Brilon. Ein Juwel aus Fachwerk und Stein wird 100 Jahre: Hier gaben sich die Stars die Klinke in die Hand. Warum die Schützenhalle Brilon ein Unikat ist.
„Boah!“ Wer die gute Stube der Briloner St.-Hubertus-Schützenbruderschaft betritt, kommt erstmal aus dem Staunen nicht heraus. Überall Fachwerk, Holz und Balken, umweht von einem weiß-blauen Fahnenmeer unter der Decke. Es riecht nach Tradition. Und dann diese unglaubliche Höhe von 19 Metern bis unter das Dach. 2500 Quadratmeter Fläche in der eigentlichen Halle – da würden zwei Olympische Schwimmbecken reinpassen oder drei Hallenhandballfelder oder fast zehn Tennisplätze. Aber hier wird nicht geschwommen und hier werden keine Bälle gejagt. Die Schützenhalle ist die gute Stube der Bruderschaft und weit und breit eine der größten Veranstaltungsstätten im ganzen Sauerland. Am 9. November wird sie 100 Jahre alt. Das wird gefeiert.
„Am 31. März 1924 wurde ausgeschachtet für den Neubau. Dann rückten die Maurer an. Mitte Mai war Richtfest und schon im Juni desselben Jahres wurde hier das erste Schützenfest gefeiert. Das ging alles unglaublich schnell“, sagt Herrmann und lässt den Blick durch die Halle schweifen. Im Winter 1924/25 wurde das Dach mit Schiefer gedeckt und das Werk vollendet. „Damals wurde noch in Goldmark gerechnet. Und in alten Unterlagen ist nachzulesen, dass sich die Endabrechnung auf 70.579 Goldmark belief“, sagt Hallenwart Torsten Becker. Zur Einordnung: Die Meisterstunde kostete zu dieser Zeit eine Mark, die Gesellenstunde 0,70 Mark und die Lehrlingsstunde 0,30 Mark.
Finanziert wurde das Ganze im Wesentlichen über Kredite bzw. Schuldscheine; die Stadt half mit ihrem Holzreichtum. Manche älteren Schützen erzählten immer wieder von der abenteuerlichen Reise der Holzstämme, die vom Hohen Eimberg mit Pferdegespannen um die Sahnekurve nach Brilon transportiert wurden.
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Im Zweiten Weltkrieg fielen die Feste aus und das Wohnzimmer der Schützen wurde zweckentfremdet. In der Chronik ist nachzulesen: „Die Halle wurde umfunktioniert zu einem Warenlager, in dem Millionenwerte an Textilien und Lebensmitteln deponiert wurden. Nach der Kapitulation gaben die Amerikaner die Schützenhalle samt Lager für die von ihnen in Freiheit gesetzten alliierten Kriegsgefangenen und Fremdarbeiter frei. Die folgenden Plünderungen bezogen sich nicht nur auf den Lagerbestand…“ Die britischen Besatzer „parkten“ sogar Panzer in dem Fachwerkgebäude, das erst 1948 an den Verein zurückgegeben wurde. Der Fußboden war danach von den Ketten komplett zerstört, musste erneuert werden und hat von da an über 70 Jahre gehalten.
