Herne. Boris Schiffer forscht in Herne zu dissozialen Persönlichkeitsstörungen und Kriminalität. Er verrät, was Täter von Nicht-Tätern unterscheidet.

Es ist der Traum vieler Kriminalisten seit Urzeiten, die Verbrecher nicht erst durch ihre Taten erkennen zu können – und nach Verbüßung ihrer Haft rückfällige Straftäter von jenen zu unterscheiden, die keine Straftaten mehr begehen.

Diese Wunschvorstellung ist jetzt dank Professor Boris Schiffer, Direktor der Forschungsabteilung für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie am LWL-Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum und der LWL-Maßregelvollzugsklinik Herne, ein Stück näher in die Realität gerückt.

Herner Wissenschaftler untersucht dissoziale Persönlichkeitsstörung

Er hat Straftäter untersucht, die schon im Kindesalter mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind und im Laufe ihres Lebens immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt geraten, so genannte „life course persistent offenders“.

Ihnen fehlt es an einem moralischen Kompass, sie setzen relativ rücksichtslos ihre Interessen durch. Bei ihnen lautet die Diagnose oft: Dissoziale Persönlichkeitsstörung. Um diese Menschen genauer identifizieren zu können, hat Schiffer sie unter anderem mit dem funktionellen Magnetresonanztomographen untersucht. Nun gibt es Anzeichen dafür, dass diese Menschen anders denken als der Rest der Bevölkerung.Georg Howahl sprach mit Boris Schiffer über seine Erkenntnisse.

Herr Schiffer, Sie haben Kriminelle mit einer so genannten dissozialen Persönlichkeitsstörung untersucht. Wie haben sie die gefunden und wie konnten Sie so sicher sein, dass die Störung vorliegt?

Boris Schiffer: Als Voraussetzung für die Teilnahme in dieser Probandengruppe musste eine entsprechende kriminelle Vorgeschichte vorliegen. Dazu haben wir Kooperationspartner in Justizbehörden, dem Maßregelvollzug sowie den ambulanten Diensten der Justiz klare Kriterien genannt, so dass wir wussten, dass das Vorliegen einer dissozialen Persönlichkeitsstörung relativ wahrscheinlich ist. Wir haben die Diagnose dann natürlich auch selbst geprüft bzw. bestätigt.

Offenbar rekrutiert sich die Mehrzahl der Straftäter aus der Gruppe von Menschen mit dissozialer Persönlichkeitsstörung; dass sind bei den Männern 5 Prozent, bei den Frauen 1 Prozent der Bevölkerung. Heißt das: Wenn man Erkenntnisse über diese Menschen hat, versteht man dann die Mehrzahl von Verbrechern besser?

Es geht darum, besser zu verstehen, wie die psychologischen und neurobiologischen Mechanismen beschaffen sind, die dazu führen, dass dieser Lebensweg beschritten und über lange Zeit beibehalten wird.

Gibt es eine Erklärung dafür, dass bei Männern viel öfter eine dissoziale Persönlichkeitsstörung festgestellt wird als bei Frauen?

Das hat wahrscheinlich viel mit hormonellen Prozessen zu tun. Wobei z.B. das Testosteron als männliches Geschlechtshormon nicht nur mit höheren Aggressivitätswerten in Verbindung gebracht wird, sondern in neueren Studien auch durchaus mit prosozialem Verhalten. Das ist ein komplexes Hormon und damit als einzige Erklärung ungeeignet. Es spielen sicherlich Sozialisationseffekte und auch die Geschlechtsrollenvermittlung eine wichtige Rolle - auch verschiedene evolutionsbiologisch bedingte Faktoren.

Forscher aus Herne untersucht Mitgefühl von Straftätern

Aber was sind nun genau die Mechanismen, die dazu führen, dass dieser Lebensweg nicht unterbrochen wird? Sie haben den Straftätern Bilder von Straftaten gezeigt und die Reaktion darauf mit funktionellen Magnetresonanztomographen gemessen. Zeigte sich dort, dass diese Menschen anders reagiert haben als die Menschen aus der „nicht-kriminellen“ Kontrollgruppe? Wie sah Ihr Versuchsaufbau aus?

Zunächst ist zu sagen, dass wir drei verschiedene Gruppen untersucht und miteinander verglichen haben, um die bereits genannten Einflussfaktoren Intelligenz und Suchtmittelkonsum kontrollieren zu können: eine Gruppe des Typs „life course persistent offender“; dann eine Gruppe mit keinerlei strafrechtlichen Auffälligkeiten, aber einem vergleichbaren Suchtmittelkonsum; und eine Kontrollgruppe ohne kriminelle oder suchtmedizinische Auffälligkeiten.

