Oberhausen. In Zeiten von Corona, Krieg und Klimawandel wächst in vielen Menschen das Misstrauen. Doch ohne Vertrauen funktioniert unsere Gesellschaft nicht.

Wir leben in Zeiten, in denen fast täglich unser Vertrauen erschüttert wird: Unser Vertrauen in friedlichere Zeiten, in eine Zukunft ohne Pandemie, ohne digitale und reale Angriffe auf die Privatsphäre. Bei manchen Mitmenschen führt dies dazu, dass ihre Haltung in ein generelles Misstrauen umschlägt, sie vermuten hinter jeder Ecke böse Absichten. Dieses Gefühl steht in einem schlechten Ruf, kann aber durchaus eine wichtige Schutzfunktion haben.

Martin Schweer aus Oberhausen, der an der Ruhr-Uni Bochum Psychologie, Pädagogik und Soziologie studiert hat, leitet das Zentrum für Vertrauensforschung an der Universität Vechta und kann die Verunsicherung nachvollziehen: „Aktuell sind wir einer Vielzahl von subjektiven Bedrohungen ausgesetzt, Klimawandel, Corona-Pandemie und den Schrecken des Ukraine-Krieges. Alles Situationen, an denen wir als Einzelne nicht unmittelbar etwas ändern, geschweige denn, sie kontrollieren können. Dennoch gehen Menschen sehr unterschiedlich mit ihren Ängsten und Sorgen um, manche fühlen sich hilflos ausgeliefert, andere suchen aktiv nach Möglichkeiten, sich zu engagieren.“

Ängste haben starken Einfluss

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Welche immensen Folgen unser Umgang mit den Ängsten und Sorgen gerade in der Covid-Pandemie auf unser Verhalten hat, belegt eine Studie des Politologen Christian Welzel und anderer internationaler Kollegen. Die Ergebnisse wurden nun in der Zeitschrift „Psychologie heute“ veröffentlicht. Dafür wurden 2000 Frauen und Männer aus Großbritannien und Deutschland im Frühjahr 2020, also zu Beginn der Pandemie, und ein Jahr später noch einmal befragt. Die Wissenschaftler kamen zu dem Schluss, dass am Anfang der Pandemie das Vertrauen in die staatlichen Institutionen stark zunahm und im zweiten Jahr wieder sank, allerdings nicht auf das Niveau vor der Krise. Interessant für Deutschland: Wer gesundheitliche Folgen fürchtete, vertraute der Regierung stärker, wer wirtschaftliche Folgen fürchtete, bei dem sank das Vertrauen. Erstaunlich: Dies geschah unabhängig davon, ob die Folgen überhaupt eingetreten waren.

Martin Schweer (57) aus Oberhausen, Professor für Vertrauensforschung.
Martin Schweer (57) aus Oberhausen, Professor für Vertrauensforschung. © Schmidt/Univerisität Vechta | Schmidt/Univerisität Vechta

Die bundesdeutsche Gesellschaft befindet sich demnach trotzdem nicht in einer Vertrauenskrise, auch wenn die lautstarke Minderheit der Corona-Leugner und Gegner der Corona-Maßnahmen oft einen anderen Eindruck erweckt. Vertrauensforscher Martin Schweer plädiert dafür, miteinander zu reden: „Anzeichen einer Vertrauenskrise sind immer dann gegeben, wenn Menschen sich einer konstruktiven Auseinandersetzung mit gemeinsamen Lösungswegen entziehen und nach vermeintlich einfachen Antworten suchen. Diese Tendenzen muss eine Gesellschaft im Blick behalten, sie darf nicht aufgeben, in den Dialog zu gehen. Allerdings haben wir eine breite Basis, die sich im Kontext der großen Herausforderungen solidarisch verhält.“

