Berlin. Jens Spahn und Kevin Kühnert streiten um die Zukunft der Sozialsysteme. Kabarettist Dieter Nuhr schreckt beim Wort „alternativlos“ auf.
Deutschland schlittert absehbar in eine wirtschaftliche und soziale Krise vor dem Hintergrund eines Krieges in Europa. Deutschland muss sich also wappnen. Aber wird das auch so erkannt – und dann entsprechend gehandelt? Im TV-Talk Maischberger äußerte sich der Kabarettist Dieter Nuhr besorgt: „Wir verlieren gerade die Wahrheit“ stellte er fest und meint damit, dass sich die Realitäten immer seltener in der Art widerspiegeln, wie wir als Gesellschaft darüber diskutieren. Nämlich zunehmend polarisierend, verengend.
Immer wenn der Begriff „alternativlos“ fällt, müssen eigentlich Alarmglocken läuten. Nuhr: Für viele Themen wie Corona, Ukrainekrieg, Klimawandel gibt es keine einfachen Lösungen oder Antworten. Ja oder nein – gut oder böse – so funktioniert die Welt nicht. Wer Debatten auf die Frage „dafür“ oder „dagegen“ verengt, der diskutiert unredlich.
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Und darum ging es letztlich auch beim Kernthema des Abends: die Sozialpolitik. Ein ums andere Mal insistiert Moderatorin Maischberger im Gespräch mit CDU-Vize Jens Spahn und SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, der Vorstoß der Union für eine Verschärfung der Regeln fürs sogenannte Bürgergeld sei am Ende reiner Theaterdonner oder Wahlkampf.
Kühnert argumentiert mit Bedürftigkeit
Die Diskussion drehe sich vornehmlich um jene, die Bürgergeld beziehen und die Aufnahme einer Arbeit rundheraus ablehnten. Das seien aber „nur wenige tausend“. Und mit der jüngsten Reform des Bürgergeldes habe Arbeitsminister Hubertus Heil diese Gruppe bereits ins Visier genommen. CDU-Chef Merz baut da letztlich einen Popanz auf, muss also die Schlussfolgerung lauten.
Im Lauf der Sendung und der Diskussion wird aber ganz im Sinne Dieter Nuhrs deutlich, worum es bei genauerer Betrachtung am Ende tatsächlich geht: um Menschenbilder, die Parteipolitik prägen. SPD-General Kühnert hebt in der Diskussion ums Bürgergeld stets auf die Bedürftigkeit von Menschen ab, die Hilfe zur Grundsicherung ihrer Existenz benötigen.
Spahn argumentiert aus der Warte jener, die in Arbeit sind – und die einfache Rechnung aufmachen, ob es sich überhaupt lohnt, für netto 200 Euro mehr pro Monat 40 Stunden pro Woche zu arbeiten. Und Spahn verweist auf einen weiteren Punkt, der in der Öffentlichkeit häufig auf Unverständnis stößt.
Von den rund vier Millionen Beziehern von Bürgergeld gelten mehrere Hunderttausend als arbeitsfähig – während es gleichzeitig hunderttausende Jobs gibt, die derzeit unbesetzt bleiben. Und da geht es nicht nur um hoch qualifizierte Arbeit. An dieser Stelle setze das jetzige Bürgergeld noch zu viele falsche Anreize, so Spahn.
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Spahn bei Rente schwammig
Wie zu erwarten gab es an dieser Stelle keinen Konsens. Spahn muss sich vorwerfen lassen, sein Menschenbild sei zynisch, mit der ironischen Volte, dass der CDU-Vize sich bei seiner Argumentation mehrfach auf die Reformen der Regierung von SPD-Bundeskanzler Schröder beruft.
Das Gleiche passierte in der Diskussion um die Rentenpolitik: Spahn lobt ausdrücklich den früheren Arbeitsminister Franz Müntefering für seine Rentenreform, die von den jüngeren Generationen damals eine verlängerte Lebensarbeitszeit forderte, und von den älteren eine Bremse bei den Rentenerhöhungen. Beides habe die jetzige Regierung ausgehebelt – weswegen das Rentensystem in die Krise gerate.
Deswegen fordert die CDU nun eine Formel, wonach die Lebensarbeitszeit ab 2031 weiter angehoben werde. Der Hintergrund: Maischberger zitiert den Wirtschaftsweisen Martin Werding, der errechnet, sollte nichts an der gesetzlichen Rentenformel geändert werden, werde der steuerfinanzierte Anteil bis 2045 auf rund 500 Milliarden Euro ansteigen müssen.
Auch hier bestimmen Menschenbilder die politische Debatte: Spahn argumentiert, man dürfe den künftigen Generationen das nicht aufbürden. Deswegen die verlängerte Lebensarbeitszeit. Kühnert verweist auf die wachsenden Gefahren einer Altersarmut im Falle von veränderten Rentenformeln und auf die Frage, wie denn Handwerker oder Pflegekräfte bis möglicherweise 70 arbeiten sollen. Spahn bleibt an dieser Stelle schwammig – räumt aber ein, dass es da Mechanismen braucht.
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Fazit: Mit der Debatte um Rente und Bürgergeld ist es letztlich so, wie Dieter Nuhr seine Sicht zusammenfasste: „Zu fast allen Problemen der Welt habe ich eine 70:30-Meinung oder 60:40 – ein ja oder nein ist nicht ausreichend.“
Die Welt ist nicht schwarz oder weiß, aber viele Menschen können die Grauzone des Kompromisses nur noch schwer ertragen.
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