Brilon. In Brilon entsteht ein Friedhof der Zukunft: Er wird nicht nur auf die Funktion als „Ort der Tränen“ reduziert, sondern bekommt ein neues Konzept
„Uns ist es wichtig, dass sich die Menschen hier wohlfühlen“, sagt Moritz Büsing. So ein Satz auf einem Friedhof ausgesprochen, könnte leicht missverstanden werden. Obwohl: Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass die letzte Ruhestätte auch eine entsprechende Atmosphäre und ihren Charme hat. Dass das in Brilon so ist, dafür sorgen Büsing und die Gärtnergruppe der Caritas-Werkstätten St. Martin. Sie tun das das ganze Jahr über und nicht nur vor den anstehenden stillen Tagen, an denen viele Menschen ihre verstorbenen Angehörigen besuchen und ihrer gedenken.
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Friedhof ändert sich, weil sich die Menschen, deren Lebensumstände und ihre Einstellungen zu Traditionen - und vielleicht sogar zum Tod - ändern. „Ich glaube, dass wir gerade dabei sind, das Thema Friedhof neu zu denken und uns von alten Rastern zu verabschieden“, sagt Büsing. Gut zwei Drittel aller Bestattungen in Brilon seien inzwischen Urnenbegräbnisse. Dahinter stecke oft der Gedanke, seinen Hinterbliebenen mit der Grabpflege nicht zur Last zu fallen. Aber Friedhof werde auch mehr und mehr zu einem positiv belegten Ort.
Das stimmt. Er wird nicht mehr als ständiges Mahnmal für den Tod gemieden, er wird ein Ort der Begegnung, der Begegnung von Menschen mit anderen oder mit ihrer Vergangenheit. Friedhof bekommt mehr und mehr einen Park-Charakter, wird damit nicht nur zwangsläufiger Aufenthaltsort für Verstorbene, sondern freiwilliger Ort der Ruhe mit Aufenthaltsqualität – für Lebende. Und das spürt man beim Gang entlang der Grabfelder. „Wir treffen immer wieder Leute, die sagen, wie schön wir das alles angelegt haben. So eine positive Resonanz tut gut“, sagt Sebastian Emde, Beschäftigter in der Friedhofsgruppe.
Friedhof als Bildungsort
Dass der Friedhof in Brilon – er liegt in Trägerschaft der evangelischen und katholischen Gemeinde sowie der Stadt - zugleich seit 36 Jahren ein lebendiger Bildungsort ist, liegt an der weit und breit eher unkonventionellen Beziehung, die der Caritasverband Brilon zu ihm hat. Seit fast vier Jahrzehnten pflegt die Friedhofsgruppe der Caritas Werkstätten St. Martin den parkähnlichen Ort.
„In kleinen Schritten mit vielen Möglichkeiten können Menschen mit Behinderungen ihre Fähigkeiten entdecken, Neues erlernen und Selbstsicherheit gewinnen, auch um den Schritt auf den ersten Arbeitsmarkt zu wagen“, sagt Moritz Büsing. Seit 36 Jahren ermöglicht der Einsatz auf dem Gräberfeld die Teilhabe am Arbeitsleben, was zu dem gesetzlichen Auftrag der Caritas-Werkstätten gehört. „Unsere Truppe bestand schon aus 13 Leuten; momentan sind es sechs oder sieben. Das ist aber auch ein gutes Zeichen, weil wir viele für den ersten Arbeitsmarkt fit machen konnten“, so Büsing.
Die Arbeiten sind facettenreich. Auch die Vorbereitungen für die Beisetzungen gehören dazu. Insgesamt 159 Bestattungen wurden in 2023 (172 in 2022) durchgeführt, davon 98 katholische, 58 evangelische und 3 konfessionslose. Diese verteilen sich wiederum auf 38 Erdbestattungen, 3 Kindergräber, 63 Urnengräber, 33 Plätze in der Urnenwand und 43 Baumurnengräber. In 2023 hat das Friedhofs-Team 101 Grabeinebnungen durchgeführt – genau so viele wie im Jahr zuvor.
