: „Viele Menschen melden Wolfssichtungen nicht, weil sie beunruhigt sind oder Konsequenzen fürchten.“ Der Wolf sei ein Wanderer, der längst zur heimischen Tierwelt gehöre. Dennoch betont Keuthen die Notwendigkeit eines Managementplans: „Wie bei Fuchs oder Rotwild müssen wir auch beim Wolf eingreifen und, wenn es notwendig wird, Tiere entnehmen.“

Obwohl Wolfsangriffe auf Menschen selten sind, warnt Keuthen vor Gefahren wie Tollwut und der Habituation, also der Gewöhnung des Wolfes an den Menschen. „In anderen Teilen der Welt gibt es dokumentierte Angriffe. Wir dürfen nicht naiv sein, sondern müssen die Entwicklung genau beobachten.“ Auch für Weidetierhalter stelle der Wolf eine Herausforderung dar, da Nutztiere wie Schafe und Ziegen immer wieder gerissen würden. Die Politik müsse Lösungen finden, um eine Balance zwischen Naturschutz und landwirtschaftlichen Interessen zu schaffen.

Wisente bei Bad Berleburg.
Ein Wisent im Juli 2024 in der Fangstation bei Bad Berleburg. Der Wiederansiedlung steht Keuthen skeptisch gegenüber. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Das gescheiterte Wisent-Projekt

Skeptisch steht Keuthen der Wiederansiedlung der Wisente im Rothaargebirge gegenüber. „Es war ein Projekt mit guten Absichten, doch die Umsetzung war mangelhaft“, sagt er. Frühe Gutachten, die Bedenken äußerten, seien ignoriert worden, und die Konflikte mit Waldbesitzern hätten sich immer weiter zugespitzt. „Die Tiere schälen Bäume und verändern das Ökosystem auf eine Weise, die nicht immer positiv ist. Sie gestalten ihren Lebensraum selbst – und das bedeutet weniger Wald, als es hier üblich ist.“

Michael Keuthen
Michael Keuthen wollte mit seinem Buch ein Zeitdokument erschaffen. © WP | Bastian Honekamp

Zudem sei das Projekt von Beginn an mit strukturellen Problemen behaftet gewesen. Fehlendes Monitoring, mangelnde Kontrolle und unzureichende Maßnahmen zur Konfliktvermeidung hätten letztlich dazu geführt, dass ein eigentlich vielversprechendes Konzept ins Stocken geriet. Ein Gericht entschied schließlich, dass das Projekt in dieser Form nicht fortgeführt werden durfte. „Heute bleibt nur noch das Schaugehege – und die Frage, was mit den verbliebenen Wisenten geschehen soll.“ Keuthen sieht darin eine Lehre für zukünftige Projekte: „Gute Absichten reichen nicht. Eine nachhaltige Strategie, wissenschaftliche Begleitung und das Einbeziehen aller Betroffenen sind entscheidend für den Erfolg solcher Vorhaben.“

So soll der Wald der Zukunft aussehen

Auch der Klimawandel spielt in Keuthens Betrachtungen eine große Rolle. Seit 1990 führt er eigene Wetteraufzeichnungen am Kahlen Asten und hat damit eine gesamte Klimaperiode (1991–2020) dokumentiert. Seine Daten bestätigen, was Wissenschaftler weltweit berichten: „Wir haben zehn Prozent weniger Niederschlag und einen Temperaturanstieg von über einem Grad in der Vegetationsperiode. Selbst wer nicht an den menschengemachten Klimawandel glaubt, muss sich auf Veränderungen einstellen.“

Borkenkäfer
Ein Borkenkäfer läuft auf einer befallenen Fichte. © DPA Images | Michael Reichel

Borkenkäfer und Waldbrandgefahr

Diese Entwicklungen führten bereits zu häufigeren Orkanereignissen, Borkenkäferplagen und einer steigenden Waldbrandgefahr. „Die Veränderungen sind nicht mehr zu übersehen, und wir müssen dringend umdenken“, mahnt Keuthen. Früher galten Orkane als Jahrhundertereignisse, heute treten sie in deutlich kürzeren Abständen auf. Für Keuthen ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch in unserer Region große Waldbrände auftreten. „Bisher hatten wir Glück, dass es außer einem größeren Brand bei Stemel am Sorpesee keine großen Feuer gab.“

Sein Fazit: „Der Wald der Zukunft muss aus standortgerechten Baumarten bestehen. Heimisch oder nicht heimisch spielt keine Rolle – entscheidend ist, was in der jeweiligen Region überleben kann.“ Statt auf rein ökonomische Aspekte zu setzen, müssten klimaresistente Mischwälder geschaffen werden, um den Wald langfristig zu erhalten.

Wolf
Keuthen geht von einer hohen Dunkelziffer bei den Sichtungen von Wölfen aus. © DPA Images | Bernd Weißbrod

Informieren statt missionieren

„Ich will niemanden missionieren“, betont Keuthen. „Es geht mir darum, den Menschen Fakten zu liefern, damit sie sich selbst eine fundierte Meinung bilden können.“ Sein Vortrag am 6. Februar wird genau das tun: eine sachliche Auseinandersetzung mit den Herausforderungen, denen sich Natur und Mensch im Sauerland stellen müssen – und die Möglichkeit für Besucherinnen und Besucher, mit Michael Keuthen ins Gespräch zu kommen.

Die Veranstaltung in Borgs Scheune soll nicht nur einen spannenden Einblick in die Wild- und Waldentwicklung des Rothaargebirges bieten, sondern auch eine Gelegenheit für Interessierte sein, sich mit einem Fachmann auszutauschen und fundierte Informationen aus erster Hand zu erhalten. Los geht es am Donnerstag, 6. Februar, ab 19 Uhr in Borgs Scheune in Züschen. Der Einlass beginnt um 18.30 Uhr, der Eintritt beträgt drei Euro.