Essen. Wie man lernt, sich abzugrenzen und sich Respekt verschafft: Coach Martin Wehrle weiß, wie man im Job und Privatleben in Konflikte gehen sollte.

Man denkt: Es ist doch super, wenn man im Job beliebt ist. Dabei ist oft genau das Gegenteil der Fall: „Wenn jeder dich mag, nimmt keiner dich ernst“ lautet der Titel des neuen Buchs von Martin Wehrle, Karriere- und Lebenscoach. Georg Howahl sprach mit ihm darüber, wie man sich Respekt verschafft, wie man sich gegen Manipulationen wehrt und wie man ohne große Schlagfertigkeit in Diskussionen das Heft in der Hand behält.

Herr Wehrle, dass im Job der Nette oft auch der Dumme ist, der ausgenutzt wird und Nachteile erfährt, ist nicht zum ersten Mal Ihr Thema. Ist das Problem der Abgrenzung und des Nicht-Nein-sagen-Könnens tatsächlich so weit verbreitet – und so drängend für viele?

Wehrle: Absolut! Es ist eines der wichtigsten Themen in der Arbeitswelt, aber auch im Privatleben. Weil Menschen heutzutage immer wieder gezwungen sind, sich abzugrenzen gegen Forderungen, die unzumutbar sind: Gegen Manipulationen durch Arbeitgeber, durch Vorgesetzte, durch Mitmenschen. Als ich mein erstes Buch zum Thema geschrieben habe, da habe ich sehr viele Zuschriften bekommen von Menschen, die sagen: Genau das kenne ich, ich bin derjenige, der für die anderen alles tut, aber wenn ich mal in Not bin, hilft mir keiner. Die Frage, die ich immer wieder gestellt bekomme: Wie mache ich es konkret, mich abzugrenzen? Die innere Haltung habe ich. Aber was sage ich in so einer Situation? Wie gelingt es, mir Respekt zu verschaffen?

Sie schreiben über Menschen, die Konflikten aus dem Weg gehen und zu leicht Ja zu allem Möglichen sagen: „Respekt ist wie ein Gepäckstück bei einer Reise: Sie müssen ihn im Auge behalten und verteidigen, sonst kann er ihnen rasch geklaut werden.“ Ist es denn so schwierig, sich den Respekt wiederzubeschaffen wie bei einem richtigen gestohlenen Koffer?

Weiß, wie man sich Respekt verschafft: Martin Wehrle.
Weiß, wie man sich Respekt verschafft: Martin Wehrle. © André Heeger

(lacht) Ich glaube, es ist leichter. Sie haben es ja bei der Arbeit im Idealfall nicht mit Kriminellen zu tun, sondern mit ganz normalen Menschen, die sich an gesellschaftliche Regeln halten müssen. Ich glaube, die Menschen, die Übergriffe machen, die probieren es immer bei mehreren Menschen. Und sie suchen sich diejenigen als Opfer aus, bei denen es am besten funktioniert. Ein Beispiel: Ein Vorgesetzter muss Überstunden verteilen. Er weiß: Diese Kollegin oder dieser Kollege da, macht nie etwas, verteidigt sich immer und geht pünktlich nach Hause, die spricht er gar nicht erst an. Und er weiß vom nächsten: Dieser Kollege ist immer so nett und so freundlich, der kann nicht Nein sagen. Bei ihm wird er es versuchen.

So würde es wohl jeder machen. Was kann die nette Person dagegen tun?

Erst wenn dieser Kollege es lernt, klar seinen Standpunkt zu vertreten, diese Manipulation zu durchschauen und Nein zu sagen, wird der Chef auch lernen: Dies ist jemand, bei dem werde ich die Arbeit nicht so einfach los, dann sucht er sich jemand anderen. Wenn man also den Respekt wie einen Koffer hütet, der gestohlen werden könnte, dann hat man beste Chancen, ihn mit Erfolg zu verteidigen.

Mitunter wird man im Job geschickt manipuliert, um manche Dinge zu tun, die man eigentlich nicht tun wollte. Wie erkenne ich, dass ich manipuliert werde – und warum ist diese Strategie trotzdem so weit verbreitet?

Es beginnt ja schon mit unserer Erziehung. Denn Erziehung ist ja voll von Manipulation. Ich gebe ein Beispiel: Da isst ein Kind den Teller nicht leer. Dann sagen die Eltern: „Jetzt denk mal dran: In der dritten Welt, da verhungern viele Kinder und du lässt hier deinen Teller voll, du isst ihn nicht leer.“ Das ist eine klassische Manipulation, weil man dem Kind ein schlechtes Gewissen macht. Man vermittelt dem Kind sogar das Gefühl: „Du hast womöglich was damit zu tun, dass Kinder sterben.“

Das ist allerdings eine perfide Unterstellung, die sehr viele sicherlich erlebt haben. Was macht das mit den Kindern?

