Essen. Ob vor Kriegen, dem Klimawandel, Flügen oder Spinnen: Ein Essener Experte verrät, wie wir unsere Ängste besiegen können.
Kriege, Krisen, Klimawandel: Die aktuelle Weltlage macht vielen Menschen Angst. Oft fürchten wir uns aber auch vor ganz alltäglichen Dingen wie Spinnen. Gustav Dobos, der über 20 Jahre als Chefarzt für die Evangelischen Kliniken Essen-Mitte arbeitete und nun ein Zentrum für Naturheilkunde und Integrative Medizin am Universitätsklinikum Essen leitet, beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Angst. Nun hat er ein „Anti-Angst“-Buch veröffentlicht. Sophie Sommer hat er verraten, wovor wir uns am häufigsten fürchten und wie wir unsere Ängste besiegen können.
Wann hatten Sie selbst mal so richtig Angst?
Dobos: Ich hatte mir als Medizinstudent beim Wildwasser-Kanufahren bei dem Versuch, eine Eskimorolle zu machen, die Schulter ausgekugelt. Ich hing kopfüber unter Wasser und konnte mich aufgrund der Strömung erst aus der Spritzdecke befreien, nachdem ich mir unter Wasser den Arm wieder einrenkte. Die Angst hat mir damals Superkräfte verliehen, gezittert habe ich erst danach.
Was ist Angst aus medizinischer Sicht eigentlich genau?
Angst ist erstmal nichts Negatives, sondern ein angeborener Überlebensmechanismus: Angst warnt uns vor Gefahren. Wir lernen so im Laufe unseres Lebens, wovor wir uns hüten müssen und können Risiken besser einschätzen. Körperlich ist Angst ein Stresszustand, der uns in die Lage versetzt zu fliehen oder zu kämpfen. Bei sehr großer Angst können wir auch wie gelähmt sein – vergleichbar den Tieren, die sich bei Bedrohung tot stellen.
Die aktuellen Entwicklungen in der Welt machen vielen Menschen Angst. Haben Sie deshalb gerade jetzt Ihr Anti-Angst-Buch veröffentlicht?
Krisen gibt es ja immer, aber die Pandemie hat bei vielen Menschen das Vertrauen zerstört, dass wir alles in den Griff bekommen können. Seither sind die Zahlen von Depressionen und Angststörungen drastisch angestiegen. Und aus diesem Klima der Unsicherheit kommen wir nun in eine Phase der anhaltenden Veränderung – mit Klimakrise, einem Krieg in Europa, neuen geopolitischen Feindschaften und dem digitalen Wandel. Das sind Themen, da kann die Psychologie nicht grundlegend was ändern. Wir müssen das selbst tun.
Ab und an Angst zu haben oder sich vor bestimmten Dingen zu fürchten, ist normal. Ab wann wird Angst krankhaft?
Wenn wir die Chance für eine normale Entwicklung haben, lernen wir, mit der Angst umzugehen. Als erstes fürchten wir, verlassen zu werden, wenn wir noch ein Baby oder ein Kleinkind sind. Dann entwickeln sich typische Ängste vor bestimmten Tieren wie Schlangen, Hunden, Feuer oder Gewitter. Spätestens mit fünf Jahren kommen die sozialen Ängste, vor Mobbing, Ausgegrenztwerden, sich schämen zu müssen. Wenn diese Phasen normal verlaufen und die Belastungen nicht zu groß sind, wie etwa im Krieg, dann entwickeln wir keine Angststörung. Schlimm werden Ängste, wenn sie keine reale Ursache haben und/oder unseren Alltag beherrschen. Das ist eine Störung.
Was sind die häufigsten Angststörungen?
Das sind Phobien, die Furcht vor bestimmten Objekten, Tieren oder Situationen, etwa die Agoraphobie, bei der Betroffene vor Menschenansammlungen und offenen Plätzen Angst haben. Häufige Phobien sind auch Spinnen und Schlangenangst, Flugangst, Spritzenangst, Höhenangst oder Angst vor engen Räumen wie Fahrstühlen, die Klaustrophobie. Als Sozialphobie bezeichnet man es, wenn die Betroffenen Angst vor Situationen haben, in denen sie im Mittelpunkt stehen, bei öffentlichen Reden oder auf Konferenzen. Sie fürchten, etwas falsch zu machen oder sich zu blamieren. Besonders belastend sind generalisierte Angststörungen, wo sich Anfangsängste immer weiter ausbreiten und die Betroffenen kaum mehr die Wohnung verlassen.
