Essen. Unser Autor meint: Große Herausforderungen werden in Deutschland nicht angepackt. Sollten unsere Kinder da noch Beruhigungspillen schlucken?

Geschichten aus der Familienbande: WAZ-Redakteur Gordon Wüllner-Adomako ist 2014 mit Anfang 20 Vater geworden. Seitdem erzählt der Essener in seiner Kolumne – immer mit einem Augenzwinkern – von dem chaotischen Leben mit seiner Familie.

Wenn mich die Nachrichtenlage als Kind oder Jugendlicher schockierte, dann konnten mich meine Eltern immer mit den Worten beruhigen, dass wir hier ja im Westen Europas leben, wo es friedlich und geordnet zugeht, wo es uns gut geht und weiter gut gehen wird. Es liegt nicht nur an dem Medikamentenmangel, dass ich meinen Kindern diese Beruhigungspille nicht mehr bedenkenlos verabreichen kann.

Egal, um welchen Sektor es geht: Die Diagnose, dass es mit Deutschland bergab geht, offenbart sich überall. Ich könnte den Rest dieses Textes alleine nutzen, um aufzuzählen, wie viele Krisen sich anbahnen, aber schauen wir nur mal auf einen Bereich: In den nächsten 13 Jahren werden 18 Millionen Menschen in Rente gehen und nur elf Millionen Arbeitskräfte „nachwachsen“.

Geschichten aus der Familienbande: Gordon Wüllner-Adomako erzählt seit 2014 aus seinem Leben als zweifacher Vater im Ruhrgebiet.
Geschichten aus der Familienbande: Gordon Wüllner-Adomako erzählt seit 2014 aus seinem Leben als zweifacher Vater im Ruhrgebiet. © Catharina Maria Buchholz | FMG

Um das auch nur ansatzweise auszugleichen, dürfte sich dieses Land keinen einzigen jungen Menschen leisten, der ohne Abschluss seine Schullaufbahn beendet, müsste dieses Land ein Mekka für qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland sein. Stattdessen verschlechtert sich das Leistungsniveau in den Schulen immer weiter.

Und bei Umfragen unter ausländischen Fachkräften schneidet Deutschland aufgrund seiner rückständigen Digitalisierung oder überkomplizierten Bürokratie miserabel ab. Viele Probleme sind Erben der Merkel-Ära, eines Politikstils, der vertagt und beschwichtigt, der der Gesellschaft die besagten Beruhigungspillen verschreibt. Und nun ist eine Koalition in Verantwortung, die aufgrund ihrer unterschiedlichen Interessen auch nicht vom Fleck kommt, sich völlig im Klein-Klein verheddert.

Dass alles schon gut wird, dass wir das in Deutschland schon hinbekommen werden, wäre heute nichts weiter als eine Lüge an meine Kinder. Darum müssten Eltern von heute ihren Kindern Aufputsch- statt Schlafmittel geben. Damit eine Generation aufwächst, die sich nicht ergibt, die sich durchkämpft – und vielleicht sogar dafür sorgt, dass dieses Land nicht zum historischen Absteiger wird.

Weitere Folgen der "Familienbande"-Kolumne finden Sie hier: