Essen. Auf Instagram teilen immer mehr Menschen Buchfotos – um andere zum Lesen zu animieren. Drei Bookstagrammer über ihr zeitaufwendiges Hobby.
Eine Zahl ist entscheidend für Jens Kobersteins ganz persönlichen Jahresrückblick: 100. Sie steht für die Bücher, die er 2021 gelesen hat. Das Ergebnis seines „Lesejahres“ teilt der Duisburger stolz auf seinem Instagram-Profil „Literaturtee“ – bei dem sich alles um Bücher dreht.
Koberstein ist Teil der sogenannten „Bookstagram-Community“, einem stetig wachsenden virtuellen Literaturclub auf Instagram. Der Begriff setzt sich zusammen aus „Book“ (engl. Buch) und dem Namen der Social-Media-Plattform.
Mehr als 70 Millionen Bookstagram-Beiträge auf Instagram
Mehr als 73 Millionen Fotos aus der ganzen Welt wurden unter dem Hashtag „Bookstagram“ bereits gepostet. Wie Beautyprodukte oder Kleidung werden die Bücher in Szene gesetzt, meist umgeben von Kerzen, flauschigen Kissen und dekorativen Tee-Tassen. Zusammen mit den Bildern veröffentlichen die Buch-Blogger und -Bloggerinnen ihre Rezensionen.
Per Zufall sei Koberstein „bei Bookstagram gelandet“, sagt er. Im Sommer 2019 hat er ein Video über die Bücher-Influencer gesehen. „Ich war zu dem Zeitpunkt noch gar nicht bei Instagram aktiv“, so der 40-Jährige.
Bookstagramer liest und rezensiert bis zu 14 Bücher im Monat
Anfangs fotografierte er jedes einzelne Buch rund 70-mal, bis er mit dem Ergebnis zufrieden war. Schlägt die Kuscheldecke an den richtigen Stellen Falten? Sollte ich die Tasse noch einmal verrücken, damit ihr Henkel besser zu sehen ist? Habe ich mit meiner Kamera den richtigen Winkel gewählt? Bookstagram ist ein zeitaufwendiges Hobby.
Die zahlreichen Bücher wollen schließlich nicht nur fotografiert, sondern vor allem gelesen werden. Mindestens eine Stunde nimmt Koberstein sich dafür pro Tag Zeit, immer abends nach der Tagesschau. So kommt er im besten Fall auf 14 Bücher im Monat, im schlechtesten sind es vier.
Bücher-Influencer gibt Tipps für Lesemotivation
„Ich habe verschiedene Methoden, um viel zu lesen. Ich schreibe mir zum Beispiel immer auf, von wann bis wann ich gelesen habe und wie viele Seiten ich in der Zeit geschafft habe. Und ich setze mir jedes Jahr das Ziel, insgesamt 100 Bücher zu lesen.“
Am meisten würde ihn aber die Community motivieren. „Eigentlich liest man nur allein zu Hause. Aber durch Bookstagram ist Lesen auf einmal etwas, das man mit anderen teilen kann.“ Über 6000 Menschen folgen seinem Profil, mit einigen von ihnen ist Koberstein mittlerweile sogar befreundet.
Ästhetik und Community: Bookstagram verändert Verlagswelt
„Ich habe viele neue Bücher, viele neue Autoren und viele neue Freunde kennengelernt“, lautet auch Claudias Fazit nach zwei Jahren bei Bookstagram. Um ihren knapp 2000 Follower und Followerinnen besondere Inhalte zu bieten, teilt die Studentin aus Heiligenhaus auf ihrem Profil „Book.lings“ vor allem Fotomontagen.
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Mal sitzt sie in einer riesigen Teetasse, ein Bild zeigt sie mit schwarzen Flügeln, auf einem anderen fliegen blaue Schmetterlinge aus dem Buch, das sie in der Hand hält. „Ich versuche, die Geschichten der Bücher widerzuspiegeln“, so die 23-Jährige.
Influencerinnen als „beste (Buch-)Freundinnen“
Rund zehn Verlage sowie die Autoren und Autorinnen selbst stellen ihr regelmäßig Rezensionsexemplare zur Verfügung. Generell sie der Einfluss der Bookstagram-Szene auf die Verlagswelt groß, sagt Ute Nöth vom Carlsen-Verlag. Zum einen würde sich die „Ästhetik“ der Buchcover verändern.
Zum anderen würden Verlage ihre Instagram-Kanäle intensiver betreuen und mit mehr Menschen aus der Community zusammenarbeiten. Carlsen etwa verschickt je nach Reichweite und Qualität des Bookstagram-Kanals kostenlos Rezensionsexemplare. Die Strategie dahinter: „Bücher verkaufen sich schon immer besonders gut, wenn diese privat unter Freund*innen empfohlen werden: Und Bookstagrammer*innen sind sowas wie digitale beste (Buch-)Freund*innen“, so Nöth.
Verlage initiieren virtuelle Lesezirkel auf Instagram
Wer mit dem Rowohlt Verlag zusammenarbeiten möchte, braucht mindestens 1000 Follower und Followerinnen. „Neben den klassischen Medien hat seit einigen Jahren auch die Zusammenarbeit mit den Bloggerinnen und Bloggern und mittlerweile verstärkt mit Bookstagrammern einen gewissen Stellenwert eingenommen“, sagt Leonie Krey.
Rowohlt habe eine eigene Community speziell für Liebesromane aufgebaut und veranstalte regelmäßig Events. Die meisten Werke, die Claudia auf ihrem Account vorstellt, kaufe sie allerdings selbst. Bookstagram muss man sich leisten können. Während Lifestyle- und Beauty-Influencerinnen oft schon mit wenigen Followerinnen und Followern Geld verdienen, bleibt es für viele Bücherfans ein kostspieliges Hobby.
Nicht genug gelesen? Ständiger Vergleich auf Instagram
„Mein Portemonnaie weint“, sagt auch Maria, die in Alpen bei Wesel lebt. Die 25-jährige Studentin ist eine der erfolgreichsten Buch-Bloggerinnen in der Region. Ihrem Profil „Fernwehwelten“ folgen mehr als 10.000 Menschen, sie organisiert Treffen und Aktionen wie Lesemarathons und Themenwochen.
Während sie „jahrelang kein einziges Buch in der Hand“ hatte, kommt sie nun auf acht bis zehn Werke im Monat. Es gab eine Zeit, in der Maria dachte, das sei längst nicht genug, sie müsste mehr lesen, mehr posten, mehr Präsenz zeigen. Von dem Druck, der durch den ständigenVergleich auf Social Media entsteht, bleibt auch die Bücher-Community nicht befreit.
Bookstagrammerin über Druck auf Social Media: „Das kann ganz viel kaputt machen.“
„Das kann ganz viel kaputt machen. Am Ende hat man dann gar keine Lust mehr zu lesen, weil man das Gefühl hat, dass man eh nie so viele Bücher schafft wie die anderen“, so Maria. Sie hat sich mittlerweile davon gelöst und liest nur, wenn sie wirklich Lust darauf hat.
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Und das komme oft vor, schließlich bieten Bücher ihr vieles, das Filme oder Serien nicht können: „Wenn ich einen Film gucke, sitze ich auf der Couch, bin meistens nebenher noch am Handy. Aber wenn ich ein Buch lese, sitze ich irgendwann nicht mehr nur auf meiner Couch.
Dann werde ich zur Protagonistin. Dann bin ich diejenige, die zaubert, das Schwert schwingt, auf dem Thron sitzt.“ Diese Begeisterung mit anderen teilen zu können, das macht Bookstagram für Maria so besonders.
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