Ein schlechtes Gewissen zu machen, ist eine Erziehungsmethode. Und Kinder sind unglaublich lernfähig, die schaffen es natürlich dann auch, diese Manipulation, die sie selbst erfahren haben, im Leben anzuwenden. Ich glaube: Später, wenn man erwachsen wird, dann gibt es die einen Menschen, die erkennen, dass es nicht gut ist, andere zu manipulieren. Die lieber ehrlich und direkt sind. Und es gibt die anderen, die erfahren haben: Es ist einfacher, wenn ich manipuliere, als wenn ich ehrlich bin. Und diejenigen machen es weiter. Das sind meist normale Menschen, aber auch Narzissten, es sind oft auch toxische Menschen. Und darum ist es so wichtig, dass man sich gegen diese Menschen konsequent abgrenzt und dass man vor allen Dingen diese Spiele versteht.

Oft geht das ja trotzdem nicht ohne Konflikte ab. Was raten Sie Menschen, die extrem konfliktscheu sind?

Das Wichtigste ist, erst einmal das eigene Verhaltensmuster zu durchschauen und sich die Frage zu stellen: Was verbinde ich eigentlich mit Konflikt? Ich sage den Klienten in der Beratung, dass sie zehn Begriffe aufschreiben sollen, die ihnen zum Begriff Konflikt einfallen. Meist steht da: Streit, zerrissenes Band, zerschnittenes Tischtuch, Tränen, Geschrei. Aber im Anschluss kann man darüber sprechen, ob es auch eine andere Seite eines Konfliktes gibt. Dann kommen die Menschen darauf: Man schafft klare Verhältnisse, durch das Donnerwetter wird die Luft gereinigt, man bekennt Farbe. Ziel ist es, den Konflikt für mich persönlich positiver zu besetzen. Etwa indem ich mich erinnere an Konflikte, die ich ausgetragen habe und die mich vorangebracht haben. Wenn ich also den Konflikt emotional positiv auflade, fällt es mir auch leichter, in Konflikte zu gehen und sie nicht als Katastrophe zu sehen – sondern einfach als eine Kreuzung, an der sich Wege trennen können, oder an der man einen gemeinsamen Weg findet.

Ein wichtige Waffe bei diesem Vorhaben ist die Schlagfertigkeit. Ist Schlagfertigkeit eine Gabe oder eher eine Fähigkeit, die man auch gut erlernen kann?

Viele Schlagfertigkeitstrainer sagen: Du musst das lernen, du musst schneller werden im Kopf, du musst sofort eine Antwort auf den Lippen haben. Die Wahrheit ist doch die: Wenn wir in Stresssituationen sind, dann blockiert unser Gehirn und wir sind besonders langsam im Kopf. Ich hingegen sage: Schlagfertigkeit ist die einfachste Sache der Welt – du musst dir nur vorher den Trumpf, den du ziehen willst, in deinen Ärmel hineinstecken. Eine Methode, die ich empfehle, ist einfach der verwirrende Spruch.

Wie habe ich das zu verstehen?

Wenn jemand etwas ganz Blödes zu mir sagt, dann entgegne ich mit einem sinnfreien Sprichwort, so etwas wie „Ein Bach ist immer nur so tief wie seine flachste Stelle.“ Oder: „Nicht jeder, der sich im Hochgebirge bewegt, ist ein Adler.“ Das muss in dem Moment gar keinen Sinn ergeben. Aber was passiert, wenn ich das sage? Der andere fragt sofort: Wie meinst du das? Was willst du damit sagen? Dann antworte ich: „Denk einfach mal darüber nach.“ Der wunderbare Effekt ist der, dass dann nicht mehr ich am Pranger stehe, dass nicht mehr ich das schlechte Gefühl habe, sondern ich gebe es an den anderen zurück. Wenn jemand mich angreift, kann ich mich auch mit ganz kurzen Sprüchen verteidigen. Da sage ich „Ach was“, „Potzblitz“ oder „Alter Schwede“. Das irritiert den anderen so, weil er mich ja verletzen will, damit ich aufschreie, damit ich mich beklage, damit ich larmoyant rede. Der Spruch irritiert ihn so, dass er letztlich der Verlierer ist. Das ist meine Definition von Schlagfertigkeit. Ich sage etwas, was ich ruhig vorbereitet haben kann, das aber das Problem von mir wieder zum anderen zurückgibt. Und das hilft ungemein.

Martin Wehrle: Wenn dich jeder mag, nimmt dich keiner ernst – Sagen, was man denkt. Bekommen, was einem zusteht. Mosaik-Verlag, 352 Seiten, 18 €. Mehr Informationen gibt es unter unter:martinwehrle.de

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