Essen. Vorhang zu, Fragen offen? Wir sagen im Überblick, an welchem Haus der Region die Spielzeit besonders erfolgreich oder enttäuschend war.

Essen: Aalto spielt weiterhin nicht in der alten Klasse

Zeugnis einer Überforderung: Als Regisseurin versuchte die junge Emily Hehl zum Saisonstart Verdis „Macbeth“ am Aalto-Theater über innere Seelenqualen zu erzählen. Zu sehen waren ans Peinliche grenzende Zuckungen en masse. Unser Bild zeigt Massimo Cavalletti in der Titelrolle.
Zeugnis einer Überforderung: Als Regisseurin versuchte die junge Emily Hehl zum Saisonstart Verdis „Macbeth“ am Aalto-Theater über innere Seelenqualen zu erzählen. Zu sehen waren ans Peinliche grenzende Zuckungen en masse. Unser Bild zeigt Massimo Cavalletti in der Titelrolle. © Alvise Predieri | Alvise Predieri

Essen bleibt ein Problemfall. Das einst national so glänzend dastehende Haus hat in den letzten Jahren klar gelitten. Mitunter findet - einst unvorstellbar - schon die dritte Vorstellung nach der Premiere vor schwach gefülltem Parkett statt. Gewiss: Überall in der Hochkultur sinkt die Nachfrage, gibt es Nachwuchsprobleme in ungekannter Dimension. Aber am Aalto-Theater, diesem wunderschönen Opernhaus, ist die Krise in Teilen hausgemacht. Von fünf echten Premieren zwei an völlig unbekannte, teils zu Recht vergessene Opern zu vergeben, ist in diesen Zeiten ein Himmelfahrtskommando. So geschehen in der ausklingenden Spielzeit. Dass die erfolgreichsten Neuproduktionen, die ihre Intendantinnen-Handschrift tragen, ein Musical („My fair Lady“)und eine Operettengala sind, wird Merle Fahrholz kaum zufriedenstellen. Was ist zu ändern? Das Haus braucht viel bessere Inszenierungen! Über Verdis „Macbeth“ im Zeichen rhythmischer Sportgymnastik wurde im Zuschauerraum sogar gelacht. Aufschlussreich: Uralte Inszenierung wie „Aida“ (35 Jahre alt!!) und „Tristan“ (18) laufen als Kassenknüller nahezu allen aktuellen Arbeiten mühelos den Rang ab.

Dortmund: Wo Puccini sogar das Musical hinter sich lässt

Lache niemand über vermeintlich „klassische“ Bilderbuch-Inszenierungen: Der Oper Dortmund bescherte „La Bohème“ in der Regie von Gil Mehmert den Magneten der Saison. Sogar das aktuelle Musical wurde von Puccini überholt.
Lache niemand über vermeintlich „klassische“ Bilderbuch-Inszenierungen: Der Oper Dortmund bescherte „La Bohème“ in der Regie von Gil Mehmert den Magneten der Saison. Sogar das aktuelle Musical wurde von Puccini überholt. © Theater Dortmund / Björn Hickmann | Björn Hickmann/ stage picture

Das muss man erst einmal hinbekommen, dass ein 130 Jahre alter Puccini unentwegt restlos ausverkauft ist und das frisch produzierte Musical daneben in der Auslastung ziemlich alt aussieht. So geschehen in der ausklingenden Dortmunder Saison. Gewiss, „Rent“ ist ein Musical zweiter Klasse. Aber das Lehrstück war Gil Mehmerts Inszenierung von „La Bohème“. Da hat einer mal nicht die Erwartungshaltung des Publikums verhöhnt, sondern ist liebevoll und in aller szenischen Konsequenz nah an der Geschichte geblieben. Die Menschen im Saal waren allabendlich so gerührt wie glücklich. Dass so etwas inzwischen als Rarität auffällt, erzählt manches über die Menschenferne des Regie-Gewerbes. Ansonsten pflegt Intendant Heribert Germeshausen mit gewohntem Ehrgeiz den Mix aus Rarität („Montagne Noire“), Moderne („Fin de Partie“) und Repertoire. Dass die Welt, im Revier zumal, kulturferner geworden ist, muss auch er einsehen. Wagners „Rheingold“ (wie immer man die Fred-Feuerstein-Variante Peter Konwitschnys sieht) wäre in den besten Dortmunder Jahren zuverlässig ausverkauft gewesen. Die Zeiten sind vorbei.

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Gelsenkirchen: Saison der Extreme - grandios bis klamottös

Eine der großen Inszenierungen der Saison an Rhein und Ruhr: Richard Strauss‘ „Salome“. Der junge Manuel Schmitt inszenierte die Meisteroper als nachtschwarzen Psycho-Thriller. Hier stimmte alles.
Eine der großen Inszenierungen der Saison an Rhein und Ruhr: Richard Strauss‘ „Salome“. Der junge Manuel Schmitt inszenierte die Meisteroper als nachtschwarzen Psycho-Thriller. Hier stimmte alles. © Malinowski | Pedro Malinowski

