Berlin. Die Studien sind eindeutig: Eine bestimmte Therapie kann eine Depression so gut lindern wie Medikamente. Was die Kassen übernehmen.
Jedes Jahr erkranken in Deutschland mehr als eine Millionen Menschen erstmals an einer Depression. In der Regel wird diese mit Medikamenten, einer Psychotherapie oder einer Kombination aus beidem behandelt. Künftig haben Patientinnen und Patienten mit einer leichten oder mittelschweren Depression eine weitere Behandlungsoption: Die Sporttherapie.
Was ist eine Depression und wie macht sie sich bemerkbar?
„Aus medizinischer Sicht ist die Depression eine ernste, behandlungsbedürftige Erkrankung, die das Denken, Fühlen und Handeln der Betroffenen tiefgehend beeinflusst. Sie geht mit Störungen von Hirn- und anderen Körperfunktionen einher und verursacht erhebliches Leiden“, erklärt die Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Hauptsymptome seien eine gedrückte Stimmung, innere Leere, Interessen- und Freudlosigkeit. Zudem klagten Betroffene oft über Konzentrationsstörungen, Schuldgefühle, ein vermindertes Selbstwertgefühl, Schlaf- oder Appetitlosigkeit.
Wie funktioniert die Sporttherapie?
Krankenkassen, Wissenschaft und Gesundheitspolitik haben in mehrjähriger Arbeit unter dem Projektnamen Step (Sporttherapie bei Depressionen) ein entsprechendes Behandlungsmodell entwickelt. Es besteht aus einem Eingangsgespräch bei einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten sowie einem von geschulten Therapeuten geleiteten Sportprogramm.
Depressionen: Mittlere bis starke Effekte durch Sport
Vorgesehen sind bis zu 32 Einheiten, ein- bis zwei Mal pro Woche über vier bis sechs Monate. Das einstündige Training findet in immer der gleichen kleinen Gruppe statt. Es ist ein individuell zugeschnittenes Programm mit moderatem Ausdauersport, Krafttraining und Entspannung. Darüber hinaus gibt es eine telefonische Begleitung durch Psychotherapeuten und Nachsorge.
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Wie hat diese Therapieform ihren Nutzen erwiesen?
Eine Vielzahl an Einzelstudien hat bereits gezeigt, dass Sport eine wirksame Behandlungsoption zur Verringerung depressiver Symptome ist. Nun hat Dr. Andreas Heißel, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Potsdam, gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Australien, Belgien, Großbritannien, Schweden und Brasilien eine Metastudie vorgelegt, die systematisch 41 Studien mit fast 2300 erwachsenen Teilnehmern ausgewertet hat. Der Fokus lag auf dem Einfluss von Sportprogrammen auf depressive Menschen im Vergleich zu nicht aktiven Personen in Kontrollgruppen. Die Studie ist im Fachjournal „British Journal of Sports Medicine“ erschienen.
„Die Auswertung zeigt, dass Sportinterventionen mittlere bis starke Effekte auf depressive Symptome und damit eine vergleichbare Wirkung wie Psychotherapie oder Medikamente haben“, sagt Andreas Heißel. Die größten Effekte hätten von Fachpersonal betreute Programme in Gruppen mit moderater Intensität sowie Programme mit Ausdauersport. „Für die große Zahl von Menschen mit unbehandelten Depressionen, einschließlich derer, die Medikamente beziehungsweise Psychotherapie ablehnen oder nicht vertragen, gibt es somit eine zusätzliche wirksame Behandlungsoption“, so Heißel.
Spezielle Schulungen für Sport- und Psychotherapeuten
Inzwischen empfehlen auch die aktuellen Leitlinien strukturierten Sport in der Gruppe. In der Versorgung angekommen ist Sport aber damit noch nicht. Heißel hat deswegen mit einem Konsortium die spezifische Step-Sporttherapie und Schulungen für Sport- und Psychotherapeuten entwickelt.
Eine Studie konnte inzwischen nachweisen, dass diese genau so wirksam ist wie eine Psychotherapie in Bezug auf die Verringerung der Depression, Steigerung von Arbeitsfähigkeit und Lebensqualität - und das auch sechs Monate nach Abschluss der Therapie. „Dabei ersetzt sie in fast 80 Prozent der Fälle die Psychotherapie komplett“, so Heißel.
Was sind die Gründe dafür, dass Sport depressive Symptome lindern kann?
Abschließend geklärt ist diese Frage noch nicht. Studien weisen aber darauf hin, dass biologische und psychologische Wirkmechanismen dafür verantwortlich sind. So konnte nachgewiesen werden, dass Sport die Neuroplastizität, also die Neubildung von Nervenzellen und die Umbildung von deren Verbindungen im Gehirn positiv beeinflusst. Darüber hinaus gab es positive Einflüsse auf Botenstoffe, die depressive Symptome lindern können sowie eine verbesserte Anpassung an oxidativen Stress. Nicht zuletzt verbessert Sport auch Selbstwirksamkeit und Selbstwert.
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Für wen ist die Sporttherapie besonders geeignet?
„Entscheidend dafür ist die individuelle Situation, die Schwere der Symptome, der Erkrankungsverlauf oder auch die persönlichen Vorlieben“, sagt Christiane Stielow, Sport- und Gesundheitswissenschaftlerin an der Uni Potsdam. Eine grundsätzliche Eignung aus medizinischer Sicht wird von Ärzten und Psychotherapeuten geprüft.
Wann können Betroffene auf die Sporttherapie zurückgreifen?
Die Step-Sporttherapie gibt es schon in Berlin und bundesweit als Online-Angebot. Einige Krankenkassen übernehmen dafür auch bereits die Kosten, andere interessieren sich dafür. In Zukunft soll die Sporttherapie aber zu einer Regelleistung der gesetzlichen Krankenversicherung werden.
„Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Wirksamkeit sind derart überzeugend, dass wir uns ganz klar dafür aussprechen“, sagt Prof. Josef Hecken, Vorsitzender des Innovationsausschusses des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Der G-BA ist nach dem Gesetzgeber das höchste Beschlussgremium im deutschen Gesundheitswesen. Hecken zufolge könne die Sporttherapie als Regelleistung jedoch frühestens 2025 von Versicherten in Anspruch genommen werden, da erst die Vergütung geregelt werden müsse. „Und wir brauchen die entsprechend qualifizierten Sporttherapeutinnen und Sporttherapeuten. Ohne sie funktioniert es nicht“, so Hecken.