Düsseldorf. Manfred Höges betreut in Düsseldorf Männer, die Opfer von partnerschaftlicher Gewalt wurden. Über den schwierigen Weg aus dem Gewaltkreislauf.

Für Männer, die Opfer häuslicher Gewalt werden, hat der Sozialdienst Katholischer Männer 2020 die landesweit ersten Schutzwohnungen eingerichtet. Männer- und Gewaltberater Manfred Höges betreut Betroffene vor Ort in Düsseldorf. Sophie Sommer sprach mit ihm über den schwierigen Weg aus dem Gewaltkreislauf.

Herr Höges, wer sind die Männer, die bei Ihnen Schutz suchen?

Wir haben in Düsseldorf im vergangenen Jahr 14 Männer und sechs Kinder betreut. Ein junger Mann ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Er sollte in einem anderen Land zwangsverheiratet werden, hatte in Deutschland aber bereits eine Freundin. Wir haben ihm geholfen, in ein anderes Bundesland zu fliehen. Hierfür musste er seine Familie und Freunde aufgeben.

Ein typischer Fall?

Mein Eindruck ist, dass die Männer zunächst von psychischer und sozialer Gewalt betroffen sind. Die Frau trägt zum Beispiel dafür Sorge, dass er seine Freunde nicht mehr sehen darf. Sie kontrolliert, stalkt und isoliert ihn. Später kann es auch zu körperlicher Gewalt kommen.

Welche Rolle spielt körperliche Gewalt insgesamt?

Eine weniger große als bei Frauen, die Opfer von Gewalt werden. Wir hatten aber auch mehrfach Familienväter in der Beratung, die körperlich von Frauen angegangen wurden, meist durch Gegenstände.

Nehmen Sie alle hilfesuchenden Männer auf?

Wer einen Platz in einer unserer Schutzwohnungen bekommen möchte, muss verschiedene Voraussetzungen erfüllen: Man muss Opfer von häuslicher Gewalt oder familiären Zwängen sein oder aufgrund seiner Sexualität von seiner Familie Gewalt erfahren oder von Gewalt bedroht werden. Dann klären wir in einem ersten Gespräch, ob die Voraussetzungen für das Schutzwohnen vorliegen und wir überhaupt die richtige Anlaufstelle sind. Wenn wir dann gerade Wohnraum zur Verfügung haben, kann der Betroffene einziehen.

Und wenn nicht?

Dann können wir ihn auf eine Warteliste setzen. Aber es hat sich gezeigt, dass das wenig hilfreich ist, weil die Männer sofort Hilfe brauchen. Je länger der Prozess dauert, desto unwahrscheinlicher wird es, dass sie ihren Partner oder ihre Partnerin verlassen. Eine weitere Möglichkeit ist es, den Mann in eine andere Männerschutzwohnung zu vermitteln. Wir sind bundesweit untereinander vernetzt.

Düsseldorfer Gewaltberater: „Die Polizei guckt mittlerweile viel genauer hin“

Warum fällt es Betroffenen so schwer, aus der Gewaltbeziehung auszubrechen?

Das ist das Perfide an dem sogenannten Gewaltkreislauf. Es ist ein Prozess, der ganz langsam anfängt, sodass man ihn kaum wahrnimmt und der dann aber immer schneller und extremer wird. Oft entschuldigt sich die Frau nach der Tat beim Mann und findet Ausreden für ihr Verhalten: Ich war schlecht drauf, du hast mich provoziert, ich habe getrunken. Wenn das Opfer dann mitspielt und eine Mitschuld auf sich nimmt, dreht sich der Kreislauf weiter.

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Und er läuft immer gleich ab. Ich habe schon Männer hier gehabt, die gesagt haben: Woher kennen Sie meine Geschichte? Haben Sie mit meiner Frau gesprochen? Einmal habe ich einen Vater beraten, der schwerste körperliche Gewalt erlebt hat. Ich habe ihm gesagt, dass er noch heute in unsere Wohnung einziehen kann. Aber er blieb noch ein weiteres Jahr bei seiner Frau, bis er den Schritt gewagt hat. Und schon nach drei Wochen bei uns hat er gesagt: Das war die beste Entscheidung meines Lebens.

Denken Sie, dass es für Männer, die Opfer von Gewalt werden, besonders schwierig ist, sich anderen anzuvertrauen?

