Essen. Janita-Marja Juvonen aus Essen wird mit 14 Jahren obdachlos – und schwer drogenabhängig. Über das harte Leben auf der Straße.

Der Essener Hirschlandplatz, das war ihr Wohnzimmer. Der Waldthausenpark, das war ihr Schlafzimmer. Das Klo im Gebüsch, das Bett unter der Brücke, das Essen oft schlecht, wenn es etwas gab: Die „Lieblingsroute“ von Janita-Marja Juvonen ist ihre einzige und eigentlich keine zum Lieben, aber sie liegt ihr am Herzen.

Wie die Stadt, durch die sie führt. Denn auf ihrer „Reise in (m)eine andere Welt“ nimmt sie Menschen mit (zurück) in ihr Leben, gibt jenen Gesicht und Geschichte, die so sind wie sie selbst einst war: wohnungslos in Essen.

„Schwer drogenabhängig“: Essenerin wird mit 14 Jahren wohnungslos

Janita-Marja Juvonen, eine schmale Frau mit tätowierten Armen und kurzem Irokesen-Schnitt, ist inzwischen 43, aber war nie „sicher, dass ich dieses Alter mal erreichen werde“: Mit 14 landete sie auf der Straße, war 14 Jahre „schwer drogenabhängig und obdachlos“, das hinterlasse Spuren, schreibt sie auf ihrem Blog.

„Einmal Absturz und zurück“ heißt der, und nur, weil es vor 15 Jahren dieses „Zurück“ gab, kann sie davon erzählen. Es war „ein harter Marsch“, Juvonen hat Probleme mit der Durchblutung in den Beinen und kann nicht lange stehen, aber laufen tut gut: Dieser Weg durch Essen ist ihr wichtig. Sie will dorthin zeigen, wo manche lieber nicht hinsehen. Sichtbar machen, wofür „Wohnende“ ihre Augen verschließen. Brücken bauen, nicht mehr unter ihnen schlafen.

Schlafplätze für Wohnungslose: Brücken und Unterführungen in Essen.
Schlafplätze für Wohnungslose: Brücken und Unterführungen in Essen. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Isomatten und Bänke: Ex-Wohnungslose zeigt „Sehenswürdigkeiten“ in Essen

Ihre „Sehenswürdigkeiten“ sind Isomatten und Plastiktüten vor Lüftungsschlitzen. Sind Parkbänke, auf denen jemand eine Decke zurückgelassen hat. Sind Unterführungen wie die an der Autobahn-Auffahrt Essen-Ost, wo die Tauben sich um Brotrinde und kalte Pommes balgen, wo es nach Urin stinkt, wo in der Dämmerung die Ratten kommen.

Sind Brücken, über die der Verkehr donnert, patong, patong mit jedem Auto; es ist Krach überall und Juvonen mit der Zeit lärmempfindlich geworden. Es sind Hauswände und -eingänge, die sie früher lieber mied: „Du kannst dort nicht weglaufen, aber von drei Seiten angegriffen werden.“ Janita-Marja Juvonen schläft bis heute in Alarmstellung, immer mit dem Kopf zu einer offenen Tür. Plätze, an denen gerade jemand „wohnt“, zeigt sie nie.

Ehemalige Wohnungslose aus Essen: „Wo soll ich pinkeln?“

„Dumme Fragen gibt es nicht“, das gibt Juvonen dafür ihren Gästen mit den auf den Weg, aber dann stellen sie immer wieder diese eine: „Wo hast du geduscht?“ Dabei war das ein Luxusproblem“, sagt die 43-Jährige, es drängte doch ganz anderes: „Essen. Trinken. Klo.“

Sie zeigt auf den Springbrunnen vor dem Hauptbahnhof. „Warum halte ich hier?“ Nicht einmal Trinkwasser, das hier sprudelt. Dabei trinken „Menschen im Unterwegs-Modus viel zu wenig“, mit jedem Schluck wächst ja das nächste Problem: „Wo soll ich pinkeln?“

Sitzgelegenheit auf Essener „Stadtmöbeln“: Janita-Marja Juvonen zeigt Gästen ihre Sicht auf die Stadt.
Sitzgelegenheit auf Essener „Stadtmöbeln“: Janita-Marja Juvonen zeigt Gästen ihre Sicht auf die Stadt. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Stadt Essen baut Sitzgelegenheiten für Wohnungslose

In Essen hat die Stadt am anderen Ende des Bahnhofs vor einigen Jahren eine Lösung gebaut, es war nach Juvonens Zeit, aber sie zeigt die Stelle trotzdem: ein paar Sitzgelegenheiten aus Waschbeton vor beschmierter Mauer, hinter oben offenen Wänden ein Pissoir ohne Tür.

