Essen. Menschen können das Leid miteinander teilen. Auf Dauer kann das einem selbst schaden. Aber es gibt auch eine gesunde Form des Mitgefühls.

Wenn sich ein geliebter Mensch freut, freuen wir uns mit ihm. Wenn er traurig ist, sind auch wir bekümmert. Die Fähigkeit zur Empathie ist uns Menschen angeboren, wir fühlen uns dadurch mit anderen verbunden. Aber Empathie kann uns auch schaden, wenn wir zu viel Leid sehen – und somit auch selbst spüren. Maren Schürmann sprach mit Petra Meibert. Die Psychologin hat das „Achtsamkeitsinstitut Ruhr“ gegründet und übernimmt die therapeutische Leitung der „Oberberg Tagesklinik“, die Anfang des kommenden Jahres in Essen eröffnet. Neben anderen Therapieformen wird dort auch eine angewandt, die das Mitgefühl in den Vordergrund stellt. Denn Mitgefühl, so die 62-Jährige, ist etwas anderes als Empathie. Es schadet uns nicht – im Gegenteil.

Wo liegt der Unterschied zwischen Empathie und Mitgefühl? Bisher habe ich die Worte sinngleich genutzt.

Petra Meibert In der Alltagssprache werden diese Begriffe synonym verwendet, aber es gibt eben einen gravierenden Unterschied, und das ist sehr spannend, das zeigt die Forschung in der Psychologie wie die der Professorin Tania Singer. Die damalige Direktorin der Sozialen Neurowissenschaften am Max-Planck-Institut in Leipzig hatte ein großangelegtes Projekt dazu. Sie hat herausgefunden, dass bei Empathie ganz andere Hirnareale angesprochen werden als bei Mitgefühl.

Welche Hirnareale werden aktiviert?

Die Psychologin und Achtsamkeitsexpertin Petra Meibert.
Die Psychologin und Achtsamkeitsexpertin Petra Meibert. © Jordana Schramm | Jordana Schramm

Wir Menschen haben ja die Fähigkeit, empathisch zu sein, also wenn jemand traurig ist, können wir das fühlen, oder wenn sich jemand freut – dann freuen wir uns mit ihm. Und wenn jemand Schmerzen hat, dann werden auch unsere eigenen Schmerzareale im Gehirn aktiviert – als wenn wir selber Schmerzen hätten. Und das geschieht auch, das zeigt die Forschung, wenn wir uns nur vorstellen, dass einer geliebten Person Schmerzen zugefügt werden. Bei Mitgefühl werden jedoch auch dann ganz andere Areale aktiviert, nämlich solche für Wärme oder Trost, also für positive Gefühle. Das heißt, es hat auch eine andere Wirkung auf uns selbst, wenn wir Mitgefühl empfinden. Empathie kann auslaugen, Mitgefühl führt zu eigenem Wohlbefinden.

Aber es ist ja ein automatischer Prozess, wenn zum Beispiel ein Pfleger das Leid eines Patienten nachempfindet – wie gelingt es ihm, da Mitgefühl zu entwickeln, das ihm nicht schadet?

Menschen im Gesundheitswesen, Pflegekräfte, Ärzte, sind gefährdet, sich auszulaugen, man spricht auch von Empathie-Müdigkeit und Burnout-Empathie. Es gibt Studien, die zeigen, wenn sie lernen, Mitgefühl zu praktizieren, erstmal für sich selbst, dass sie mit diesem Leid so viel zu tun haben, und dann eben auch für die Menschen, die sie da betreuen, dass sie auf eine bessere Weise mit diesem Leid umgehen und sich auf eine gesündere Weise davon abgrenzen können. Beim Mitgefühl wenden wir uns dem Leid zu, wir fühlen es auch ein Stück, aber wir wissen, das ist das Leid des anderen, wir können das mehr beim anderen lassen.

Es geht also nicht darum, herzlos zu werden, um sich zu schützen?

Eben nicht. Das würde auch wieder auf uns selbst zurückfallen. Wenn wir uns von diesem Mitfühlenden abschotten, dann schotten wir uns auch von anderen Gefühlen ab, dann werden wir hart. Das ist nichts Gutes, weder für unsere psychische noch für die körperliche Gesundheit. Zudem ist das Mitgefühl von Motivation geprägt, wir möchten das wahrgenommene Leid verringern. Es kommt also eine sorgende Handlungskomponente hinzu.

Und wie kann man das lernen, Mitgefühl zu praktizieren?

Wir fühlen mit – und dann vergegenwärtigen wir uns ganz bewusst: Ich sehe da jemanden, der hat es gerade schwer. Dann machen wir uns klar: Das ist menschlich. Menschen erleben so etwas, sie haben Unfälle, sie verlieren andere Menschen. Man arbeitet dann mit solchen gedanklichen Sätzen: Möge dieser Mensch jetzt einen guten Weg finden. Also man wünscht ihm etwas Positives. Das kann man in der Meditation üben, diese Haltung des Mitgefühls, indem man mit solchen inneren Sätzen arbeitet.