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Könnten die Balken sprechen, hätten sie manche Geschichte zu erzählen. Natürlich von rauschenden Festen, Geselligkeit und Zusammenhalt. Aber auch von Stars und Sternchen, die sich dort die Klinke in die Hand gaben. Der große Entertainer Peter Alexander oder der Komiker Otto Waalkes traten dort auf und Henning Krautmacher, Frontsänger der Kölner Kultband „Höhner“, sprach von „der größten Holzhalle in Deutschland.“ Die „Klostertaler“ waren dort, Comedians wie Kaya Yanar oder Dieter Nuhr, große Messen wurden veranstaltet und das Briloner Blasorchester gibt dort alljährlich sein Jahreskonzert. CSU-Politiker Franz-Josef Strauß hielt hier eine legendäre Wahlkampfrede und auch Kanzlerin Angela Merkel lief hier im letzten Bundestagswahlkampf zur Höchstform auf. Auch die AfD hat schon einmal angefragt, um ihren Landesparteitag in Brilon abzuhalten. Christian Herrmann: „Die kommen hier nicht rein!“
Aber auch Firmen nutzen die Halle für Betriebsfeste und alle drei Jahre kommt der Kreisschützenbund Lippstadt zum Kreiswinterball nach Brilon. Herrmann: „Eine solch große Halle haben die Schützen dort nicht. Sie freuen sich darauf, reisen mit Bussen an und feiern zünftig.“ 1432 Sitzplätze hat das gigantische Gebäue, wenn es reihenbestuhlt ist. Aber mit Empore und in lockerer Runde passen viel mehr dort rein. Allein die Tanzfläche ist 600 Quadratmeer groß. Mit der Ausrede „Ist mir gerade zu voll“ kommen Tanzmuffel da nicht durch.
Mit Großem Zapfenstreich
Das Jubiläum wird am 9. November groß gefeiert. Los geht es um 17 Uhr mit einer Patronatsmesse in der Propsteikirche, musikalisch umrahmt von der Jagdhornbläsergruppe Brilon. Um 19 Uhr startet die Feierstunde in der Halle, bei der Major Christian Herrmann verdiente Vorstandsmitglieder auszeichnen wird. Um 21 Uhr ist dann der Große Zapfenstreich mit dem Tambourskorps Brilon, den Original Hochsauerländern aus Hoppecke und der Freiwilligen Feuerwehr Brilon; danach Festball. Zum Jubiläum lädt die Schützenbruderschaft alle Briloner/innen und Gäst eine.
Vor 50 Jahren wäre die gute Stube fast in Flammen aufgegangen: Christian Herrmann: „Vermutlich war das Feuer durch zündelnde Kinder verursacht worden. Aber zum Glück kam die Feuerwehr gerade von einem Waldbrandeinsatz zurück und konnte sofort eingreifen.“ Man mag sich gar nicht vorstellen, wie schnell dieses riesige Fachwerkkonstrukt Feuer gefangen hätte. Überhaupt bedarf das „alte Mädchen“, wie die Bruderschaft ihre Halle liebevoll nennt, immer wieder der Zuwendung. Es gibt einen eigenen Bauausschuss, der den Zustand der Halle überwacht und im Auge behält. Zuletzt wurden die Giebel erneuert und sobald auch nur ein kleines Häuflein Sägemehl auf dem Boden entdeckt wird, geht es mit einer Spezialtinktur dem Holzwurm an den Kragen. „Wenn das Dach mal an der Reihe wäre, würde das gleich in einem sechsstelligen Betrag enden“, sagt Christian Herrmann. Das sind Summen, die der Verein finanzieren müsste. So wie zum Beispiel auch beim Anbau des Hubertus-Saales 1998/99 für rund 1,5 Millionen Euro, der das Gebäude, zu dem auch noch eine große Hausmeisterwohnung gehört, noch attraktiver und flexibler macht.
All das muss unterhalten und finanziert werden. Das geht nur durch das unglaubliche Engagement der Schützen und durch die Vermietungen der Anlage: „Etwa 15 Mal im Jahr ist die große Halle vermietet; allein um sie zu heizen, nutzen wir einen 720 Kilowatt starken Lüfter. Zum Vergleich: Ein Wohnhaus braucht etwa 17 Kilowatt Heizleistung“, erklärt Torsten Becker. Und außerdem werden auch noch Hubertus- und Speisesaal jeweils 15 bis 20 Mal vermietet. Weitere Einnahmequelle ist der Wohnmobilhafen, deren Nutzer immer gerne einen Blick in die Halle werfen und dann einfach nur „Boah!“ sagen…