Essen. Frauen überleben ihre Männer. Das liegt nicht nur am dem Lebensstil, sondern auch in den Genen und einem wachsameren weiblichen Immunsystem.

Einem Mann auf dem Flur eines Alten- oder Pflegeheims zu begegnen, ist schon etwas Besonderes. „Hahn im Korb“ nannte meine Großmutter zu Lebzeiten die handverlesenen männlichen Mitbewohner augenzwinkernd. Denn auf viele Seniorinnen kamen in ihrer Herberge nur wenige Männer. Und wenn die Herren noch zu Gesprächen aufgelegt und in der Lage waren, freuten sich rüstige Bewohnerinnen wie meine Oma besonders. Unter den 80- bis 90-Jährigen sind nämlich zwei Drittel weiblich. Ab 90 Jahren sind es sogar drei Viertel.

Keine allzu große Seltenheit mehr: Frauen haben bessere Chancen, ihren 100. Geburtstag zu erleben.
Keine allzu große Seltenheit mehr: Frauen haben bessere Chancen, ihren 100. Geburtstag zu erleben. © Shutterstock/Dan Negureanu | Dan Negureanu

Dahinter steht eine globale Geschlechterdisbalance: Männer sterben weltweit früher. Die Frauen überleben ihre Partner im Schnitt um drei bis sieben Jahre. Hierzulande wird das angeblich starke Geschlecht im Schnitt nur 78 Jahre alt. Frauen indes feiern typischerweise noch ihren 83 Geburtstag. Schon bei Geburt sind Söhne, besonders, wenn sie vorzeitig zur Welt kommen, gefährdeter. Mädchen und Frauen haben ein wachsameres Immunsystem, weshalb sie nicht nur am aktuell grassierenden Coronavirus etwas seltener erkranken. Biologisch betrachtet sind Frauen also wahrlich das robustere Geschlecht. Und dass, obwohl sie sozial benachteiligt sind und dadurch mitunter auch in ihrer Gesundheit beeinträchtigt werden. „Diagnosen und Therapien sind häufiger auf Männer zugeschnitten und nur selten spezifisch auf Frauen“, kritisiert Sabine Oertelt-Prigione, Gendermedizinerin an der Universität Nijmegen. Man kann also behaupten, dass Frauen unter fairen Bedingungen sogar noch länger und gesünder leben würden.

Schutz gegen Gen-Krankheiten

Nur, warum sind Frauen vitaler als Männer? Viele Faktoren tragen dazu bei. Die Gene sorgen dafür, dass Mädchen schon bei Geburt widerstandsfähiger sind. Und genetisch verankerte Fähigkeit zur Produktion von Spermien fordert einen Gesundheitszoll.

Im Erbgut unterscheiden sich Männer und Frauen, wenn man von intergeschlechtlichen Personen absieht, in den Geschlechtschromosomen. Frauen tragen zwei X-Chromosomen in ihren Körperzellen. Männer indes verfügen über ein X- und ein Y-Chromosom. Auf dem Y-Chromosom liegen vor allem Gene, die für die Erzeugung der Spermien nötig sind. 70 sind es in etwa. Dagegen ist das X-Chromosom ein Allzweckerbgutkasten. Es bringt knapp 1000 Gene mit, die für das Immunsystem, die Geistesgaben und auch für Geschlechtsmerkmale verantwortlich sind. Weitere Charakteristika sind noch unerforscht: „Was die Gene auf dem X- und dem Y-Chromosom genau machen, ist immer noch eine große offene Arena“, sagt die Genetikerin Melissa Wilson von der Arizona State University in Tempe. Sie hat sich auf die Erforschung von Geschlechtsunterschieden genetischen Ursprungs spezialisiert.

Männer reichen über ihr Erbgut auch mehr Mutationen weiter

Klar ist aber: Die beiden X-Chromosomen in den Körperzellen einer Frau sind keineswegs identische Kopien voneinander, sondern jeweils eine erbliche Mitgift von Mutter und Vater für identische Funktionen. Es ist ein bisschen so, also habe man zwei Stifte unterschiedlicher Farbe und Dicke zum Schreiben. Mit zwei Schreibutensilien schreibt Frau dann flexibler als Mann mit nur einem Stift, sprich: X-Chromosom. Wenn sich die Zellen des weiblichen Körpers teilen, wird oft das tauglichere der beiden X-Chromosomen herangezogen. Dass es eine zweite Variante gibt, einen Plan B, ist auch der Grund, weshalb monogenetische Erkrankungen, die auf dem X-Chromosom angesiedelt sind, seltener über die weibliche Linie weitergegeben werden als über die Väterliche. Ein Mann hat bei der Zellteilung keine andere Wahl, als auf das einzige ihm mitgegebene X-Chromosom zurückzugreifen.

Damit nicht genug der genetischen Unterschiede: „Männer reichen über ihr Erbgut auch mehr Mutationen an die Nachkommen weiter als Frauen“, betont Wilson. Ihren Arbeiten zufolge sind es gar um den Faktor zwanzig mehr als bei Frauen. Bei keinem anderen Säugetier fand sie einen solch großen Unterschied, wenngleich auch im Tierreich die Mutationsrate über die männliche Linie höher ist als über die Weibliche. Wer also ein relativ fehlerhaft weitergegebenes X-Chromosom vom Vater hat, kann froh sein, als Frau ein zweites, in der Regel sorgfältiger Bewahrtes von der Mutter zu haben – sprich: eine Frau zu sein.

Anfälliger für Krebserkrankungen

Dessen ungeachtet scheint das Erbgut aller Körperzellen im Mann insgesamt über die Lebensspanne anfälliger für Mutationen zu sein. Darauf deuten frappierende Unterschiede einer Genanalyse von knapp 2000 Tumorproben hin, die Wilson vornahm. Darunter war Gewebe aus Lungen- und Hirntumoren, Darm-, Lymph- ebenso wie Hals- und Kopfkrebs. Lediglich geschlechtsspezifische Krebsarten wie Prostatakrebs und Brustkrebs klammerte sie aus. Sie fand besonders in Genen, die das Krebswachstum anstacheln, oft deutlich mehr Mutationen bei Männern als bei Frauen. Dabei suchte Wilson gerade nicht auf dem X- und Y-Chromosom, sondern auf den 22 übrigen Chromosomenpaaren, die ebenfalls genetische Geschlechtsunterschiede beherbergen.

Der Mann raucht, trinkt, völlert mehr als die Frau

Unklar ist allerdings, ob die Mutationen im Laufe des Lebens erworben oder schon in die Wiege gelegt wurden. Denkbar ist beides. Schließlich geben sich Männer im Schnitt einem ungesünderen Lebensstil hin: Sie rauchen, völlern und trinken mehr, was ihren Zellen und letztlich dem Erbgut zusetzt.

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Die häufigeren Fehler im Genom von Krebszellen der Männer könnten jedenfalls auch erklären, weshalb die Geschwulste bei ihnen dann schlechter zu behandeln sind und Männer eher an ihrer Krebserkrankung sterben als Frauen. Und: Sie erkranken sogar an vielen Krebsleiden häufiger als Frauen, mit Ausnahme des Schilddrüsentumors und geschlechtssensitiver Tumoren wie Brustkrebs. Vom Hautkrebs sind ab 55 Jahren doppelt so viele Männer wie Frauen betroffen. Forscher des Ohio State University Medical Center konnten bei diesem Tumorleiden nachweisen, dass das Ungleichgewicht vor allem genetische Ursachen hat. Es liegt jedenfalls nicht nennenswert am schlechteren Sonnenschutz und an mehr Sonnenbädern der Männer.