Wie lange dauert es, bis man so eine Haltung gewonnen hat?

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Wenn man das ausprobieren möchte, dann braucht es seine Zeit. Wie bei der Achtsamkeitsmeditation geht es darum, es zu üben, immer wieder. Man kann sich jeden Morgen hinsetzen und zehn Minuten so eine innere mitfühlende Haltung üben, freundlich an sich und andere denken. Ich kenne viele Menschen, die nach einer Weile sagen: Ich bin im Alltag anders, ich gucke anders auf die Leute, auf die Welt, ich kann Menschen besser verstehen.

Bei einem Menschen, den man mag, fällt es einem leichter als bei einer Person, die einen verletzt hat. Sollte man trotzdem versuchen, auch mit ihr zu fühlen?

Das ist eine persönliche Entscheidung, das möchte ich niemandem vorschreiben. Aber man kann sich fragen: Was passiert denn, wenn ich an meinem Groll auf diesen Menschen festhalte, mich da reinsteigere, vielleicht sogar Hassgefühle habe? Das schadet mir ja auch selber. Man kann versuchen, diese schwierige Beziehung erstmal innerlich zu befrieden, zum Beispiel, wenn ich mir klar mache, dass auch dieser Mensch ein fühlendes Wesen ist, das auch irgendwie in seinem Leben zurechtkommen möchte. Es geht nicht darum, alles zu entschuldigen. Aber man kann zu einem inneren Frieden kommen – und dann dieser Person Grenzen setzen.

Sie haben am Beispiel der Pflegekräfte erklärt, dass es zunächst einmal darum geht, auch das eigene Leid wahrzunehmen?

Das ist der erste Schritt, Mitgefühl mit sich selbst zu haben. Es gibt Programme, die dieses Selbstmitgefühl schulen, denn häufig ist das unterentwickelt. Wir haben eher die Tendenz, mit anderen mitzufühlen, aber nicht so sehr mit uns selbst.

Wie kann das gelingen?

Der Psychologie-Professor Paul Gilbert hat eine Therapieform entwickelt, bei der das Mitgefühl eine große Rolle spielt. Er hat festgestellt, dass die Menschen sich oft selbst verurteilen: Warum hast du das nur getan? Vielleicht können sie später sagen: Ich habe eben mein Bestes gegeben. Aber wie klingt dabei die innere Stimme? Viele Menschen merken: So richtig freundlich ist die nicht. Wenn sie diese innere Haltung jedoch ändern, mehr Selbstmitgefühl haben, freundlicher mit sich sind, hilft ihnen das, mit dem Schwierigen im Leben auf eine gesunde Weise umzugehen.

Und sich alles zu verzeihen?

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Es geht nicht darum, sich alles zu verzeihen, aber es geht auch nicht darum, sich innerlich zu verurteilen, wenn man einen Fehler gemacht hat. Stellen Sie sich ein Kind vor, das hinfällt und sich verletzt. Ich schimpfe nicht, dass es nicht aufgepasst hat. Wir können später schauen, was es das nächste Mal besser machen könnte. Zunächst tröste ich das Kind, ich nehme es in den Arm, streichele es vielleicht. Es hilft, dieses Bild zu visualisieren, diese ganz freundliche innere Haltung einzunehmen. Und dann kann man schauen: Kann ich so, wie ich für dieses Kind empfinde, auch für mich selbst empfinden?

>> Neue Tagesklinik für die seelische Gesundheit

Die Oberberg Tagesklinik, die Anfang des kommenden Jahres in Essen in der Nähe des Stadtgartens eröffnet, bietet Therapiemöglichkeiten bei psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Ängsten, Zwangsstörungen, zudem bei Stress-Folgeerkrankungen, Burnout sowie chronischen Schmerzerkrankungen und Traumafolgestörungen (oberbergkliniken.de).

Der Schwerpunkt liegt auf achtsamkeits- und mitgefühlsbasierten Therapieformen, so Petra Meibert, die therapeutische Leiterin der Klinik. Die Patienten erfahren dort mehrere Wochen lang teilstationär Gruppen- und Einzeltherapien. Es handelt sich dabei allerdings um eine Privatklinik, das heißt, es werden ausschließlich Privatpatienten, Beihilfeberechtigte und Selbstzahler behandelt.

Das Achtsamkeitsinstitut Ruhr, das Meibert ebenfalls leitet, wird künftig eng mit der Klinik zusammenarbeiten. Dort werden MBSR-Kurse (Mindfulness-Based Stress Reduction) angeboten, also eine Methode zur achtsamkeitsbasierten Stressreduktion, etwa durch Meditation. Zudem werden MBSR-Lehrende ausgebildet (Info unter achtsamkeitsinstitut-ruhr.de).