Berlin. Die Cannabis-Legalisierung sorgt bei vielen Eltern für neue Sorgen. Expertin Gaby Guzek gibt Tipps im Umgang mit kiffendem Nachwuchs.

Nachdem der Bundestag dem Cannabis-Konsum für Erwachsene Grünes Licht gegeben hat, wird das Thema für Eltern Jugendlicher noch aktueller. Fliegt auf, dass Ihr Nachwuchs Cannabis konsumiert, rät eine Experin vor allem erst mal eines: ruhig bleiben. Mit hektischen Bestrafungsaktionen oder Verboten erreichen Sie nichts, ganz im Gegenteil. Auf sich beruhen lassen sollten Sie das Thema aber auch nicht. Denn Cannabiskonsum im Kinder- und Jugendalter schadet.

Das Sweatshirt riecht komisch und der Nachwuchs verhält sich ungewohnt. Manche werden ganz still, andere ungewöhnlich redselig. Eltern haben da in der Regel feine Antennen – und meistens liegen sie richtig. Knapp jeder zehnte Jugendliche im Alter zwischen 12 und 17 Jahren hat mindestens schon einmal Cannabis konsumiert, im Durchschnitt war er da 15.

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Cannabis macht nicht abhängig?

Cannabis ist in der Regel keine Einstiegsdroge, wie es oft behauptet wird. Statistisch gesehen haben die Jugendlichen vorher bereits ihre Erfahrungen mit Nikotin und Alkohol gemacht, kiffen kommt später. Medizinisch gesehen richtet regelmäßiger Alkoholkonsum im jugendlichen Hirn viel schlimmeren Schaden an, unterstreichen die Joint-Verfechter – und sie haben recht.

Autorin Gaby Guzek ist Wissenschaftsjournalistin und Coach. In unserer Serie „Raus aus der Sucht“ beleuchtet sie verschiedene Süchte und Wege aus der Abhängigkeit.
Autorin Gaby Guzek ist Wissenschaftsjournalistin und Coach. In unserer Serie „Raus aus der Sucht“ beleuchtet sie verschiedene Süchte und Wege aus der Abhängigkeit. © Carmen Wilhelmer | Carmen Wilhelmer

Sie behaupten auch: „Cannabis macht nicht abhängig“. Das hingegen ist falsch. Vor allem dann, wenn man sehr früh damit beginnt. Jeder zweite Kiffer, der bereits als Teenager begann, bleibt an der Droge kleben. Hinzu kommt: Das heute gehandelte Cannabis enthält viel mehr der suchterzeugenden Substanz THC als noch vor einigen Jahren. Treue Kundschaft für Dealer, deshalb wird das ja auch gemacht.

Je mehr THC im Cannabis steckt, umso größer ist auch die Gefahr von langfristigen Schäden, besonders bei jungen Menschen. Die Gehirnentwicklung ist erst im Alter von etwa 22 Jahren abgeschlossen. Das THC im Cannabis verhindert diese wichtige Hirnreifung – und zwar unwiederbringlich.

Die Folgen von Cannabis bei Jugendlichen konnten Forscher nachweisen:

  • Konzentrationsstörungen,
  • Depressionen,
  • Angst- und Panikstörungen bis hin zu
  • höheren Selbstmordraten.
Beim Cannabis-Konsum unter Jugendlichen hat der Freundeskreis häufig einen wichtigen Einfluss.
Beim Cannabis-Konsum unter Jugendlichen hat der Freundeskreis häufig einen wichtigen Einfluss. © Getty Images/iStockphoto | LanaStock

Auch kurzfristig leidet bei jugendlichen Kiffern das Denkvermögen: Wem alles egal ist, der passt in der Schule oder Lehre einfach nicht mehr auf. Kurzum: Kiffen macht dumm. Kurz- und auch langfristig. Die Auswirkungen auf das spätere Berufs- und Erwachsenenleben liegen auf der Hand. Wer sich langfristig die Welt rosa kifft, fällt irgendwann aus ihr heraus.