Nur für Männer also und das kleine Geschäft. Vor einen Haufen feuchten Abfalls daneben hat jemand eine Palette gelegt, so kommt man wenigstens trockenen Fußes hinein.

Essenerin: „Schwäche sollte man auf der Straße nicht zeigen“

Kinder, auf ihren Führungen und in den Schulen, in die Juvonen geht, fragen anders. Hast du geweint? Hattest du Angst? „Schwäche sollte man auf der Straße nicht zeigen“, sagt sie ihnen, und was schlimmer war als die Angst: „die Hoffnungslosigkeit“.

Und die Wut: „Als Nicht-Wohnender kannst du Wut und Trauer nirgendwo rauslassen. Man hat keine Tür, hinter der man Scheiße schreien kann.“ Stress sei das Leben auf der Straße gewesen, „du merkst ihn nicht, aber er ist immer da“.

Die öffentliche Toilette am Essener Hauptbahnhof, eine zweifelhafte „Sehenswürdigkeit“.
Die öffentliche Toilette am Essener Hauptbahnhof, eine zweifelhafte „Sehenswürdigkeit“. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Drogen haben Ex-Wohnungslose aus Essen abgestumpft

Die Drogen, sagt sie, haben sie abgestumpft: „Du fühlst dich wie der letzte Dreck und nicht mehr als Mensch, wenn du unmenschlich behandelt wirst.“ Schülern rät sie, frühzeitig nach Hilfe zu fragen, nicht zu glauben, wenn jemand sagt: „Du bist selber schuld.“

Sie selbst fand Halt bei denen, die sie „Kollegen“ nennt. Gemeinsam gegen die Kälte, „das Schlimmste ist, wenn du morgens aus dem Schlafsack musst“ – gemeinsam gegen die Hitze, „das ist hart“!

Spielplatz statt Schlafplatz: Kein Platz für Obdachlose in Essen

Acht Jahre lang schlief die Frau, die für andere nur „JJ“ war, unter derselben Brücke im Waldthausenpark, sie sagt, es war „Luxus“: ein fester Schlafplatz. Bis die Stadt dort einen Spielplatz gebaut hat, dafür mussten die Wohnungslosen weg und kamen auch nicht wieder.

Die schiefe Betonmauer gleich unter der Fahrbahn ist jetzt leer, Juvonen setzt sich ohne nostalgische Gefühle auf die Kante. Der Ort gefällt ihr immer noch, hier hat sie „am längsten gelebt“. Nur lässt er sie denken an die „Kollegen“. „Der überwiegende Teil ist tot.“ Vom einem, der jahrelang neben ihr lag, hörte sie nie wieder. „Ich weiß nicht, wo er ist.“

„Früher habe ich überlebt, heute lebe ich“: Janita-Marja Juvonen aus Essen.
„Früher habe ich überlebt, heute lebe ich“: Janita-Marja Juvonen aus Essen. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Mit 32 Kilo: Ehemalige Wohnungslose kommt in Essener Krankenhaus

Auch deshalb war es schwer, plötzlich zu den „Wohnenden“ zu gehören. Sie hatte eigene vier Wände, aber sie war dort allein. „Du kannst die Straße nicht mit in die Wohnung nehmen. Ich stehe bis heute dazwischen.“

Man hat Janita-Marja Juvonen damals ins Krankenhaus gebracht, sie wog noch 32 Kilo, Ärzte kümmerten sich um sie. „Früher habe ich überlebt“, sagt sie, „heute lebe ich.“ Es ist ein Leben für die Betroffenen. Von dem sie erzählt, damit die Menschen verstehen. Und damit „sich etwas ändert“.

>>INFO: NÄCHSTE FÜHRUNG ENDE AUGUST

Einmal im Monat, zum nächsten Mal am 27. August, lädt Janita-Marja Juvonen am Samstagnachmittag zur „Reise in (m)eine andere Welt“. Anmeldungen für die kostenlose Führung unter . Auch private Touren sind möglich. Der Blog ist zu lesen unter www.janitas-blog.jimdofree.com