Brilon. Corona macht einsam. Das kann für psychisch kranke Menschen ein zusätzliches Problem sein. So sieht die Hilfe bei Ipsylon in Brilon aus.

Fehlende Kontakte im Corona-Lockdown machen mittlerweile vielen Menschen schwer zu schaffen. Die Einsamkeit schlägt aufs Gemüt, es breitet sich Schwermut aus, fehlende Freizeitbeschäftigungen drücken die Stimmung. Das beschreibt die Situation vieler gesunder Männer und Frauen. Für Menschen mit psychischen Erkrankungen stellt sich der neue Alltag häufig noch viel schlimmer dar. Eine wichtige Anlaufstelle für sie kann die Kontakt- und Beratungsstelle des Initiativkreises psychosozialer Hilfen Brilon, kurz Ipsylon, sein. Das sechsköpfige multiprofessionelle Team dort kennt die Schwierigkeiten, die sich für Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht nur, aber auch gerade jetzt im Lockdown ergeben. 

Im Moment ist es in der Beratungsstelle am Scharfenberger Hof ruhig geworden. Bis zum vergangenen Frühjahr, also vor Corona, kamen täglich 10 bis 15 Besucherinnen und Besucher ins Haus. Morgens die älteren Herren, die Zeitung lasen und sich unterhielten, danach die Mitglieder der Kochgruppe, später traf sich die Musikgruppe, es gab einen Gesprächskreis, eine Kreativgruppe. Die Tür stand fast immer offen. Jetzt ist sie meistens geschlossen. Die ganze Welt steckt in einer Pandemie.  

Der Austausch fehlt

"Es ist richtig, richtig schwierig", schildert Diplom-Pädagogin Kirsten Gierth die Situation ihrer Klientinnen und Klienten. Die regelmäßigen Treffen mit mehreren Menschen finden nicht mehr statt. "Es fehlt der Austausch mit anderen, die vielleicht auch depressiv sind, die nochmal eine andere Meinung hätten. Das aufzufangen ist schwer."

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Nach dem ersten Lockdown wurde im Sommer die Teilnehmerzahl auf fünf Personen begrenzt – denn alles ist besser als nichts. Jetzt, im zweiten Lockdown, ist auch das nicht mehr möglich. Kontakte gibt es höchstens eins zu eins – oder telefonisch. "Aber da sehe ich nicht, wie jemand schaut, ob er vielleicht kurz vorm Weinen ist. Man kann so wenig tun", bedauert die 40-Jährige.

Hilfe aus der Distanz

Dabei hat sich das Team viel einfallen lassen, um den Kontakt zu den Klientinnen und Klienten nicht zu verlieren. Die Mitglieder der Kochgruppe schicken sich Rezepte zu, fotografieren ihr Essen, leiten die Fotos weiter. Auch Video-Konferenzen werden angeboten. "Das klappt halt nicht bei allen, gerade, weil wir ältere Klienten haben. Das ist eher was für die jüngeren, die auch die nötige Technik haben. Unsere Essgestörten machen das zum Beispiel relativ regelmäßig." Viele Gespräche fanden im Corona-Jahr im Kurpark statt, einmal saß auch Beraterin Annika Siebertz in einem Vorgarten und unterhielt sich mit der Klientin auf dem Balkon.  

Doch manchmal reicht das eben nicht. Gierth: "Wir kriegen mit, dass viele Menschen, die vorher noch nicht in einer tiefen Depression waren, jetzt wirklich abrutschen. Die Winterzeit macht es ja auch nochmal schwieriger." Dabei rückt neben der zunehmenden Einsamkeit ein weiteres Gefühl immer weiter in den Fokus: Angst.

Ängste werden geschürt

Vor dem Virus, vor einer Erkrankung, vor dem "Was ist, wenn...".  "Wir sehen doch, was gerade reißerische Medien mit Menschen machen, wieviel Ängste geschürt werden auch bei Menschen, die keine Angststörung haben", berichtet ihre Kollegin Annika Siebertz. Da seien Menschen mit psychischen Krankheiten noch viel unsicherer. Das viele Fernsehgucken aus Alternativlosigkeit trage dann weiter zur Verschlechterung bei. "Sie bekommen da viele Informationen, die vielleicht irreführend sind oder denen sie kognitiv gar nicht folgen können." Und dann die Sache mit der Impfung. "Wir haben einen Klienten, der ruft wirklich jeden Morgen an und fragt ,Wann werde ich geimpft?’"  

