Berlin. Gesunder Körper, bessere Konzentration, starkes Immunsystem. Vitaminwasser versprechen große Dinge. Experten sind aber skeptisch.

Die Flüssigkeit in den Plastikflaschen schimmert leicht rosa, orange, gelb oder grün – Vitaminwasser, sogenannte Functional Drinks, fluten seit einigen Jahren die Supermarktregale. Auf Instagram werben Social-Media-Stars wie Cathy Hummels, das Influencer-Paar Sarah und Dominic Harrison oder Profi-Sportler für die Getränke.

Die Idee stammt aus den USA: Die mit Vitaminen und Mineralien angereicherte Flüssigkeit soll den Organismus mit wichtigen Nährstoffen versorgen. Das Problem: Der gesundheitliche Nutzen von funktionellen Getränken ist schwer zu belegen.

Sind Vitamin-Getränke wirklich nahrhaft?

Ein Blick auf die Nährwertangaben von Marken wie „Vitamin Well“, „Hohes C Functional Water“, „Hye Vitamin Drinks“ oder „Benevit Vitaminwasser“ zeigt: Die Vitamin-Mengen in den Produkten sind von Hersteller zu Hersteller sehr unterschiedlich: Während eine Flasche „Benevit Vitaminwasser“ 275 Prozent des sogenannten Nährstoffbezugswerts (NRV) an Vitamin B6 decken soll, enthält eine Flasche „Vitamin Well React“ lediglich 50 Prozent des gleichen Vitamins. Der NRV gibt die EU-weit geltende Referenzmenge der empfohlenen Tageszufuhr von Vitaminen für einen durchschnittlichen Erwachsenen an.

Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg zufolge können die empfohlenen Werte aber bereits über den Konsum kleiner Mengen Gemüse und Obst erreicht werden. „Der Hersteller von ‚Vitamin Well‘ lobt bei der Sorte ‚Recover‘ Folsäure aus, obwohl in einer ganzen Flasche gerade so viel Folsäure wie in zwei Röschen Brokkoli steckt“, kritisiert der Experte.

Außerdem falle negativ auf, dass die Getränke oft sehr viel Zucker enthielten, teils sogar bis zu 40 Gramm pro Liter. Auf einigen Flaschen prangen zudem Früchte auf den Etiketten. Der Verbraucherschützer sagt: „Die sind in den Produkten nur minimal in Form von Konzentraten und Säften vorhanden und tragen praktisch nicht zur Vitaminversorgung bei.“

Funktion von Vitamin E und D im Wasser zweifelhaft

Gerade im Winter droht vielen Menschen wegen der geringen UV-Strahlung der Sonne ein Vitamin-D-Mangel. Laut dem Robert-Koch-Institut (RKI) sind rund 30 Prozent der Erwachsenen in Deutschland mangelhaft versorgt. In Getränken wie von „Lidl“, „Barebells Functional Foods Deutschland“ und „Eckes Granini“ sind Vitamin E oder D enthalten. Doch Valet zeigt sich skeptisch: „Die Wirksamkeit des Getränks ist insofern fragwürdig, da fettlösliche Vitamine, wie Vitamin D und E, vom Körper gar nicht über das Wassertrinken aufgenommen werden können.“ Dazu werde zusätzliches Fett benötigt.

„Barebells Functional Foods Deutschland“, der Hersteller von „Vitamin Well“, antwortet auf Nachfrage: In unseren Vitamin-Well-Drinks sind die fettlöslichen Vitamine mit einem Trägerstoff (in der Regel eine sehr geringe Menge Öl) und einem Emulgator verbunden, wodurch sie wasserlöslich werden.“ Das Trägeröl sei auf den Flaschen nicht als Fett deklariert, da die Menge so gering sei.

Das „Saskia Vitaminwasser“ von „Lidl“ hingegen ist mit Vitamin E angereichert. Auch hier sorgen enthaltene Fette laut Hersteller für die Vitaminaufnahme ermöglichen. Die Fette seien aufgrund der geringen Menge ebenfalls nicht in den Nährwertangaben aufgeführt. „Eckes Granini“ hat bis Redaktionsschluss nicht reagiert.

