Essen. Innere Sicherheit kann am 15. Mai die Landtagswahl mitentscheiden. Trotz unterschiedlicher Akzente: Mehr Polizei vor Ort wollen alle Parteien.
Gegen 6 Uhr in der Früh rammte ein Panzerfahrzeug der Polizei das stattliche Tor zur Auffahrt des Clan-Anwesens in Rheinnähe. Spezialkräfte sprengten die Eingangstür. Ein Großaufgebot durchkämmte den großzügigen Klinkerbau und suchte den Garten mit Hunden und Spezialsensoren nach Geld und Drogen ab. „Das ist heute ein Schlag gegen die erste Liga der Clan-Kriminalität“, sagte Innenminister Herbert Reul (CDU) anschließend in die Kameras.
Auftritte wie dieser im Juni 2021 vor einer Villa im beschaulichen Leverkusen-Rheindorf sind wie gemacht für Innenminister Herbert Reul (CDU). Mit öffentlichkeitswirksamen Großaktionen gegen Clan-Kriminalität, Autobahnkontrollen sowie Razzien in Shisha-Bars, Wettbüros und Spielhallen signalisiert der kantige Minister Entschlossenheit und inszeniert sichtbar seine und seine „Strategie der 1000 Nadelstiche“.
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Reul und seine Partei wissen genau, dass die Themen Innere Sicherheit und Kriminalität bei vielen Bürgerinnen und Bürgern einen Nerv treffen und beim Urnengang am 15. Mai wahlentscheidend sein können. Und Reul sagt, was die Menschen hören wollen: „Eine präsente Polizei ist entscheidend für das Sicherheitsgefühl der Menschen. Deshalb setze ich mich dafür ein, dass wir bei den Neueinstellungen eine Schippe drauflegen“, sagte er kürzlich.
CDU: Null Toleranz gegen Clan-Kriminalität
Das spiegelt sich im Wahlprogramm der CDU wider: Statt 2500 soll es künftig 3000 Neueinstellungen pro Jahr bei der Polizei geben. Die Zahl der Polizistinnen und Polizisten in NRW soll von heute 40.000 auf insgesamt 45.000 steigen. „Wir wollen auch in Zukunft, dass alle Menschen jederzeit und überall sicher in Nordrhein-Westfalen leben können“, heißt es im CDU-Wahlprogramm unter der Überschrift „Machen, worauf es ankommt“. Mehr Wertschätzung für die Polizei, härtere Strafen für Angriffe auf Einsatzkräfte, moderne Technik, null Toleranz gegen kriminelle Clans, Kampf gegen Extremismus und ein besserer Katastrophenschutz sind die Eckpunkte des Programms. Ein „Masterplan Sauberkeit“ soll überdies dafür sorgen, dass sich die Menschen in ihrem Umfeld wohler und sicherer fühlen.
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Wie sehr das Thema Kriminalität den Bürgerinnen und Bürgern in NRW den Nägeln brennt, zeigte Mitte März der „NRW-Check“, eine repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag der WAZ und 38 weiterer Zeitungstitel in NRW. Demnach sind 67 Prozent der Menschen in NRW davon überzeugt, dass die Landesregierung zu wenig gegen Kriminalität unternimmt. 43 Prozent der Bürgerinnen und Bürger glauben entgegen den Ergebnissen der offiziellen Statistik, die Kriminalität in NRW habe in den letzten Jahren zugenommen. Deshalb ist es für alle Parteien entscheidend, hier überzeugende Argumente vorzubringen.
SPD: Mehr Kontrollen gegen Geldwäsche
„Unser Land von morgen“ lautet der Titel des SPD-Wahlprogramms. Spitzenkandidat Thomas Kutschaty blickt darauf lächelnd in unbestimmte Ferne und weist mit der Hand nach vorne. Beim Thema Innere Sicherheit bleiben die Sozialdemokraten indes eher wolkig, setzen häufig auf gefühlige Parolen und weniger auf konkrete Zahlen. „Sicherheit ist die Voraussetzung für ein freies, selbstbestimmtes Leben“, heißt es dort.
Präventionsprogramme zur Bekämpfung von Jugendkriminalität will die Partei ausbauen, ein „Masterplan Licht“ soll mehr Helligkeit in dunkle Ecken bringen und das Sicherheitsgefühl der Bürger stärken. Auch die SPD will „die Präsenz unserer Polizei in den Stadtquartieren und auf den Straßen vor Ort verstärken“, wird aber nicht konkreter. Um die Verbrechensbekämpfung zu verbessern, soll die Polizei insgesamt mehr Personal erhalten. Zudem soll ein „Institut für Sicherheitsforschung“ bessere Strategien und Lösungen bei der Kriminalitätsbekämpfung entwickeln.
