Essen. Auf TikTok und Instagram verspricht der Esoterik-Trend Manifestation eine Abkürzung zu Glück und Erfolg. Warum das gefährlich sein kann.

Haben Sie – genau wie ich – auch schon immer nach der einfachen, todsicheren Erfolgsformel gesucht, mit der man ohne Mühe schön, beliebt und obendrein noch reich wird? So eine Wunderformel müsste es doch irgendwo geben. Vermutlich hat man nur noch nicht gut genug danach gesucht. Schauen wir mal ins Internet…

Vor allem auf TikTok und Instagram feiert gerade ein altbekannter Trend aus der Esoterik erstaunliche Erfolge: Manifestation. Fast täglich springen neue Influencer hauptsächlich aus den USA auf den fahrenden Zug auf. Menschen, die unermüdlich erzählen, sie hätten den ultimativen Code für ein erfolgreiches Leben gefunden.

Manifestation als Geschäftsmodell auf Instagram

Und sie finden immer mehr Follower. So schauen sich mittlerweile 341.000 Follower auf Instagram die Posts von „Manifestationbabe“ Kathrin Zenkina an, auf TikTok steuert sie auf noch bescheidene 40.000 Follower zu. Sie hat längst ein Geschäftsmodell daraus gemacht, man muss nur eines ihrer Masterclass-Pakete buchen oder durch einen 20-wöchigen Lehrgang gehen, um ebenso erfolgreich zu werden wie sie.

Im Netz finden sich unter Hashtags wie #witchtok, #witchesofinsta­gram oder #lawofattraction tausende Videos von jungen Menschen, die okkulte Praktiken betreiben, auch das Manifestieren.

„Wenn du dir etwas fest genug wünschst, wird es sich von selbst erfüllen.“

Aber was ist Manifestieren eigentlich? Im Kern ist es etwas ganz Einfaches: Man muss nur jeden Tag an die Erfüllung seiner Wünsche denken, die Wünsche aufsagen, sie aufschreiben und es sich ganz fest wünschen.

Die Versprechen der Manifestations-Influencer lauten alle ähnlich: „Wenn du dir etwas nur fest genug wünscht, dann wird es sich von selbst erfüllen.“ Nüchtern betrachtet klingt das wie ein Versprechen, das man Fünfjährigen vor Weihnachten machen könnte, nur dass man seinen Wunschzettel öfter aufschreiben muss.

Zentral fürs Manifestieren: „Law of Attraction“

Der wenig überraschende Haken an der Sache: Die Influencer sind gar keine echten Weihnachtsmänner. Dass Manifestation nicht funktioniert, sieht man schon daran, dass so viele kleine Mädchen heute noch immer vergebens auf ein Pony warten! Und eines kann man zur Verteidigung der Mädchen festhalten: Am Wünschen wird’s bei ihnen nicht gemangelt haben.

Um auch Erwachsene davon zu überzeugen, dass allein das Wünschen hilft, muss man schon ein bisschen mehr Vokabular ins Feld führen, zentral fürs Manifestieren ist das „Law Of Attraction“ oder „Resonanzgesetz“.

Ein Bauer, der sich wünscht, ein König zu sein: Ein Sinnbild für Manifestation, die sich niemals erfüllen wird.
Ein Bauer, der sich wünscht, ein König zu sein: Ein Sinnbild für Manifestation, die sich niemals erfüllen wird. © Getty Images/iStockphoto | baona

Prägend für die Manifestations-Szene: die Okkultistin Blavatsky

Es besagt: Gleiches zieht Gleiches an. Und: Das Äußere spiegelt das Innere. Wenn man also positive Gedanken in die Welt hinaus schickt, wird sich die Welt positiv verändern, so die Aussage. Und hier liegt die Gefahr beim Manifestieren, denn der Rückschluss liegt nahe: Wenn sich die Welt trotz positiver Gedanken nicht verändert, hat man nicht fest genug gewünscht.

Dass es so etwas wie ein Gravitationsgesetz für positive Gedanken geben soll, geht auf die russlanddeutsche Okkultistin Helena Petrovna Blavatsky (1831-1891) zurück, die dies im Jahr 1877 in ihrem Buch „Isis unveiled“ dem Rest der Welt entschleierte.

Manifestieren: Wünsche ins Universum schicken

Sie ging davon aus, dass unsere Gedanken wie Schwingungen ins Universum hinaus dringen – und so die Außenwelt verändern. Wissenschaftlich leider ohne jeden Beleg, aber die Vorstellung klingt verführerisch. Seitdem kursierte das vermeintliche Gesetz in der Welt und erhielt mal mehr, mal weniger Beachtung.