Wirkung von Vitaminwasser: Setzen Sie lieber auf diese Lebensmittel

„Es gibt bislang keine unabhängigen Studien, die belegen könnten, dass Wasser mit künstlichen Vitaminen sinnvoll für die Gesundheit ist“, sagt Hans Hauner, Leiter des Instituts für Ernährungsmedizin am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München. „Wir können nicht genau sagen, ob synthetische Vitamine genauso gut im Körper wirken wie natürliche Vitamine, die wir über Gemüse und Obst oder über andere Lebensmittel aufnehmen.“

Ernährungsmediziner Hans Hauner ist Direktor der Klinik für Ernährungsmedizin der TU München.
Ernährungsmediziner Hans Hauner ist Direktor der Klinik für Ernährungsmedizin der TU München. © TU München | Eckert / Heddergott

Dass die Daten dafür fehlen, bestätigt auch Ernährungsmedizinerin Constanze Lohse aus Hamburg: „Ob die Vitamine in der Dosierung im Körper ankommen und etwas bewirken, lässt sich schwer sagen.“ Eine Supplementierung von Nahrungsergänzung könne dennoch sinnvoll sein, – „gerade in Risikosituationen, wie Krankheit, Schwangerschaft oder Alter.“ Das müsse aber in Abstimmung mit einem qualifiziertem Therapeuten passieren. „Wer einen Mangel hat, sollte lieber gezielt ein auf ihn abgestimmtes Nahrungsergänzungsmittel nehmen“, fasst die Ärztin zusammen. Ein Vitamin-Wasser dürfe da wenig helfen.

Stecken in den farbigen Wässerchen also hauptsächlich leere Werbeversprechen? Für die Ernährungsexpertin kommt es darauf an, womit man die Getränke vergleicht: „Sie sind sicherlich Softgetränken wie Cola oder Energy-Drinks vorzuziehen und dafür durchaus eine sinnvolle Alternative.“ Generell rät die Ärztin aber von süßen Getränken jeglicher Art ab. „Ein Getränk oder ein Nahrungsergänzungsmittel ersetzt niemals die natürliche Ernährung“, betont sie.

Vitaminwasser: Schwerwiegende Gesundheitsrisiken

Mittlerweile gibt es viele Berichte darüber, dass bestimmte Nahrungsergänzungsmittel in zu hohen Dosen der Leber oder dem Magen schaden können. Auch Mediziner Hauner warnt: „Es passiert immer häufiger, dass Konsumenten aus verschiedenen Lebensmitteln zusätzlich angereicherte Vitamine zu sich nehmen und dadurch weit über der empfohlenen Zufuhr liegen.“

In den Wassern ist die Vitamin-Dosierung von Produkt zu Produkt zwar unterschiedlich hoch, verglichen mit handelsüblichen Vitamin-Tabletten aber insgesamt niedrig. „Werden die Getränke in empfohlenen Mengen konsumiert, halte ich das gesundheitlich für unbedenklich“, so Constanze Lohse. Es seien hauptsächlich wasserlösliche Vitamine enthalten, die bei einer übermäßigen Zufuhr in der Regel einfach ausgeschieden werden.

Ernährungsmedizinerin Constanze Lohse klärt über gesunde Ernährung und Mikronährstoffe auf.
Ernährungsmedizinerin Constanze Lohse klärt über gesunde Ernährung und Mikronährstoffe auf. © Jenny Wessel

Stattdessen sieht die Ärztin eine andere Gefahr. Und zwar bei den Marken, die viel Zucker enthalten: „Der Körper braucht aus ernährungsmedizinischer Sicht Nahrungspausen – wer süße Getränke zwischendurch schluckweise trinkt, sabotiert das.“ Das könne potenziell sogar Übergewicht und weitere Erkrankungen fördern.

Ein zusätzliches Risiko, das Lohse bei den Drinks bemerkt: Konsumenten könnten sich in falscher Sicherheit wiegen. Sie trinken etwas mit gutem Gewissen, obwohl der Nutzen fraglich bleibt. Der Münchner Mediziner sieht das ähnlich: „Angereicherte Getränke haben eine gewisse Alibi-Funktion: Menschen, die das Gefühl haben, sich nicht gesund zu ernähren, könnten denken, dass sie dies mit solchen Produkten ausgleichen können und damit vielleicht ihr schlechtes Gewissen beruhigen.“