Auch kriminelle Clans hat die SPD im Visier: „Die Bekämpfung der organisierten Kriminalität ist in den letzten Jahren zu kurz gekommen“, finden die Sozialdemokraten. Die Verbrecher will man dort treffen, wo es sie am meisten schmerzt: beim Geld. Gewerbe- und Finanzkontrollen sollen deshalb ausgeweitet werden, um Geldwäsche besser auf die Spur zu kommen.
FDP: Tasern für die Polizei
Unter dem Slogan „Von hier aus weiter“ geht FDP-Spitzenkandidat Joachim Stamp mit den NRW-Liberalen in den Wahlkampf. Man habe in den letzten Jahren viel erreicht, soll das bedeuten, aber es bleibe noch genug zu tun. Auch beim Thema Sicherheit, das die FDP aber erwartungsgemäß unter den Oberbegriff „Freiheit“ stellt. „Um unsere Freiheit zu schützen, brauchen wir eine funktionierende Sicherheitsstruktur und Vertrauen in den Rechtsstaat“, so die Liberalen.
Auch die FDP will daher die Zahl der Neueinstellungen bei der Polizei auf 3000 jährlich steigern. Zugleich sollen die Abbrecherquoten im Polizeistudium durch bessere Betreuung gesenkt werden, angehende Kommissarinnen und Kommissare sollen schneller in den aktiven Dienst gelangen. Nach den Missbrauchsfällen in Lügde sollen Aufgaben der Kreispolizeibehörden stärker gebündelt werden, ohne dafür Personal vor Ort abzuziehen. Zudem setzen sich die Liberalen für eine „sofortige und flächendeckende Ausstattung aller Kreispolizeibehörden in NRW“ mit Elektroschockpistolen (Taser) ein.
Grüne: Grenzen bei der Überwachung
Erst auf Seite 102 ihres Wahlprogramms mit dem Titel „Von hier an Zukunft“ sprechen die NRW-Grünenmit Spitzenkandidatin Mona Neubaur von Sicherheit. Erwartbar sieht die Ökopartei das Thema Kriminalität nicht als ihr zentrales Politikfeld an. „Wir wollen eine bürger:innenorientierte, professionelle und rechtsstaatliche Polizei“, heißt es dort. Daher sollen „die hohen Einstellungszahlen“ aufrechterhalten werden. „Wir wollen für mehr Beamt*innen im Bezirks- und Schwerpunktdiensten sorgen, um die Polizeiarbeit im ,Veedel‘ oder Stadtteil zu stärken“.
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Zugleich setzen die Grünen der Polizeiarbeit aber auch Grenzen: „Eine flächendeckende Videoüberwachung, Software zur Erkennung biometrischer Merkmale und eine weitere Nutzung der Palantir-Software ohne eine gesetzliche Grundlage lehnen wir ab.“ Gemeint ist ein Analysesystem, das Informationen aus verschiedenen Datenbanken automatisch verknüpft. Eine flächendeckende Ausstattung mit Tasern lehnen die Grünen ab.
AfD: Mehr Polizei auf die Straße
Einen völlig anderen Akzent setzt dieAfD in ihrem Wahlprogramm. Das Thema Kriminalität findet sich ganz oben im Wahlprogramm. „Clan-Kriminalität und die aus dem Ausland kommenden Geldautomaten-Sprenger sind nur zwei typische Kriminalitätsformen, die unser Land plagen“, heißt es dort. Daher will die Partei eine rundum verstärkte Polizei: 10.000 neue Stellen sollen die Polizei auf eine Gesamtstärke von 50.000 bis 2032 heben. Zudem sollen die Beamtinnen und Beamten besser bezahlt und ausgerüstet werden, dazu gehören auch Body-Cams und Taser.
Gegen Straßenkriminalität, Drogenhandel, Alkoholkonsum und Belästigungen von Frauen an öffentlichen Plätzen setzt die AfD auf mehr Polizeipräsenz vor Ort. Zudem müsse die Westgrenze des Landes zu Belgien und den Niederlanden gegen „illegale Einwanderung und kriminelle Banden“ besser geschützt werden.
Innenminister Reul in der besten Startposition
In der öffentlichen Wahrnehmung dürfte allerdings CDU-Innenminister Herbert Reul beim Thema Innere Sicherheit von der ersten Startreihe aus ins Wahlkampf-Rennen gehen. Der NRW-Check brachte ans Licht, dass immerhin 51 Prozent der Bürgerinnen und Bürger zufrieden mit seiner Arbeit sind. Reul weiß, dass der Staat im Kampf gegen die Kriminalität einen langen Atem braucht, aber die Leute sollen zumindest das Gefühl haben: „Die kümmern sich drum, die machen ernst.“
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