Einen unverhofften Auftrieb bekam das „Law Of Attraction“ im Jahr 2006 mit dem Buch „The Secret“ der australischen Esoterik-Autorin Rhonda Byrne, was offenbar jetzt in die sozialen Medien übergeschwappt ist.

Manifestations-Fans: Von Jay-Z über Shawn Mendes bis Ariana Grande

Dort findet sich auch noch Verstärkung durch einige Prominente, die die Idee der Manifestation aufgegriffen haben und sie propagieren. Da wären etwa Jay-Z, Shawn Mendes und Lady Gaga, deren Erfolg ihnen scheinbar recht gibt. Ariana Grande hat sogar im Song „Pete Davidson“ beschrieben, wie sie sich die Beziehung zu ihrem Pete herbeimanifestiert hat.

Was bei all diesen Menschen ausgeklammert wird: Sie haben eben nicht im stillen Kämmerlein gesessen und ihre Zeit nur mit Herbeiwünschen verbracht, sondern sie haben aus ihren Wünschen Ziele abgeleitet, auf die sie aktiv hingearbeitet haben. Sie haben Musik aufgenommen oder sich Schauspielrollen erarbeitet.

Selbstwirksamkeit statt Manifestation

Hier liegt einer der entscheidenden Unterschiede zum Manifestieren: Wer für etwas brennt, es herbeisehnt und darauf hinarbeitet, wirkt aktiv an der Verwirklichung der Wünsche mit, wenn auch ohne Erfolgsgarantie.

Der zweite Unterschied: Wenn etwas nicht funktioniert, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass man selbst schuld daran ist. Wie viele Künstler sind trotz Talent, Ehrgeiz und Hartnäckigkeit daran gescheitert, so bekannt zu werden wie die Erwähnten?

Ist es also grundsätzlich falsch, sich den Erfolg mit viel Energie herbeizusehnen? Nein. Aber es funktioniert mit dem psychologischen Prinzip der „Selbstwirksamkeit“ (siehe Infokasten) viel wahrscheinlicher als mit irgendetwas anderem.

Selbstwirksamkeit: Herbeigesehenten Zielen müssen Taten folgen

Volker Kitz, Jurist und Co-Autor mehrerer Psychologie-Ratgeber, berichtet: „Es gibt ein bekanntes Experiment: Eine Schulklasse wird in zwei willkürlich ausgewählte Gruppen geteilt. Man sagt den Schülern in der einen Gruppe, sie seien ausgewählt worden, weil sie besonders intelligent seien, und sie würden in diesem Schuljahr besonders gefördert. Der anderen Gruppe sagt man nichts. Am Ende des Schuljahrs haben die, denen man extra etwas gesagt hat, tatsächlich bessere Noten. Einfach weil sie sich anders gefühlt haben und sich mehr angestrengt haben.“

Der entscheidende Unterschied zur Manifestation ist aber, dass immer auch Taten auf die herbeigesehnten Ziele folgen müssen – und dass es nicht bei bloßem Wunschdenken bleiben darf.

Innere Haltung statt mysteriöse Schwingungen

„Es ist natürlich auch kein Geheimnis, dass die innere Haltung einen Unterschied dabei ausmacht, wie ich an Dinge herangehe“, sagt Kitz. Aber das hängt eben nicht mit mysteriösen Schwingungen zusammen, die aus unserem Hirn heraus ins All strömen, sondern mit der inneren Haltung und den Mühen.

Was die Manifestations-Influencer in ihren Videos verkaufen, ist die Verheißung, dass es eine weitestgehend mühelose Abkürzung auf dem Weg zu Reichtum, Glück und Wohlstand gibt – also in ein Leben, wie es ohnehin auf Instagram, TikTok & Co. propagiert wird. In ein Leben, das in den Posts stets die Sonnenseiten zeigt und die Schattenseiten ausklammert.

Keine sichere Erfolgsformel für ein erfolgreiches Leben

Derjenige, bei dem sich dieser Erfolg dann nicht von selbst einstellt, wird sich zwangsläufig als Versager fühlen – und vielleicht so leiden wie ein Kind, das mal wieder kein Pony unter dem Weihnachtsbaum gefunden hat.

Kleiner Trost zum Schluss: Jeder Mensch bildet im Laufe seines Lebens eine gewisse Selbstwirksamkeit aus. Wer sie pflegt, wird auch lernen, mit den Herausforderungen des Lebens besser zurecht zu kommen. Nur: Eine einfach, todsichere Erfolgsformel für ein erfolgreiches Leben, die gibt es leider nicht.

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