Berlin. Im ersten Entwurf für ein neues Grundsatzprogramm setzt die CDU auf einen politischen Kurswechsel – nicht nur in der Migrationspolitik.
Der Schock saß tief: Als die CDU nach 16 Jahren an der Macht aus dem Kanzleramt auszog, herrschte blanke Ratlosigkeit. Jetzt, mehr als zwei Jahre später, steht die Union in den Umfragen stabil bei 30 Prozent – und gibt sich selbstbewusst: „Die CDU ist wieder regierungsfähig, sollte es zu einer vorgezogenen Bundestagswahl kommen, wären wir bereit“, sagt Generalsekretär Carsten Linnemann. Das neue Grundsatzprogramm der CDU, das jetzt als erster Entwurf vorliegt, schärft das konservative Profil der Partei – vor allem bei der Migration und in der Sozialpolitik. Es ist passgenau auf Parteichef Friedrich Merz zugeschnitten.
Das rund 70 Seiten starke Papier („In Freiheit leben. Deutschland sicher in die Zukunft führen“) soll im Januar vom Parteivorstand und dann im Frühjahr beim Bundesparteitag der CDU endgültig beschlossen werden. Korrekturen sind noch möglich: Er erwarte „1000 Änderungsanträge“ zum Parteitag, sagte Linnemann bei der Vorstellung am Montag in Berlin. Die Kernpunkte aber dürften nach rund 22 Monaten Programmarbeit bestehen bleiben: Die CDU setzt weiter auf Atomkraft, steuert einen radikalen Systemwechsel in der Asylpolitik an, verlangt von Zuwanderern ein Bekenntnis zu einer deutschen Leitkultur und will neue Wege in der Sozialpolitik gehen. Die Positionen im Einzelnen:
Migration: Asylverfahren außerhalb der EU-Grenzen
Um die Zuwanderung nach Deutschland zu begrenzen, setzt die CDU laut Entwurf künftig auf Asylverfahren außerhalb der EU: Jeder, der in Europa Asyl beantragt, soll nach dem Entwurf in einen sicheren Drittstaat überführt werden und dort ein Verfahren durchlaufen. „Im Falle eines positiven Ausgangs wird der sichere Drittstaat dem Antragsteller vor Ort Schutz gewähren.“ Der Entwurf sieht zudem vor, dass nach der erfolgreichen Einrichtung des Drittstaatenkonzepts „eine Koalition der Willigen innerhalb der EU jährlich ein Kontingent schutzbedürftiger Menschen aus dem Ausland aufnimmt und auf die Koalitionäre verteilt“. Mit einem Kontingent würde es eine Obergrenze für den Zuzug geben – eine konkrete Zahl dafür nennt die CDU jedoch nicht.
Leitkultur: „Bewusstsein von Heimat“ und Bekenntnis zum Existenzrecht Israels
Gleich auf der ersten Seite verlangt das Papier „Mut zur Leitkultur“. Konkret bedeutet das aus Sicht der Grundsatzkommission: „Alle, die hier leben wollen, müssen unsere Leitkultur ohne Wenn und Aber anerkennen.“ Zur deutschen Leitkultur gehören demnach die Achtung der Würde jedes einzelnen Menschen, der deutsche Rechtsstaat, Respekt und Toleranz – aber auch „das Bewusstsein von Heimat und Zugehörigkeit“, eine Orientierung an „unserer Art zu leben“, sowie „die Anerkennung des Existenzrechts Israels“. Nur wer sich zu dieser Leitkultur bekenne, könne sich integrieren und deutscher Staatsbürger werden.
Die CDU-Abgeordnete Serap Güler, ebenfalls Mitglied der Programmkommission, sagte bei der Vorstellung des Programmentwurfs am Montag, viele hielten das Grundgesetz für die Leitkultur. „Aber wir brauchen mehr: Wir brauchen etwas, was den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt fördert, was ein gesamtgesellschaftliches Regelwerk ist.“ Eine Leitkultur umfasse das Bekenntnis auch zu Dingen, die nicht im Grundgesetz stünden – etwa das Existenzrecht Israels.
Extremismus: „Das gilt auch für den politischen Islam.“
Die CDU setzt auf ein umfangreiches Sicherheitsversprechen: Die Sicherheitsbehörden sollen gestärkt, Strafen auf dem Fuß folgen. „Jede Form des Extremismus“ müsse mit voller Härte bekämpft werden. „Das gilt auch für den politischen Islam.“ Der Kampf gelte denen, die Hass und Gewalt schürten und eine islamistische Ordnung anstrebten. „Die Scharia gehört nicht zu Deutschland.“ Im Entwurf heißt es: „Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland.“ Die CDU grenzt sich damit ausdrücklich von einem Satz des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff (CDU) ab, der 2010 gesagt hatte: „Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“
Schulen: Sprachtests, Religionsunterricht und verpflichtendes Gesellschaftsjahr
Jedes Kind solle im Alter von vier Jahren einen einheitlichen und verpflichtenden Sprachtest machen. An den Schulen soll Religionsunterricht zum Pflichtfach werden, islamischer Religionsunterricht soll grundsätzlich in deutscher Sprache stattfinden. Mit Blick auf die Debatte um das Gendern spricht sich die CDU für eine geschlechtergerechte Sprache, „aber gegen Gender-Zwang“ aus. Die CDU wolle, dass „in allen Behörden, Schulen, Universitäten und anderen staatlichen Einrichtungen sowie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk keine grammatikalisch falsche Gender-Sprache verwendet wird“.
Nach der Schule sollen alle Schulabgänger ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr absolvieren. Dies sei „eine große Chance, den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu stärken“.
Rente: Ruhestandsregeln an steigende Lebenswartung anpassen
Mit Blick auf die Zukunft der Rente gibt sich die CDU in ihrem Programm vorsichtig: Länger arbeiten für alle? Rente mit 70? So klar wird das nicht gefordert: Wenn die Rente finanzierbar bleiben soll, „spricht viel dafür, dass die Lebensarbeitszeit für diejenigen, die arbeiten können, steigen muss, und folglich die Regelaltersgrenze an die Lebenserwartung gekoppelt wird“. Richtig sei aber auch, dass das nicht für alle gelten könne: Es müsse „passgenaue Lösungen“ für Menschen geben, die aus gesundheitlichen Gründen nicht so lange arbeiten könnten.
- Politik-News: Die wichtigsten Nachrichten des Tages aus der Bundespolitik im Blog
- Neue Partei: Bundestagsabgeordnete der Grünen wechselt zur CDU
- Gerichtsurteil: Keine Waffen für AfD-Mitglieder? Jäger und Schützen unter Druck
- Klimawandel: Fluten, Hitze, Erdrutsche – So müssen Kommunen Bürger schützen
- Parteitag: AfD-Delegierter beißt Demonstranten – Video zeigt Vorfall
Arbeitsmarkt: Wer arbeiten kann, muss arbeiten gehen
Kommt die CDU wieder an die Macht, will sie das System des Bürgergelds verändern: „Wer Sozialleistungen erhält und arbeiten kann, muss auch arbeiten gehen“, so Linnemann am Montag. Wer Arbeitsangebot ablehne, müsse „finanziell spürbar schlechter stehen als jemand, der sich aktiv um Arbeit bemühe“. Wer sogar mehr arbeiten wolle als bisher, solle dazu attraktive Rahmenbedingungen vorfinden. „Deshalb wollen wir Überstunden bei Vollzeitbeschäftigung steuerfrei stellen.“