Der Ton wird rauer 

Das Thema Corona spaltet die Menschen. Es gibt viele Leugner, sogar Demonstrationen. Und nicht nur in den sozialen Medien, auch im realen Leben verhärten sich die Fronten. "Der Ton ist generell viel rauer geworden. Menschen, die eh schon Angst haben, die sowieso psychisch eingeschränkt sind, treffen jetzt auf Menschen, die sie anschreien, wenn sie mit ihrem Einkaufswagen mal einen Meter zu weit vorne sind", so Kirsten Gierth weiter.

Sie befürchtet, "dass das, was wir uns schon über einen langen Zeitraum wieder erarbeitet haben, wegbricht. Wir haben auch viele Klienten mit einer schweren Depression oder Abhängigkeitserkrankung, da läuft die Stabilisierung Moment nicht wirklich. Wir machen einfach wieder Rückschritte". Im Blick hat sie auch, was Corona mit eigentlich gesunden und psychisch stabilen Menschen anrichtet. "Wir werden uns da mit Sicherheit auch noch auf eine andere Welle einstellen müssen." 

Schwierige Situation auch ohne Corona

Im Sauerland ist die Situation für psychisch Kranke auch ohne Corona schwierig genug. Diplom-Sozialarbeiterin und -pädagogin Annika Siebertz gibt einen Einblick: "Wir erleben das hier so, dass die Versorgungslandschaft bei weitem noch nicht so aufgebaut ist, wie sie sein sollte. Und dass Menschen, die für sich erkennen, dass es ihnen schlecht geht und sie zum Facharzt müssen oder eine Psychotherapie beginnen sollten, Wartezeiten von bis zu einem Jahr haben."  

Ende letzten Jahres hat der Psychiater Dr. med Dieter Weßeler seine Praxis am Briloner Krankenhaus Maria Hilf geschlossen. Einen Nachfolger gibt es nicht. Die Patientinnen und Patienten mussten anderweitig unterkommen. Sei es in Warstein, Marsberg oder Paderborn. Und auch dort sind die Wartezimmer voll. Einen Erstkontakt gibt es zwar innerhalb der ersten Wochen. Aber dann beginnt die eigentliche Wartezeit. "Nicht, weil die das nicht wollen. Sondern weil alles so überlastet ist", erzählt Kirsten Gierth.   

Es muss schnell gehen

Die Zeit bis dahin können Beratungsgespräche bei Ipsylon überbrücken. "Wenn jemand anruft und sagt, es brennt, dann kriegen wir das definitiv noch in derselben Woche hin", machen die Beraterinnen Mut. "Es ist dann auch wirklich wichtig, dass es schnell geht, wenn sich jemand aufgerafft hat." Leider gebe es noch immer eine große Hemmschwelle. Einige hätten Angst, gesehen zu werden. Da habe es schon die Bitte gegeben, sich erst im Dunkeln zu treffen, oder den Seiteneingang nutzen zu können. Aus Angst vor einem Jobverlust, falls gesehen werden sollte, dass eine Beratung bei Ipsylon stattfand. Dabei kommen die Klientinnen und Klienten aus sämtlichen beruflichen Schichten.  

Auch wenn bereits einiges besser sei, hätten noch immer viele ein schlimmes Bild von psychisch Kranken, berichten die Beraterinnen von ihren Erfahrungen. Es müsse noch einiges passieren an Aufklärungsarbeit. Umso mehr freuen sie sich, wenn die Menschen sich schließlich in die Beratungsstelle trauen. "Wir sind, glaube ich, auch gute Gesprächspartner, die sich auf den anderen einstellen können."

Zeit der Ungewissheit

Die Corona-Zeit bleibt eine Zeit der Ungewissheit. Keiner weiß, wie sich die Situation weiterentwickelt. Etwas gibt es, das Annika Siebertz ihren Klientinnen und Klienten gern mit auf den Weg gibt. Ob jung oder alt, gesund oder krank - “wir müssen alle gemeinsam durchhalten. Wir sitzen alle im gleichen Boot.” Ein tröstlicher Gedanke.