Berlin. Online-Casinos, Automaten und Aktien: Vor allem Männer erhoffen sich hier Gewinne und verschulden sich. Was unsere Expertin Betroffenen rät.

Glücksspiel ist „eine Bedrohung für die öffentliche Gesundheit“. Zu diesem drastischen Fazit kommt eine internationale Expertenkommission in einer aktuellen Studie, veröffentlicht im Fachmagazin „The Lancet“. Glücksspielsucht kann demnach zu physischen wie psychischen Schäden führen, sie kann Familien und Beziehungen zerstören, das Risiko für Suizid steigern, zum finanziellen Ruin führen, häusliche Gewalt und Kriminalität fördern sowie zum Jobverlust führen. Weltweit sind laut Studie schätzungsweise fast 450 Millionen Menschen von negativen Auswirkungen von Glücksspiel betroffen. Auch für rund 1,3 Millionen Menschen in Deutschland wurde dieser Kick bereits zur Sucht.

Bunte Lichter blinken, Musik ertönt, plötzlich rauschen die Münzen aus dem Automaten: Das verschafft wohl jedem einen kurzen Höhenflug. Der Blick auf den Gewinn gibt manchen den erhofften Kick. Nicht selten verzocken sie dabei ihr gesamtes Vermögen. Der Ausweg ist steinig. Aber machbar.

Die besten Artikel der Serie „Raus aus der Sucht“

Spielen ist eigentlich ein Urbedürfnis. Nicht umsonst spricht man vom „Spieltrieb“ des Menschen. Im Spiel trainieren wir unsere Lebensfähigkeit, denn nicht immer reichen starre Instinkte aus. Babys erlernen spielerisch ihre Umwelt, später stärken Kinder ihre körperlichen Fähigkeiten im Spiel. Spiel hilft unserem Gehirn, sich zu entwickeln und sich immer neuen Situationen anzupassen. Egal ob in Metropolen oder im tiefsten Dschungel: Überall auf der Welt spielen die Menschen.

Schulden durch Glücksspiel: ständiges Zittern bis zum Gewinn

Spielen bringt auch Erfolge mit sich, stärkt unser Selbstbewusstsein, beispielsweise durch gewonnenen Wettkampf. Das sorgt für einen Dopaminkick im Gehirn: Es werden große Mengen dieses Botenstoffes ausgeschüttet, der für das Lernen und Belohnungsgefühle zuständig ist. Unser Gehirn ist also seit Kindheitszeiten darauf gepolt, dass Spielen etwas Gutes, Interessantes und damit Erstrebenswertes ist.

So ein Daddelautomat ist für unser Gehirn eigentlich kaum was Anders, als buntes, klapperndes Babyspielzeug. Fanden wir damals spannend und daran ändert sich im Erwachsenenalter auch nicht viel. Sicher: Nicht jeder Erwachsene springt identisch auf diese Reize an. Wie stark, hängt von seiner Hirnstruktur ab. Kombiniert mit einem möglichen Gewinn ist das schon ein echter Köder. Vor allem muss sich ein Glücksspieler ja dafür nicht mal groß anstrengen, anders als beim Sportturnier in der Jugend. Im Gegenteil ist Glücksspiel oft sehr schnell, manchmal nur wenige Sekunden lang. Das feiert unser Gehirn, das auf Schnelligkeit steht.

Raus aus der Sucht
Autorin Gaby Guzek ist Wissenschaftsjournalistin und Coach. In unserer Serie „Raus aus der Sucht“ beleuchtet sie verschiedene Süchte und Wege aus der Abhängigkeit. © Carmen Wilhelmer | Carmen Wilhelmer

Klimpern die Münzen einem aus dem blinkenden Automaten entgegen, löst das wohl bei jedem Glücks- und Belohnungsgefühle aus. Bei Spielsüchtigen passiert das auch ohne Jackpot. Forscher haben herausgefunden, dass bei ihnen die Dopamin-Dusche sogar größer ist, während sie noch um den Gewinn bibbern. Kommt dieser dann tatsächlich, fällt der Kick sogar kleiner aus, als während der Wartezeit darauf. Das Zittern bis zum Gewinn wird also zum Sucht-Faktor, nicht das Gewinnen selbst. „Vorfreude ist die schönste Freude“, sagt man. Sie wissen jetzt, warum.

Risiko Spielsucht: Geld als Turbo zum Glück

In der Regel zockt man um Geld. Und das ist der Turbo der Spielsucht. Denn Geld wird in unserer Gesellschaft mit Glück gleich gesetzt. Geld kann Wünsche erfüllen, hebt den sozialen Status und das Ansehen, macht sogar als Sexualpartner attraktiver. Ein Jackpot ist die Abkürzung des Tellerwäschers zum Millionär, ohne Jahre von Blut, Schweiß und Tränen.

Es ist sicherlich kein Zufall, dass Spielsucht vor allem ein Problem in den unteren sozialen Schichten darstellt. Studien zeigen ganz klar: Je ärmer die Verhältnisse, je schlechter das soziale Umfeld, umso höher das Risiko, vom Spiel abhängig zu werden. Das stimmt – und stimmt auch wieder nicht.

Zocken an der Börse: Spielsucht mit Fliege und Krawatte

Spielsüchtige mit Fliege und Krawatte finden sich unter den sogenannten Daytradern. Daytrading, oder auf Deutsch Tageshandel, ist Zocken an der Börse mit sehr kurzen Fristen. Morgens platziert man seine Käufe, und in den nächsten zehn Stunden kreisen die Gedanken nur um die Börse – in der Hoffnung auf reiche Gewinne.