Lange stand das Musiktheater im Revier als Festung gegen den grassierenden Zuschauereinbruch. Da ging selbst eine wenig bekannte Rarität wie Bernsteins „Mess“ vor vollem Haus über die Bühne. Das ist eine Weile her. Selbst die beste Inszenierung der Saison, Manuel Schmitts packend raffiniert erzählte „Salome“, hatte 2023 schon bald nach der Premiere zu kämpfen. Hausherr Michael Schulz, der uns in der Saison davor so große Würfe wie „Billy Budd“ und „Das schlaue Füchslein“ geschenkt hatte, lieferte dagegen mit einer hilflos-klamottösen „Nacht in Venedig“ einen Tiefpunkt der Musiktheater-Spielzeit an der Ruhr. Das Publikum nahm den Abend indes in fröhlicher Toleranz auf. Knallvoll Abend für Abend: „Hello Dolly“, ein Beleg, wie sehr es die Menschen in diesen Zeiten nach unbeschwerter (und in diesem Fall sehr gut gemachter) Unterhaltung dürstet. Die Spielzeit endete mit einem Negativ-Beispiel zur Publikumsgewinnung. Wer eine Komödie so krampfhaft umdeutet, dass die Zuschauer einen Dolmetscher brauchen, wie es David Hermann in „Così fan tutte“ gefiel, der darf über seinen Beitrag zur aktuellen Theaterverdrossenheit der Menschen vielleicht mal nachdenken. Die Sparten Tanz und Puppentheater bringen in Gelsenkirchen nach wie vor zu wenige Publikumsmagneten hervor. Ob die „Dreigroschenoper“ mit Puppen nächste Spielzeit das zu ändern vermag?

Rheinoper Duisburg und Düsseldorf, vorwiegend gute Produktionen

Janaceks „Jenufa“ - Paradebeispiel packenden Musiktheaters. Doch Tatjana Gürbacas starke Inszenierung schwächelte früh.  Es zeigt auch: In einer in Sachen Bildung und Kulturneigung sich stark verändernden Gesellschaft haben es wichtige Stücke abseits von „Carmen“ und „Zauberflöte“ immer schwerer.
Janaceks „Jenufa“ - Paradebeispiel packenden Musiktheaters. Doch Tatjana Gürbacas starke Inszenierung schwächelte früh. Es zeigt auch: In einer in Sachen Bildung und Kulturneigung sich stark verändernden Gesellschaft haben es wichtige Stücke abseits von „Carmen“ und „Zauberflöte“ immer schwerer. © Barbara Aumüller | Barbara Aumüller

Herausragende Inszenierung, musikalisch vom Feinsten: Es half der brillanten Duisburger „Jenufa“ wenig. Viel zu wenig Menschen drängte es ins Theater. Auch die altgediente Theater-Ehe Düsseldorf Duisburg registriert inzwischen Einbrüche, deren Ursache nicht in der Qualität von Szene und Klang liegen. Natürlich nicht, wenn ein Knüller wie „Anatevka“ aufgefahren wird, aber im abendlichen Repertoire verkauft sich längst nicht mehr alles wie von selbst.

Die Saison begann - trotz Paukenschlag in Form einer Handfeuerwaffe für Kundry - mit einem etwas einfarbig inszenierten „Parsifal“. Die „Septembersonate“ stand für gediegen Zeitgenössisches auf hohem Interpretationsniveau. Belanglos im aufgezwungen klaustrophobischen Zugriff dagegen der „Eugen Onegin“, da blickte man nicht ohne Neid nach Bonn, wo die vielleicht wundervollste Inszenierung der Saison zu feiern war. Wie genau, wie liebevoll, menschlich und sinnlich Opernregie 2024 sein kann, demonstrierte dort vom ersten bis zum letzten Takt der Russe Vasily Barkhatov im Bonner „Onegin“.

Kaum zu glauben, dass das derselbe Mann ist, der der Rheinoper einen katastrophal missratenen „fliegenden Holländer“ vermacht hat. Die Saison schloss mit einem großen Spaß, der Vergessenheit entrissen: Leichtfüßig-kabarettistisch tänzelte das „Märchen im Grand-Hotel“ daher. Die Rheinoper hält übrigens nach wie vor den Rekord an immer wieder aus ihrem reichen Repertoire hervorgeholten Alt-Inszenierungen. Ein Höhepunkt 23/24 Christof Loys auch nach Jahrzehnten noch taufrische Rossini-Deutung „Italienerin in Algier“. Vermutlich würde dieser freche Spaß, in dem auch der Islam augenzwinkernd sein Fett abbekommt, heute mit einem Bein im Gefängnis politischer Korrektheit stehen. Aber wer darf das, wenn nicht gute Kunst?
Bitte (wieder) mehr von solcher Meisterschaft!

Köln wartet auf ein Wunder

Was hatte sich Hein Mulders nach seinen neun Jahren an Essens Aalto nicht alles versprochen: ein neuen Posten, ein frisch saniertes Opernhaus, dazu in der Weltstadt Köln, was für ein schönes Finale seiner Intendantenkarriere! Zwei Jahre nach seinem Wechsel fummeln die Handwerker immer noch am Offenbachplatz. Von Mulders wollen gut unterrichtete Quellen wissen, dass er längst äußerst ernüchtert über die Zustände vor Ort ist. Publikum plätschert (trotz tausender Touristen täglich) auch nur lasch in die Oper: Die Alternativspielstätte ist selbst bei Repertoire-Knallern wie Verdis „Maskenball“ oft zum Verzweifeln schwach besucht.

Die Wieder-Einweihung wird sicher die Wende bringen, auch Neugierige anziehen. Nur: Wann? Schon wieder ist der Termin verschoben. Vor 2025 soll kein Ton zu hören sein, heißt es. Dafür umso vernehmlicher die Klagegesänge der Steuerzahler: Inzwischen geht man von Gesamtkosten von einer Milliarde Euro aus. Es hatte 2015 mal mit geplanten 253 Millionen angefangen... LvG