Berlin. Mein Enkelkind hat ADHS – ist Ritalin die einzige Lösung? Leser stellen ganz persönliche Fragen – unsere Expertin Gaby Guzek antwortet.

Das Thema Sucht hat viele Gesichter und hinterlässt noch viel mehr Fragen – bei Betroffenen und auch Angehörigen. Hier können Sie sie stellen, egal zu welcher Art der . Sie bleiben garantiert anonym. Unsere Suchtexpertin Gaby Guzek beantwortet Ihre Fragen.

Sie haben Fragen zum Thema Sucht oder sind selbst betroffen? Schreiben Sie uns an sucht(at)funkemedien.de.
Die Redaktion behält sich vor, ausgewählte Leserfragen anonym zu veröffentlichen.

Diesmal beantwortet Expertin Gaby Guzek die drängende Frage eines Lesers zum Thema ADHS und Sucht.

ADHS beim Kind: Welche Behandlungsmöglichkeiten außer Ritalin?

In der Kolumne ADHS und Drogensucht: „Das Gehirn kann nicht anders“ geht Gaby Guzek dem Phänomen auf den Grund, warum gerade ADHS-Betroffene häufiger als andere Menschen zu Suchtmitteln greifen.

Unser Leser fragt dazu mit Blick auf die eigene Familie:

„Unsere siebenjährige Enkelin ist von dieser Krankheit betroffen und ihr Selbstwertgefühl leidet extrem darunter. Hinzu kommt, dass sie im Unterricht nicht nur wegen der anderen Sinnesreize unkonzentriert ist, sondern dann auch schnell ermüdet und, nach eigenen Aussagen, ‚träumt, nicht mehr hinhört und mit den Bleistiften spielt‘, sodass sie vom Unterricht nichts mehr mitbekommt und entsprechend wenig lernt.

Zum Glück haben die Eltern die Problematik erkannt und sind mit ihr bei einem Arzt gewesen, der, nach einigen Tests, bestätigt hat, dass eindeutig ADHS vorliegt und behandelt werden sollte. Nun schreiben Sie, dass die verabreichten Medikamente Amphetamine sind, die auf Sicht ja auch eine Abhängigkeit, beziehungsweise Sucht, auslösen können.

Da taucht natürlich die Frage auf, welche Möglichkeiten bestehen noch, dieser Krankheit entgegenzutreten, im besten Fall, sie zu heilen. Jetzt sieht es so aus, als hätte man nur die Möglichkeit, zwischen Pest und Cholera zu entscheiden. Wenn es andere Behandlungsmethoden gibt, welche und an wen kann man sich wenden.“

Autorin Gaby Guzek ist Wissenschaftsjournalistin und Coach. In unserer Serie „Raus aus der Sucht“ beleuchtet sie verschiedene Süchte und Wege aus der Abhängigkeit.
Autorin Gaby Guzek ist Wissenschaftsjournalistin und Coach. In unserer Serie „Raus aus der Sucht“ beleuchtet sie verschiedene Süchte und Wege aus der Abhängigkeit. © Carmen Wilhelmer | Carmen Wilhelmer

ADHS bei Kindern: „Haben auch sehr viele Stärken“

Expertin Gaby Guzek antwortet:

Vorab: Ein ADHS ist nicht heilbar. Die Hirnstruktur beziehungsweise die Übertragung des Botenstoffes Dopamin bei Menschen mit ADHS ist anders, wir würden sagen: gestört. Die Betroffenen lehnen das ab und bezeichnen sich als neurodivers, also eben anders. Eigentlich verständlich, denn diese Menschen sind weder „gestört“ noch im eigentlichen Sinne krank. Sie ticken eben auf ihre Weise.

Menschen mit ADHS haben auch sehr viele Stärken, das darf man nicht vergessen. Sie können – wenn sie sich für etwas wirklich interessieren – eine unglaubliche Konzentration an den Tag legen (sie nennen das „Hyperfokus“), sind in der Regel sehr emphatisch, empfindsam und können übergeordnete, komplexe Zusammenhänge oft schneller erkennen als so manch anderer.