Essener Experte: Corona-Pandemie als „Psychoschock“
Die Corona-Pandemie hat bei vielen Menschen Ängste verstärkt, Sie bezeichnen Sie in Ihrem Buch sogar als „Psychoschock“.
Die Pandemie hat zum einen gezeigt, dass die Medizin längst nicht alle Herausforderungen beherrschen kann, zumindest gab es weltweit viele Tote und Langzeitgeschädigte. Die Lebensbedingungen während der Hochzeit der Seuche, also Maskentragen und soziale Isolation durch Lockdowns, haben uns von einer wichtigen Säule der Gesundheit abgeschnitten – dem sozialen Kontakt. Einsamkeit ist ein Krankheitsrisiko.
Ich kenne zum Beispiel eine pensionierte Ärztin, die nach einer langen beruflichen Karriere plötzlich eine soziale Störung entwickelt hat und aus Angst vor Ansteckung das Haus kaum mehr verlässt, obwohl sie und ihr Mann dreimal geimpft sind. Neue Ängste kommen hinzu – die Angst um den betagten Mann, die Melancholie des Alters, Einsamkeit und so weiter. Der Stress der Pandemie hat bei allen Menschen ihre „Sollbruchstellen“ belastet, ihre jeweiligen Schwachstellen hervorgekehrt. Und bei denjenigen, die infiziert wurden, stellt sich nun auch heraus, dass neurologische Spätschäden nicht selten sind, was ebenfalls Depression und Angst fördert.
Oft wird behauptet, dass wir Deutschen Angsthasen sind. Dafür gibt es ja sogar einen Begriff: die „German Angst“. Stimmt es, dass wir ängstlicher sind als andere?
Uns Deutschen wird gerne nachgesagt, dass wir besonders ängstlich sind, da wir kulturell eher Bedenkenträger sind als Dinge auf die leichte Schulter zu nehmen. Wissenschaftlich hat sich das aber nicht bestätigt. Wir haben auch nicht mehr Angst als andere Nationen.
Was kann man gegen seine Ängste tun? Und kann man Sie im besten Fall sogar überwinden?
Klassische Phobien sind relativ einfach zu behandeln: Man setzt die Betroffenen dem angstmachenden Reiz, zum Beispiel Spinnen, Schritt für Schritt mehr aus – irgendwann fällt die körperliche Angst in sich zusammen, weil er den Zustand der Erregung nicht lange aufrechterhalten kann. Die Ängste, die unsere Gesellschaft gerade durchmacht, sind ganz andere: Die Vorstellung ist real, dass der Krieg in der Ukraine eskaliert oder dass der Klimawandel die Heimat verändert. Das können wir nicht überwinden, wir können uns nur widerstandsfähiger machen. So ist es wichtig, dass wir lernen, uns nicht unnötig Angstauslösern auszusetzen, zum Beispiel einem Strom negativer Nachrichten aus den (sozialen) Medien.
Sie haben ein Sechs-Wochen-Programm entwickelt, das dabei helfen soll. Was macht das Programm aus?
Es ist ein Anti-Stress-Programm mit Empfehlungen zu Ernährung, Bewegung und Entspannung, aber auch mit speziellen Anti-Angst-Elementen, zum Beispiel Lebensmitteln, von denen man weiß, dass sie die Nerven stärken und antidepressiv wirken, oder auch speziellen Kraftübungen. Besonders hilfreich ist hier die Mind-Body-Medizin, eine moderne Erweiterung der Naturheilkunde, mit ihren Erkenntnissen, wie man über den Körper auf die Psyche einwirken kann. Die Achtsamkeitsmeditation ist hier zum Beispiel ein wichtiges Instrument, sie verändert das Gehirn positiv und hilft uns, inneren Abstand von Bedrohungen zu nehmen. Der positive Nebeneffekt: Das Programm stärkt nicht nur die Psyche, sondern den ganzen Körper.
>>> Das „Anti-Angst“-Buch
Als „Mutprogramm für zu Hause“ beschreibt Gustav Dobos sein „Anti-Angst Buch“ – und verspricht „mehr Belastbarkeit, weniger Panik und starke Nerven“. Wie man das erreichen kann, zeigt auch ein 6-Wochen-Programm, das Dobos zusammen mit seiner Kollegin Petra Thorbrietz entwickelt hat. Erschienen ist das Buch im ZS Verlag und kostet 22,99 €.
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