Essen. Der Öko-Bestseller „Die Grenzen des Wachstums“ rückte den Umweltschutz ins öffentliche Bewusstsein. Die Themen stehen bis heute auf der Agenda.
Ein recht schmales Buch von gerade einmal 160 Seiten, geschrieben von Wissenschaftlern, garniert mit 48 Kurvendiagrammen. Inhaltlich geht es um so sperrige Themen wie Rohstoffe, Lebensmittelproduktion, Industrialisierung, Umweltverschmutzung. Themen, die zu Beginn der 70er-Jahre in der westlichen Welt erst zögernd in den politischen Fokus rücken. Und dann dieser provokante Titel: „Die Grenzen des Wachstums“.
Und darin steht zu lesen: „Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unvermindert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht.“ Als das Buch 1972 erscheint, ist der Glaube an die selig machende Wirkung der modernen Technologien gerade in der Politik noch weit verbreitet. Was sollte diese Schwarzmalerei?
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„Die Grenzen des Wachstums“ ist heute ein Gründungsdokument für die Umweltbewegung
50 Jahre später gilt „Die Grenzen des Wachstums“ als eine Art Gründungsdokument für die internationale Umweltbewegung. Die Themen des auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierenden Buchs (Der „Spiegel“ schrieb seinerzeit von einer „Weltuntergangs-Vision aus dem Computer“) stehen heute längst im Mittelpunkt der politischen Agenda. Der Klimawandel – ein Begriff, der 1972 noch gar nicht existierte – hat die Prognosen der Experten in vielen Punkten bestätigt. Schon ein Jahr nach Erscheinen des Buchs, bekamen die Deutschen im Herbst 1973 mit der ersten „Ölkrise“ zu spüren, wie abhängig man sich macht, wenn man auf nicht nachhaltige Energien setzt.
Die Autoren des Buchs, das weltweit in 37 Sprachen übersetzt und mehr als zwölf Millionen Mal verkauft wird, gehören dem „Club of Rome“ an – ein Zusammenschluss von Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft aus mehr als 30 Ländern, die sich für eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft der Menschheit starkmachen. Der Club wurde 1968 auf Initiative des italienischen Industriellen Aurelio Peccei und des schottischen Wissenschaftlers Alexander King in Rom gegründet. Als Hauptautor des Buchs fungiert der amerikanische Ökonom Dennis Meadows.
Viele Vorhersagen des Buches haben sich bewahrheitet
Zu den Kernpunkten des Berichts in Buchform gehören Sätze wie: „Es erscheint möglich, die Wachstumstendenzen zu ändern und einen ökologischen und wirtschaftlichen Gleichgewichtszustand herbeizuführen, der auch in weiterer Zukunft aufrechterhalten werden kann. Er könnte so erreicht werden, dass die materiellen Lebensgrundlagen für jeden Menschen auf der Erde sichergestellt sind und noch immer Spielraum bleibt, individuelle menschliche Fähigkeiten zu nutzen und persönliche Ziele zu erreichen. Je eher die Menschheit sich entschließt, diesen Gleichgewichtszustand herzustellen, und je rascher sie damit beginnt, umso größer sind die Chancen, dass sie ihn auch erreicht.“
Zentrale Vorhersagen des Buchs haben sich bewahrheitet – etwa das exponentielle Wachstum der Bevölkerung, die stetig zunehmende Ausplünderung der Rohstoffreserven und die damit verbundene Zerstörung der Umwelt.
Weitere Geschichten über den Klimawandel:
- Forscherin: „Klimawandel wird Thema für Verschwörer“
- Warum nasse Moore gegen den Klimawandel helfen.
- Great Barrier Reef von der Korallenbleiche bedroht.
Die erste Weltumweltkonferenz findet in Stockholm
Der Bericht an den „Club of Rome“ ist 1972 nicht das einzige Anzeichen für die sich wandelnde Sicht auf die Welt und für die sich langsamen verändernden Prioritäten der Politik. In Stockholm trafen sich 1200 Vertreter aus 144 Staaten zur ersten Weltumweltkonferenz. Vor allem die Delegierten aus den damals so bezeichneten Entwicklungsländern warfen den Industrienationen vor, ihren Wohlstand auf Kosten der Dritten Welt auszuweiten. Der Weltbankpräsident, der Amerikaner Robert McNamara, hielt dagegen: Es gebe keinen Beweis dafür, dass wirtschaftliches Wachstum „notwendigerweise mit einer unannehmbaren Last für die Umwelt verbunden ist“, so McNamara. Konkrete Beschlüsse bracht die Konferenz jedenfalls nicht.
