Düsseldorf. Felix Seiler präsentiert das Erfolgsmusical in der Deutschen Oper am Rhein poetisch-zeitlos. Standing Ovations nach der Premiere.

Anatevka, das Schtetl im zaristischen Russland des frühen 20. Jahrhunderts, hat im Opernhaus Düsseldorf so gar nichts mehr von den Bildern Marc Chagalls, von denen sich einst Autor Joseph Stein und Komponist Jerry Bock zu ihrem Erfolgsmusical inspirieren ließen.

Nicolaus Weberns Bühnenbild-Idee ist reine Poesie in zeitlosem Weiß. Tevje (Andreas Bittl) und die Dorfbewohner hängen Betttücher auf Wäscheleinen, geben dem zuvor kahlen Raum erste Struktur.

Neue Laken unterschiedlicher Größe und Form kommen dazu, senken sich von der Oberbühne, sind ständig in Bewegung und lassen eine grandiose „Dorflandschaft“ mit wechselnden Örtlichkeiten entstehen. Wenn zum Schluss die jüdischen Menschen den Ort verlassen müssen, werden die Tücher wieder von der Wäscheleine Leine genommen. Anatevka existiert nicht mehr.

Fantasievolle Szenen und herrliche Choreografien in „Anatevka“

Über das Spiel mit Stoff findet Regisseur Felix Seiler auch zu einer der fantasievollsten Szenen der an atmosphärischen kleinen Tableaus, lebensprallen pulsierenden Massenszenen und herrlichen Choreografien (Danny Costello) reichen Inszenierung.

„Anatevka“ an der Deutschen Oper am Rhein: Florian Simson (als Perchik) und Kimberley Boettger-Soller (Hodel).

Foto: Sandra Then
„Anatevka“ an der Deutschen Oper am Rhein: Florian Simson (als Perchik) und Kimberley Boettger-Soller (Hodel). Foto: Sandra Then © Sandra Then | Sandra Then

Wenn Milchmann Tevje seinen schaurig-schönen Alptraum erfindet, um Gattin Golde (Mezzosopranistin Susan Maclean ist überragend) Schneider Mottel als Schwiegersohn schmackhaft zu machen, dann fügen sich gewaltige, an Stäben geführte Leinentafeln zur geisterhaften Erscheinung von Goldas Großmutter zusammen.

Wenn Tevje wiederum im Gespräch mit Gott die Argumente pro und contra Tradition wechselt oder einfach nur so vor sich hin denkt, dann friert die Szene ein. Das Licht ändert sich, alle Figuren verharren regungslos, die Klänge des Fiddlers heben das Geschehen fast ins Mystische.

Die Düsseldorfer Symphoniker überzeugen bei „Anatevka“

Die Düsseldorfer Symphoniker unter Harry Ogg finden von Anfang an den rechten Zugang zu Jerry Bocks Mischung aus Klezmer und Broadway-Sound, der Chor der Deutschen Oper am Rhein (Patrick Francis Chestnut) ist wieder bestens aufgelegt, das (meist hauseigene) Ensemble aus Sängern und Sängerinnen mit der überragenden Mezzosopranistin Maclean lässt keine Wünsche offen. Doch der Star des Abends ist kein Sänger, sondern Schauspieler mit großer Film- und Bühnenerfahrung (u.a. Burgtheater Wien, Bayrisches Staatsschauspiel, Schauspielhaus Bochum).

Standing Ovations für „Anatevka“ an der Rheinoper in Düsseldorf

Wie Andreas Bittl das dialektische Spiel mit sich selbst so lange vorantreibt, bis er als Verlierer (er akzeptiert schweren Herzens die unerwünschten Freier der Töchter) und gerade deshalb als Gewinner dasteht (die Liebe siegt), das ist große Schauspielkunst.

Standing Ovations und Beifallsstürme in Orkanstärke.

Karten/Termine: 0211-8925211, www.operamrhein.de