Eine ADHS-Therapie zielt deshalb auch nicht darauf ab, den Betroffenen mit Medikamenten „geradezubiegen“. Das war früher leider der Fall, wo man Kinder mit teilweise sehr hohen Dosierungen von Ritalin oder ähnlichen Substanzen einfach „abgeschossen“ und quasi zum Zombie gemacht hat. Das ist Gott sei Dank vorbei, heute arbeitet man mit wesentlich geringeren Medikamentenmengen. Allerdings haben sich aus dieser Zeit viele Vorurteile erhalten.

Ja, die eingesetzten Medikamente sind Amphetamine. Die aber wirken bei Menschen mit ADHS völlig anders und wie gesagt sind die Dosierungen auch gegenüber den Amphetamine als Partydrogen viel geringer. Darüber hinaus gibt es auch noch andere Wirkstoffe, die nicht zu den Amphetaminen zählen. Welches Medikament bei Ihrer Enkelin anschlägt – und ob sie überhaupt auf eines anspricht –, das muss ein wirklich fachkundiger Psychiater entscheiden und gegebenenfalls austesten.

Keine gute ADHS-Therapie stützt sich allerdings auf Medikamente allein. Immer gehört eine spezielle Verhaltenstherapie dazu. Dort lernen die Betroffenen, mit ihrer „speziellen Hirnverdrahtung“ nicht nur zu leben, sondern sie zu managen – und im optimalen Fall sogar ihre Vorteile daraus zu ziehen. Denn wie gesagt: Menschen mit ADHS haben teilweise sehr erstaunliche Fähigkeiten. Man muss sie nur finden und fördern. Medikamente können dabei helfen und unterstützen. Es wäre falsch, diese in Bausch und Bogen abzulehnen. Sie nehmen dem Kind damit eine echte Chance.

Die besten Artikel der Serie „Raus aus der Sucht“

Leider gibt es genügend Bücher und Internetseiten, die nicht nur die Medikamente verteufeln, viel Dummes und Falsches verbreiten und dubiose alternative Therapien propagieren. Wenn man genauer hinsieht, steckt dahinter meist ein Geschäftsmodell und der Betroffene soll teure Seminare buchen oder irgendwelche Vitamine oder Mittelchen kaufen.

Da selbst Fachärzte heute nicht immer auf dem ganz aktuellen Stand sind, kann ich Ihnen beziehungsweise den Eltern nur sehr nachdrücklich ans Herz legen, Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe aufzunehmen. Die gibt es gerade für Eltern doch mittlerweile recht flächendeckend. Notfalls mal im Internet schauen, auch online finden solche Treffen statt. Die Teilnehmer wissen in der Regel über kompetente Anlaufstellen in Ihrer Region sehr gut Bescheid.

Zur Person

  • Gaby Guzek ist seit mehr als 30 Jahren Fachjournalistin für Wissenschaft und Medizin.
  • Sie arbeitete nach ihrem Studium unter anderem bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und der Fachzeitschrift „Die Neue Ärztliche“. Jahrelang selbst von schwerer Alkoholsucht betroffen und mit den Therapiemöglichkeiten unzufrieden, begann sie, sich intensiv mit dem Phänomen Sucht auseinanderzusetzen. 2020 veröffentlichte sie im Eigenverlag ihr Buch „Alkohol adé“* und steht heute als Coach unter gaby-guzek.com und in ihrem Forum alkohol-ade.com Alkoholsüchtigen zur Seite.
  • Ihr aktuelles Buch „Die Suchtlüge. Der Mythos von der fehlenden Willenskraft: Wie Sucht im Hirn entsteht und wie wir sie besiegen“ ist bei Heyne erschienen.

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Der Mythos von der fehlenden Willenskraft: Wie Sucht im Hirn entsteht und wie wir sie besiegen. HEYNE Verlag, Taschenbuch mit 224 Seiten, 13 Euro

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