Wie sehr Kiffen die Geisteskraft lähmt, zeigt ein unfreiwilliges Experiment im holländischen Maastricht. Dort durften 2011 wegen einer Gesetzesänderung auf einmal Studenten aus bestimmten Ländern nicht mehr legal in den Coffeeshops Cannabis kaufen. Die Folge: Die Uni-Noten der Studenten aus den betroffenen Nationen verbesserten sich drastisch.

Cannabis-Verdacht: Was Eltern nie tun sollten

Das Problem: Wie macht man all das einem pubertierenden Teenager klar, der schon die Aufforderung „Bring bitte mal den Müll runter“ für eine Kriegserklärung hält? Alles nicht so einfach – nur zwei Dinge bringen garantiert nichts: Verbote und Schimpftiraden.

Unterlassen Sie es auch, die persönlichen Gegenstände oder das Zimmer Ihres Nachwuchses auf der Suche nach Beweisen zu durchwühlen. Damit verletzen Sie klar dessen Privatsphäre. Noch schlimmer: Heimliche Drogentests. Manche Eltern pflücken Haare aus der Bürste und schicken diese dann in Labore. Das geht gar nicht. Alles, was Sie erreichen, ist Bockigkeit und Rückzug.

Denn: Junior sieht überhaupt keinen Grund, das Kiffen sein zu lassen. Im Gegenteil. Das ist, als wollten Sie einer Katze die Maus wegnehmen. Kiffen ist ja cool – schließlich machen das die Kumpels auch. Dazu noch die Entspannung auf Knopfdruck. Stress und Ängste sind passé, wie angenehm. Ergo geht das Ganze nicht von heute auf morgen.

Generell gilt: Je früher Sie einschreiten und je jünger Ihr Nachwuchs da noch ist, umso erfolgversprechender ist das Unterfangen. Haben Sie generell mit ihrem Pubertier „etwas den Draht verloren“, nicht nur, was den Drogenkonsum betrifft, fangen Sie erst mal klein an. Ein Gespräch über das Kiffen ist dann nicht mal der Anfang.