Alle drei Gruppen waren so ausgewählt, dass sie sich nicht hinsichtlich Bildung und IQ unterschieden. Im Zentrum der Studie standen dann die sog. sozial-kognitiven Funktionen, wie etwa das empathische Mitfühlen oder die Fähigkeit, das Verhalten oder auch die gezeigten Gefühle anderer Menschen richtig verstehen und deuten zu können.

Und wie haben Sie das gemacht?

Bei einem Verfahren zur Messung der Empathie haben wir den Probanden Videos präsentiert, wo verschiedene Personen mitleiderregende Geschichten erzählen. Die Probanden mussten im Anschluss beurteilen, wie sie sich in dem Moment selber gefühlt haben, wie stark sie mit dieser Person mitgefühlt haben und dann aus verschiedenen Antwortalternativen wählen, welcher Zustandsbegriff am besten den emotionalen Zustand der Person beschreibt. Dann mussten sie aber auch noch einige Faktenfragen beantworten.

Boris Schiffer ist Direktor der Forschungsabteilung für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie am LWL-Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum und der LWL-Maßregelvollzugsklinik Herne.
Boris Schiffer ist Direktor der Forschungsabteilung für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie am LWL-Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum und der LWL-Maßregelvollzugsklinik Herne. © LWL | Roman Mensing

Herner Wissenschaftler: Täter zeigen Defizit auf der Ebene des Mitgefühls

Und es gab ein weiteres Verfahren?

Beim zweiten Verfahren waren dann tatsächlich auch Bildsequenzen mit gewalttätigen Übergriffen zu sehen. Da bestand dann die Besonderheit darin, dass die Probanden diese Szenen in verschiedenen Bedingungen entweder aus der Opfer- oder aus der Täterperspektive zu bewerten hatten. Wir haben im Rahmen des Versuchsaufbaus dann verschiedene Dinge gemessen, neben den Antworten auf die Fragen auch die Aktivitätsmuster des Gehirns während deren Beantwortung und bei der Verarbeitung der emotionalen Reize selbst.

Und es zeigte sich tatsächlich, dass die Tätergruppe auf der Ebene des Mitgefühls, also des empathischen Mitschwingens, ein spezifisches Defizit aufwies, während etwa die Fähigkeit, die Emotionen der Person richtig einzuordnen, intakt war.

In dem Versuch mit den Gewaltszenen, konnten wir darüber hinaus aber auch noch zeigen, dass das Mitfühlen gegenüber dem Täter in der Straftätergruppe offenbar erhöht ist. Das Mitgefühl in der Gruppe lag im Verhältnis also stärker bei den Tätern.

Und diese Reaktionen konnten Sie an drei Stellen des Gehirns auf den Bildern aus dem funktionellen Magnetresonanztomographen ablesen?

Wenn man die Gehirne dieser drei Gruppen miteinander vergleicht, haben wir tatsächlich in drei Regionen Unterschiede gefunden, an zwei Stellen im Empathienetzwerk und an einer, die eher im Zusammenhang mit der Suchtproblematik verändert scheint.

Bei den zwei Stellen im Empathienetzwerk kann man durch das Gruppendesign sagen, dass diese tatsächlich für Gewalttäter mit dissozialer Persönlichkeitsstörung charakteristische Auffälligkeiten zu zeigen scheinen. Bevor dies jedoch mit Gewissheit gesagt werden kann, bedürfen die Ergebnisse der Bestätigung durch unabhängige Forschergruppen.

Wie lassen sich ihre Erkenntnisse in Zukunft wohl anwenden?

Es ist auch ein wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit, die Rückfallwahrscheinlichkeit unserer Patienten möglichst präzise vorhersagen zu können. Unter anderem auf Basis dieser Beurteilung entscheidet ein Gericht, ob jemand auf Bewährung freikommt. Deshalb ist es gut, wenn wir bessere Methoden bekommen, um diese Beurteilung möglichst präzise vornehmen zu können.

Wenn man Therapieerfolge in relevanten psychischen Funktionen von Tätern feststellen will, könnte dies ein objektives Instrument sein, denn Veränderungen psychischer Funktionen bzw. Fähigkeiten lassen sich neurobiologisch abbilden genauso wie deren Ausbleiben. Insofern könnten solche Methoden uns irgendwann größere Prognose-Sicherheit geben.