Essen. Warum sich moderne Kunst oft erst auf den zweiten Blick erschließt: Wir geben ein paar Tipps, wie man sich selbst einen Eindruck von den oft schwer zugänglichen Werken unserer zeitgenössischen Künstler machen kann – und Berührungsängste abbaut.

„Ist das Kunst, oder kann das weg?“ Eine Frage, die sich so manches Gemüt bereits bewegte. Etwa Anfang der 70er Jahre , als Frauen eines SPD-Ortsvereins die „Badewanne“ von Beuys scheinbar verschmutzt mit Heftpflastern und Mullbinden vorfanden. Kurzerhand säuberten sie sie und nutzen sie zum Spülen der Gläser. Und in Dortmund schrubbte eine Reinigungskraft eine Arbeit von Martin Kippenberger „sauber“. Denn zeitgenössische Kunst sieht nicht immer aus wie Kunst, auch wenn sie es ist.

Was ist zeitgenössische Kunst?

Zeitgenössische Kunst ist jene, die von Zeitgenossen hergestellt wird oder von Zeitgenossen als bedeutend, prägend wahrgenommen wird. Der Begriff beschreibt keine Arbeitsweise, Form oder Technik. Dahinter kann sich Videokunst ebenso verbergen wie Malerei oder Skulpturen. Im Mittelpunkt der Gegenwartskunst stehen eher Konzept, Fragestellung und Botschaft, als die Ästhetik. Hier besteht der Unterschied zu den alten Meistern. Ein weiterer ist, dass Künstler heute vielseitiger sind in der Wahl ihrer Mittel.

Mit welchen Mitteln wird gearbeitet?

Im 20. Jahrhundert setzten die Künstler vielfach auf Provokation. Sie war notwendig, um Altes aufzubrechen und die Gesellschaft aufzurütteln. Die abgeschwächte Form, die Irritation, ist weiterhin beliebt. Gerne überraschen manche Künstler den Betrachter mit Unerwartetem, das sich erst bei der Annäherung erschließt.

Auch die Inszenierung ist weiterhin wichtig. Die Negation, immer der Anfang von Neuem, ist ebenfalls noch zu finden. Auf die Spitze treibt sie der deutsch-britische Künstler Tino Sehgal, der Museumswächter in leeren Ausstellungsräumen den Text von Bildtiteln rezitieren lässt. Immer wieder stößt man auch auf das Mittel der Transformation, durch welche ein Objekt durch einen neuen Zusammenhang eine andere Bedeutung erhält. Ein humorvolles Beispiel ist der „Amerikanische Hasenzucker“ von Beuys, der kleine Zuckerpäckchen zur Kunst erklärte.

Wie nähert man sich zeitgenössischer Kunst?

Gut beobachten und mitdenken. Das Kölner Museum Ludwig bietet online dazu einen kleinen Ratgeber an, einen 10-Punkte-Plan. Der erste Schritt ist hier der erste Eindruck. Der Betrachter allerdings muss sich hier seiner Gedanken und Gefühle zu einer Arbeit bewusst werden, bevor er nach ihrem Thema fragt – in Museen helfen oft die weißen Kärtchen mit schwarzer Schrift neben der Arbeit weiter.

Auch interessant

Dann gilt es, Form, Farbe und Struktur zu betrachten und sich zu fragen, was der Künstler damit sagen will. Eine rote Skulptur ist ja nicht zufällig rot. Die Farbe drückt etwas aus – ob nun Liebe oder Aggression. Das Material kann eine Aussage treffen über das Werk. Mitunter finden sich sogar Symbole, die verstehen helfen. Wichtig ist auch zu sehen, ob die Arbeit im Verhältnis steht zum Raum, mit ihm korrespondiert und wenn ja, was sie „einander sagen“. Für manche Arbeiten, etwa bei Videokunst, muss man sich Zeit nehmen, um sie zu verstehen. Erst zum Ende verweist das Museum Ludwig auf Technik und Titel.

Welche Beispiele gibt es für zeitgenössische Kunst?

Ein großes Kunstwerk im öffentlichen Raum ist vor dem Theater Marl zu finden. Es stammt von Wolf Vostell. „La Tortuga – die Schildkröte“ heißt das Objekt, das der Volksmund „umgekippte Eisenbahn“ nennt. Tatsächlich steht der alte Güterwagen auf dem Kopf. Schon das ist eine Aussage. Denn es handelt sich um einen Wagen, der im Zweiten Weltkrieg Munition an die deutsche Front brachte. Es ist eines der Werke, mit denen Vostell Kritik übte am Krieg. „La Tortuga“ ist Sinnbild für den Untergang des Maschinenzeitalters und den der Menschlichkeit.

Einer der bekanntesten Vertreter zeitgenössischer Kunst ist der Brite Damien Hirst. Er sorgte Anfang der 90er Jahre für Schlagzeilen, als einen Tigerhai in Formaldehyd konservierte und ausstellte. Mit dem Werk „Die physische Unmöglichkeit des Todes in der Vorstellung eines Lebenden“ kritisiert Hirst nicht nur die Wissenschaft, er führt die einstigen Gruselkabinette und die Lust am Schaurigen der Menschen ad absurdum.