Das Misstrauen äußert sich ja im Falle der Impfgegner ja hauptsächlich gegen „die da oben“, weniger im zwischenmenschlichen Bereich, ihr Misstrauen gegen die Regierung verbindet sie ja mit Gleichgesinnten. „Vertrauen und Misstrauen sind zentrale Orientierungshilfen für unser Handeln im sozialen Raum, sie beziehen sich auf einzelne Personen, aber auch auf Institutionen wie die Regierung oder politische Parteien“, sagt Martin Schweer. „Vertrauen findet seinen Ausdruck in Wertschätzung, Respekt und einer offenen, konstruktiven Kommunikation. Überwiegen die ,Antennen‘ des Misstrauens, so ist unsere Wahrnehmung einseitig auf mögliche Schädigungsabsichten anderer ausgerichtet.“

„Gesundes Misstrauen“ kann auch der Gesundheit schaden

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Viele dieser Skeptiker nehmen dabei in Kauf, dass das vielzitierte „gesunde Misstrauen“ bisweilen auch in ein gesundheitsgefährdendes Misstrauen umschlagen kann: Ungeimpfte laufen nicht nur leichter Gefahr, sich mit dem Virus zu infizieren; sie haben auch eine erhöhte Chance auf einen schweren Verlauf der Krankheit. Das heißt: Sie messen dem eigenen Misstrauen höheren Wert bei als dem potenziellen Gesundheitsnutzen.

Wer generell misstrauisch durchs Leben geht, schadet ohnehin seiner Gesundheit: Eine Langzeitstudie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Litauen und Finnland attestiert Männern mit einem besonders ausgeprägten Misstrauen eine 1,7 mal höhere Sterbewahrscheinlichkeit aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Natürlich gibt es auch Situationen, in denen Misstrauen nicht nur angeraten, sondern geradezu notwendig ist. Wer gerade täglich in den Nachrichten sieht, wie im Ukraine-Krieg Menschen zu hunderten von russischen Truppen getötet werden, während der russische Außenminister Sergej Lawrow dreist behauptet „Wir planen nicht, weitere Länder zu überfallen. Wir haben auch nicht die Ukraine überfallen“, der kann daran zweifeln, dass etwas anderes als Misstrauen gegenüber der russischen Seite möglich ist.

Im Krieg herrscht das Misstrauen

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Eine laut Martin Schweer typische Situation für bewaffnete Konflikte: „Kriegssituationen sind Situationen des Misstrauens, sie sind geprägt durch tiefgreifende Verletzungen, Missachtungen und Unehrlichkeiten. Kriegssituationen treffen die Menschen existenziell. Die Verhandlungen zwischen den Parteien sind in hohem Maße strategisch bestimmt.“ Was in solch einer Lage nicht das Ende der Friedens-Bemühungen sein darf – obwohl sie beschwerlich sind. „Es muss langfristig gelingen, eine Bereitschaft zu fördern, ein Mindestmaß an Vertrauen sukzessive aufzubauen. Ein solcher Weg muss sich in kleinen Schritten vollziehen, wie durch das Einhalten von zunächst wenig kritischen Abmachungen. Vertrauen baut auf solchen Erfahrungen auf und schließt dabei ein kritisches Hinterfragen absolut nicht aus.“

Im gesellschaftlichen Miteinander ist es unverzichtbar, sich auf andere Menschen verlassen zu können, es hält die Gemeinschaft zusammen. Schweer: „Das Erleben von Vertrauen gibt uns die Sicherheit, uns auf ein wertschätzendes Miteinander einzulassen, es stärkt unsere zufriedenstellenden Beziehungen und mithin unser Selbstvertrauen. Misstrauen ist manchmal durchaus angezeigt, es schützt vor möglicher Schädigung durch andere, deshalb sollte Misstrauen auch nicht einfach weggeschoben werden. Nur über eine hinreichende Vertrauensbasis ist es jedoch möglich, sich wertschätzend zu begegnen, solidarisch zu sein und gemeinsam die aktuell nahezu übermächtig erscheinenden Herausforderungen zu bewältigen.“

Martin Schweer: Vertrauen - Selbstvertrauen - Gottvertrauen – Ressourcen der Auseinandersetzung mit einer komplexer werdenden Wirklichkeit. Frank & Timme, 136 Seiten, 14,80 €