Ja. Hier spielen Gefühle wie Scham und die Angst vor einer Stigmatisierung eine große Rolle. Aber auch die Befürchtung, dass einem nicht geglaubt wird. Viele Männer haben Angst, dass die Polizei im Zweifel nicht ihnen, sondern ihrer Frau glaubt. Ich glaube aber, dass da zurzeit eine Sensibilisierung stattfindet. Auch die Polizei guckt mittlerweile viel genauer hin.

Streit in der Beziehung: Für viele ein alltägliches Phänomen. Aber wenn Streit in Gewalt mündet, sollte man sich nicht scheuen, Hilfe zu suchen.
Streit in der Beziehung: Für viele ein alltägliches Phänomen. Aber wenn Streit in Gewalt mündet, sollte man sich nicht scheuen, Hilfe zu suchen. © Getty Images | StefaNikolic

Insgesamt mehr gemeldete Fälle von partnerschaftlicher Gewalt

146.655 Fälle von Partnerschaftsgewalt verzeichnet das Bundeskriminalamt (BKA) in seinem Bericht zum Thema für das Jahr 2020. 80,5 Prozent der 148.031 Opfer dieser Delikte sind weiblich (119.164) und 19,5 Prozent männlich (28.867).

Das ist ein Anstieg von 4,9 Prozent im Vergleich zu 2019, die vierte Steigerung in vier Jahren. Die Zahl der Opfer steigt, der Trend der letzten Jahre setzt sich damit fort. 25.628 der insgesamt 122.537 Tatverdächtigen waren im Jahr 2020 Frauen.

139 weibliche Opfer von tödlicher Partnerschaftsgewalt im Jahr 2020

37,9 Prozent der erfassten Fälle fanden zwischen ehemaligen Partnerinnen und Partnern statt, in 32,3 Prozent zwischen Ehepartnerinnen und Ehepartner und zu 29,4 Prozent zwischen Partnerinnen und Partner in nicht ehelichen Lebensgemeinschaften. Für 0,4 Prozent der Fälle liegen dazu keine Angaben vor. 139 Frauen und 30 Männer wurden 2020 Opfer von tödlicher Partnerschaftsgewalt. Ein Jahr zuvor waren es 117 Frauen und 32 Männer gewesen.

32.705 Menschen wurden im Jahr 2020 in NRW laut polizeilicher Kriminalstatistik als Opfer häuslicher Gewalt gezählt: 7,9 Prozent mehr als im Jahr davor. Darunter waren 22.905 Frauen und Mädchen (70 Prozent) und 9800 Männer und Jungen. Diese Zahlen lassen nur einen Blick auf die Spitze des Eisberges zu. „Die Dunkelziffer ist riesig“, weiß NRW-Gleichstellungsministerin Ina Scharrenbach (CDU).

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Schutzplätze für männliche Opfer von häuslicher Gewalt in NRW

4 Schutzplätze für Männer gab es zum Jahresbeginn 2022 jeweils in Köln, Düsseldorf, sowie in den Großräumen Aachen und Münster. 630 Akut-Schutzplätze für Frauen gab es in NRW zur gleichen Zeit, die Zahl lag vor wenigen Jahren noch bei 571.

NRW fördert den Schutz von Männern im Haushaltsjahr 2022 mit einer Million Euro. In den Schutz von Frauen vor Gewalt fließen 35 Millionen Euro.

Hilfetelefon und Beratungsstellen für Männer

Zweifache Opferrolle: Männer sind oftmals gleich doppelt betroffen. Einmal als Opfer der Gewalttaten und außerdem Opfer von Männlichkeits-Normen. Viele Männer, die geschlagen oder psychisch gequält werden, befürchten, als „entmännlicht“ dazustehen, wenn sie darüber offen reden.

1825 Kontakte im ersten Jahr seines Bestehens 2020 hatte das Männerhilfetelefon. Um die Hemmschwelle zu senken, eine Beratungsstelle aufzusuchen, wurde eben dieses Männerhilfetelefon unter der bundesweiten Telefonnummer 0800 123 99 00 eingerichtet. Hilfe findet man auch im Internet auf der Seite des Opferschutzportals: www.opferschutzportal.nrw und auf der Seite des SKM: www.skmev.de.