Hier gibt es weitere Recherchen und Geschichten aus dem Wochenend-Ressort. Dennis Meadows, der Autor der „Grenzen des Wachstums“, hielt seinerseits ohnehin nicht viel von solche Groß-Veranstaltungen wie jenes Treffen in Stockholm. „Wenn wir uns auf Konferenzen verlassen, statt unseren Lebensstil zu ändern, sieht es schlecht aus“, erklärte er Jahrzehnte nach dem Stockholmer Treffen. „Jeder sollte seinen Lebensstil überdenken, seinen ökologischen Fußabdruck auf der Erde. Jeder sollte versuchen, etwas weiter in die Zukunft zu schauen als bisher.“
„Die Grenzen des Wachstums“: Ein Grünen-Gründungsmitglied erinnert sich
Michael Vesper (69) ist Gründungsmitglied der Grünen. Er engagierte sich schon in den 70er-Jahren für die Dritte-Welt-Bewegung. Von 1995 bis 2005 war er Minister in NRW.
Herr Vesper, erinnern Sie sich an das Jahr 1972, als das Buch „Die Grenzen des Wachstums“ erschien.
Michael Vesper: Ja klar, ich war damals 20 Jahre alt und studierte in Köln. Es war die Nachwirkungszeit der Studentenbewegung. Immer noch gab es dauernd Demonstrationen, Vorlesungen wurden gestürmt. Wir haben den Bericht an den Club of Rome natürlich gelesen, da wurden ja erstmals in dieser Deutlichkeit Probleme wie Ausbeutung der Rohstoffe, Überbevölkerung und so weiter einer breiten Bevölkerung präsentiert. Allerdings kann ich nicht sagen, dass das Buch fortan alles überlagert hätte. Aus heutiger Sicht stellt es einen ganz wichtigen Markstein in der Geschichte der Umweltpolitik dar. Aber damals lag mein Fokus eher auf anderen Themen.
Welche waren das?
In Vietnam führten die USA einen grausamen Krieg, gegen den wir protestierten. Ich war damals intensiv engagiert in der Dritte-Welt-Bewegung, gemeinsam mit Gleichgesinnten habe ich mich für die Befreiung der portugiesischen Kolonien in Afrika und für die Unabhängigkeit Namibias eingesetzt. In der Dortmunder Westfalenhalle gab es einen großen Kongress unter dem Motto „Freiheit für Angola, Guinea-Bissau und Mosambik“. Es war die Zeit der Hungerkatastrophe in Biafra, die haben wir stark thematisiert. Aber auch die Ostpolitik Willy Brandts beschäftigte uns. An strittigen Themen mangelte es also nicht.
Wann rückte denn der Umweltschutz mehr in den Fokus?
Das war Mitte der 70er -Jahre. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Anti-Atom-Bewegung. Die großen Demonstrationen gegen das geplante Kernkraftwerk in Brokdorf oder gegen den Schnellen Brüter in Kalkar förderten die Mobilisierung enorm. Ab etwa 1978 begann der Weg in die Partei. Es gab in immer mehr Städten bunte und alternative Listen. Ich selbst war in der „Bunten Liste“ in Bielefeld, die schon 1979 das Rathaus enterte, und kam als sachkundiger Bürger in den Bauausschuss des Bielefelder Stadtrats. Damit ging es los.
Sie gehörten ja 1980 zu den Gründungsmitgliedern der Grünen.
Das stimmt. Und schon drei Jahre später schaffte die Partei den Einzug in den Bundestag und ich wurde für sieben Jahre Fraktionsgeschäftsführer. Wir holten damals 5,6 Prozent. Aber das war nur der Anfang, die Grenzen unseres Wachstums waren damit nicht annähernd erreicht, wie man heute sieht