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Die Forschung hierzu steckt noch in den Kinderschuhen, Wissenschaftler meinen aber, dass es viel mehr Spielsüchtige unter den Börsenhändlern gibt, als bislang angenommen.

Ein junger Mann spielt an einem Spielautomaten in einem Casino. Symbolbild Glücksspiel
Glücksspiel wie im Rausch: Männer sind laut Studien besonders gefährdet, wenn es um Schulden durch Spielautomaten und Online-Casinos geht. © picture alliance | Michael Bihlmayer

Spielsucht in der Beziehung: Am Ende steht oft ein Scherbenhaufen

Spielsucht hat die Betroffenen genauso fest in den Klauen, wie jede andere Sucht auch. Spielsüchtige haben ein ganz besonders schweres Päckchen zu tragen, wenn es an den Ausstieg geht. In der Regel stehen sie vor einem riesigen Scherbenhaufen: finanziell, sozial, familiär. Diesen müssen sie erstmal wieder zusammenkehren, Dinge ordnen, das Vertrauen vom Partner oder der Partnerin wieder erlangen.

Wenn das überhaupt möglich ist, nicht selten gehen ja das gemeinsame Vermögen still und heimlich drauf – oft steht dann auch eine Trennung ins Haus. Das alles soll der Betroffene quasi frisch spiel-abstinent ohne Rückfall wuppen. Ohne Hilfe ist das kaum zu machen. Aber die gibt es.

Glücksspielsucht behandeln: Anlaufstellen und Maßnahmen

Anlaufstellen sind einerseits die Sucht- aber auch die Schuldnerberatungen. Suchtexperten sagen übrigens, dass ausstiegswillige Spielsüchtige durchaus zumindest einen Teil des Schlamassels selber sortieren und in Ordnung bringen sollten. Das sei ein sinnvoller Teil der Therapie. Ein Freikauf durch Familie oder Freunde, damit der Betroffene „unbeschwert in die Therapie gehen kann“, sei zwar nett gemeint, aber in der Regel kontraproduktiv.

Ebenfalls ein guter Schutz: Apps und Sperrsysteme: Spieler können sich in Deutschland vom Zocken in Casinos und Gaststätten mit einem Klick aussperren. Auch Angehörige können dies tun, sogar ohne Zustimmung des Betroffenen.

Seit 2021 gibt es das sogenannte OASIS-System, in das sich Spieler eintragen lassen können. OASIS steht für „Onlineabfrage Spielerstatus“ und ist eine Datenbank, in die jeder Gastwirt und jedes Casino einmal reinschauen muss, nachdem sich der Spielwillige ausgewiesen hat. Wer da drin steht, darf nicht spielen.

Online-Casinos: Der blinde Fleck beim Glücksspiel

Der blinde Fleck der Sperrdatenbanken sind die Online-Casinos und die vielen Online-Spielseiten. Hier greift dann der Schutz durch spezielle Apps. Um nur zwei Beispiele zu nennen:

  • GamBan
  • K9 Webprotection (kostenlos)

Aber es gibt auch noch so einige andere. Diese Apps versperren den Zugang zu sämtlichen Online-Spielseiten im Web und bieten damit zusammen mit Sperrsystemen wie OASIS ein ziemlich dicht gewebtes Sicherheitsnetz.

Eine sehr gute, wenn auch vielleicht zunächst schmerzhafte Möglichkeit: Die Kontrolle über die eigenen Finanzen komplett an eine nahestehende Person abgeben. Wenn dies der Partner ist, schafft dies auch die Basis, verloren gegangenes Vertrauen wieder herzustellen. Das bedeutet dann aber wirklich radikal: alle Bankkarten abgeben, keinen Zugang mehr zum Online-Banking (Zugangscode durch Partner ändern lassen) und dergleichen mehr. Einkaufen nur noch mit Cash erlauben – und das auch genau abgezählt.

Hilfe im Umgang mit Glücksspielsucht bietet unter anderem das Online-Angebot unter www.bundesweit-gegen-gluecksspielsucht.de. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) informiert auf der Internetseite www.check-dein-spiel.de. Die BZgA bietet außerdem Beratung an, anonym unter der kostenfreien Telefonnummer 0800 1372700.

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Zur Person

  • Gaby Guzek ist seit mehr als 30 Jahren Fachjournalistin für Wissenschaft und Medizin.
  • Sie arbeitete nach ihrem Studium unter anderem bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und der Fachzeitschrift „Die Neue Ärztliche“. Jahrelang selbst von schwerer Alkoholsucht betroffen und mit den Therapiemöglichkeiten unzufrieden, begann sie, sich intensiv mit dem Phänomen Sucht auseinanderzusetzen. 2020 veröffentlichte sie im Eigenverlag ihr Buch „Alkohol adé“* und steht heute als Coach unter gaby-guzek.com und in ihrem Forum alkohol-ade.com Alkoholsüchtigen zur Seite.
  • Ihr aktuelles Buch „Die Suchtlüge. Der Mythos von der fehlenden Willenskraft: Wie Sucht im Hirn entsteht und wie wir sie besiegen“ ist bei Heyne erschienen.

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Der Mythos von der fehlenden Willenskraft: Wie Sucht im Hirn entsteht und wie wir sie besiegen. HEYNE Verlag, Taschenbuch mit  224 Seiten, 13 Euro

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