Ja, es gibt sie an vielen Stellen trotzdem noch: die strenge Liegeordnung, die mit dem Lineal auf dem Reißbrett geplante, preußisch-korrekte Flächeneinteilung. Grab an Grab, Stein an Stein, Kreuz an Kreuz, dazwischen von Unkraut befreite Randsteifen. Aber es geht auch anders. Längst sind Rasengräber gang und gäbe, wo nur noch eine Steinplatte auf Grasnarbenniveau an einen Verstorbenen erinnert. „Vor einigen Jahren haben wir hier die erste Baum-Urnen-Grabfläche geschaffen“, sagt Moritz Büsing und lenkt den Blick auf eine fast kreisrunde, etwa 25 Quadratmeter große Anlage unter einem stattlichen Ahorn mit etwa 30 Grabplatten. Gut und gerne 100 Urnen, die konzentrisch in Form von 30 Gräbern um den Baumstamm angeordnet sind, finden hier in der Erde Platz. Bis zu drei Urnen kann ein Grab aufnehmen. Drei Skatfreunde für immer unter sich, eine Familie über den Tod hinaus vereint? Und das alles im Schutz eines Baumes und inmitten von Hirschzungenfarn, Sonnenhut und Co.
„Bei den Baum-Urnen-Flächen geht es aber nicht nur um die Pflegeleichtigkeit. Wir achten auch auf Biodiversität und haben bewusst insektenfreundliche Stauden angepflanzt. Vor dem Winter werden die besonders hohen Pflanzen zurückgeschnitten; beim Sonnenhut aber zum Beispiel bleiben die Blüten bis zum Frühjahr erhalten. Viel mehr aber auch nicht. Die Gräser bleiben als Raumbildner stehen“, sagt Büsing. Ansonsten werden die Pflanzen ihrem natürlichen Zyklus des Verfalls und der Wiedergeburt überlassen. Und die bange Frage, die manchen Ordnungsfanatiker umtreiben würde („Was wird aus dem ganzen Laub?“), löst der Fachmann ganz einfach: „Dort drüben haben wir zum Beispiel laubschluckenden Storchenschnabel gepflanzt. Nachts bei der Herbstkälte zieht er sich zusammen, das Laub fällt zwischen die Pflanzen, tagsüber breiten sich die Blätter wieder aus. Und so werden sie zum natürlichen Bodenbelag.“ Apropos Natur und Nachhaltigkeit: Die Steinplatten werden bewusst aus einem Weser-Sandstein-Bruch in Bad Karlshafen bezogen, in dem nicht gesprengt wird; damit ist die Gefahr von Haarriss-Bildung im Material ausgeschlossen, was die Platten im Winter zum Platzen bringen könnte. Auch die Bäume inmitten der Gräber profitieren von den Urnen. In die Löcher eingearbeitete Drainagen sorgen dafür, dass die Wurzeln besser mit Wasser, Nährstoffen und vor allem Sauerstoff versorgt werden.
Ein Blick auf die Wegführungen. Aus der Luft betrachtet bilden die Pfade vermutlich an den meisten Stellen immer noch ein starres Gitternetz. Moritz Büsing: „Auch hier stellt sich die Frage, ob ein Friedhof so ein Raster haben muss. In einigen Bereichen haben wir begonnen, den Weg nicht mehr mit Asphalt, sondern mit einer wassergebundenen Kiesmischung - einer Wegedecke - zu belegen. Wenn’s im Winter glatt ist, kann man Kies streuen, der sich nach dem Abtauen mit dem Belag verbindet.“ Vor allem sind die neuen Wegführungen aber geschwungener, bilden Blickachsen und vermitteln den Eindruck, dass sie gesamte Szenerie im Fluss ist. Ein Weg endet momentan noch in einer Bienenweide, die der Besucher aber durchschreiten darf.
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Friedhof wird zunehmend nicht nur auf die Funktion „Ort der Tränen“ reduziert; immer mehr gewinnt der Ruhe-Aspekt in einer selbst auf dem Land immer hektischer und lauter werdenden Zeit auch für Lebende an Bedeutung. Etappenweise wird Friedhof neu gedacht, erschlossen und entwickelt. Statt Bänken gibt es Quader aus Stein, auf denen man einfach mal sitzen kann. Die Menschen sollen sich ja schließlich wohl fühlen…