Cannabis-Konsum bei Jugendlichen: So kommen Eltern ins Gespräch

Cannabis-Verdacht beim Kind: Eltern sollten im Gespräch nicht mit Strafen und Verboten drohen.
Cannabis-Verdacht beim Kind: Eltern sollten im Gespräch nicht mit Strafen und Verboten drohen. © Getty Images | Motortion
  • Suchen Sie das Gespräch, für das Sie sich ausreichend Zeit nehmen. Machen Sie darin keine Vorwürfe. Sprechen Sie von sich. Von dem, was sie beobachtet haben, welche großen Sorgen Ihnen das macht. Nicht: „Du bist den ganzen Tag nur noch am Schlafen. Wie willst Du da denn die Schule packen?“ Sondern: „Ich nehme wahr, wie träge Du geworden bist. Es tut mir weh, Dich so zu erleben. Ich habe Dich viel zu lieb, als dass ich das übersehen könnte.“
  • Fragen Sie Ihr Kind, ob es kifft und sagen Sie gleich klar: Es gibt hier keinen Streit und keine Strafen. Sie möchten es gerne wissen – und Sie möchten gerne erfahren, was Ihr Nachwuchs daran so toll findet. Lassen Sie Ihr Kind ausreden, unterbrechen Sie nicht, versuchen Sie ja nicht gleich im Anschluss, Ihrem Nachwuchs das Ganze auszureden. Denn dann gehen die Jalousien runter.
  • Tasten Sie sich vorsichtig an die Situation ran. Es muss auch nicht alles in einem einzigen Gespräch geklärt werden, im Gegenteil. Lassen Sie Ihre Botschaft „ich sorge mich, ich habe Dich lieb“ wirken. Kommen Sie in Folgegesprächen darauf zurück.
  • Machen Sie eine Bestandsaufnahme über Ihr eigenes Konsumverhalten. Beispiel: Steht bei Ihnen regelmäßig abends „zur Entspannung“ oder in Freundesrunde Alkohol auf dem Tisch – was meinen Sie, nimmt Ihr Kind daraus mit? Oder: Hängt ein Elternteil ständig mit der Nase vor dem Handy, dem Tablet oder dem Computer „zur Entspannung“ – was sagt das dem Junior?
  • Vielleicht müssten als erstes Sie selbst ein paar Dinge ändern, natürliche und gute Entspannungsmethoden einzuüben beispielsweise. Dabei können Sie den Nachwuchs gleich mitreißen. Schwimmen gehen, Fahrradtouren, ein neues Hobby anfangen. Süchtiges Verhalten hat sehr häufig die Wurzeln im Elternhaus. Auch wenn denen das oft gar nicht bewusst ist.
  • Wenn Sie Ihrem Nachwuchs neue Aktivitäten vorschlagen, löst ihn das auch ein wenig von seinem Freundeskreis – in dem gekifft wird. Die soziale Verbandelung ist so ziemlich die härteste Nuss, die es zu knacken gilt. Viele Kiffer, die viele Jahre später aus der aussteigen, berichten, dass sie dazu ihren gesamten Freundeskreis über Bord werfen mussten.
  • Vielleicht stellt sich sogar durch einige einfühlsame und liebevolle Gespräche heraus, dass Ihr Nachwuchs unter Stress oder Ängsten leidet, von denen Sie in dieser Heftigkeit noch gar nichts wussten. Sehr häufig spielen auch Depressionen mit hinein. Gerade seit den Covid-Lockdowns sind Depressionen und Angststörungen bei Jugendlichen durch die Decke gegangen. Wenn das Kiffen eigentlich dort seine Wurzeln hat, ist professionelle Hilfe gefragt.

Kiffen abgewöhnen: Womit Eltern rechnen müssen

Hat Ihr Kind schon einen deutlich höheren Konsum und beschließt, damit aufzuhören? Dann bereiten Sie sich auf etwa zwei Wochen vor, in denen Ihr Nachwuchs ziemlich instabil sein könnte. Schlafstörungen können auftreten, Depressionen oder Unruhe. Das ist nichts, was akut die Gesundheit bedroht – allerdings die Rückfallgefahr deutlich erhöht. Deshalb: Selbst wenn Junior in diese Zeit fürchterlich nervt, seien Sie an seiner Seite. Er braucht sie dann mehr denn je.

Wissen Sie nicht weiter oder kommen Sie an Ihr Kind nicht ran? Dann gehen Sie zur Suchtberatung. Die sind auch für Angehörige da. Dort sitzen Profis, die Ihnen viel mehr Tipps geben können, die auf Ihre Situation zugeschnitten sind.

Zur Person

  • Gaby Guzek ist seit mehr als 30 Jahren Fachjournalistin für Wissenschaft und Medizin.
  • Sie arbeitete nach ihrem Studium unter anderem bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und der Fachzeitschrift „Die Neue Ärztliche“. Jahrelang selbst von schwerer Alkoholsucht betroffen und mit den Therapiemöglichkeiten unzufrieden, begann sie, sich intensiv mit dem Phänomen Sucht auseinanderzusetzen. 2020 veröffentlichte sie im Eigenverlag ihr Buch „Alkohol adé“* und steht heute als Coach unter gaby-guzek.com und in ihrem Forum alkohol-ade.com Alkoholsüchtigen zur Seite.
  • Ihr aktuelles Buch „Die Suchtlüge. Der Mythos von der fehlenden Willenskraft: Wie Sucht im Hirn entsteht und wie wir sie besiegen“ ist bei Heyne erschienen.

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Der Mythos von der fehlenden Willenskraft: Wie Sucht im Hirn entsteht und wie wir sie besiegen. HEYNE Verlag, Taschenbuch mit 224 Seiten, 13 Euro

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