Essen. Kein Alkoholkauf mehr für Jugendliche: Medizinisch ergibt der Vorschlag des Drogenbeauftragten Blienert Sinn. Trotzdem sind Experten skeptisch.
Der erste Schluck bei der Konfirmation. Die Kiste nach dem Fußballtraining. Zum Geburtstag eine Runde ausgeben. An Karneval mit einem Glas in der Hand schunkeln. Ob man das nun gut findet oder nicht: Der Konsum der Droge Alkohol ist in Deutschland ist eng verwoben mit dem Erwachsenwerden und scheint in der Gesellschaft „breite“ Akzeptanz zu genießen.
Insofern ist es kein Wunder, dass der Vorschlag von Burkhard Blienert, der Drogenbeauftragte der Ampel-Regierung, bundesweit ein gewaltiges Echo auslöste. „Für mich sprechen viele medizinische Argumente dafür, das Erwerbsalter für Bier, Wein und Schaumwein auf 18 Jahre zu erhöhen“, sagte Blienert in einem Interview. Gleichzeitig machte sich der SPD-Politiker für eine Abschaffung des sogenannten „begleitenden Trinkens ab 14 Jahren“ stark. „Wir müssen von einem freien Wildwuchs sukzessive zu einem regulierten, kontrollierten Umgang mit Tabak und Alkohol kommen.“ Das würde bedeuten: Kein Bier, kein Wein, keine Zigaretten für unter 18-Jährige, auch nicht im Beisein einer sorgeberechtigten Person.
Reaktionen: viele. Offene Fragen: noch mehr. Was gab den Anlass für diesen Vorstoß? Wie passt er mit der liberalen Idee der Ampel, Cannabis legalisieren zu wollen, zusammen? Und ist der Vorschlag überhaupt umsetzbar?
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Alkoholverbot für Jugendliche: „Aus medizinischer Sicht vollkommen korrekt“
Zunächst einmal trifft Blienert einen überaus wunden Punkt. „Aus medizinischer Sicht ist der Vorstoß vollkommen korrekt. Junge Gehirn sind anfällig für Drogen jeglicher Art“, sagt Axel Gerschlauer, Nordrhein-Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte. Und Armin Koeppe, Vorsitzender der ginko Stiftung für Prävention aus Mülheim, ergänzt: „Die Studienlage zeigt: Je später man anfängt, ein Suchtmittel zu nehmen, desto besser ist es für den Körper. Der Schaden bleibt im Körper.“ Hier gibt es keine zwei Meinungen: Alkohol ist schädlich.
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Wer jetzt auf eine schnelle Umsetzung von Blienerts Vorschlag hofft, wird vermutlich enttäuscht. So einfach dürfte die Idee in Deutschland – dem Land, in dem Alkohol als Kulturgut gilt – nicht realisiert werden. Obwohl die Gefahren wohl jedem in der Republik bekannt sein dürften, ist die Diskussion um Blienerts Vorstoß komplex.
Konfliktlinien werden sichtbar, die schon aus der Corona-Pandemie bekannt sind. Auf der einen Seite Wissenschaftszweige, die sich weitgehend einig sind und harte Einschnitte fordern: Etwas ist gefährlich und muss eingedämmt werden. Um schwere Verläufe und Todesfälle zu verhindern, gelten in der Pandemie Maßnahmen wie beispielsweise Kontaktverbote. So weit, so logisch und richtig. Auf der anderen Seite stehen gesellschaftliche, soziale und psychische Faktoren, die ebenfalls ihre Daseinsberechtigung haben. Es macht etwas mit Menschen, wenn sie ihre Familie und Freunde wochenlang nicht sehen dürfen. Bei der Entscheidung, welche Regeln gelten, müssen die Argumente ausgetauscht und genauestens abgewägt werden.
Kauf- und Konsumverbot von Alkohol für Jugendliche: Vielschichtige Debatte
Hier gibt es eine Parallele zum möglichen Pauschal-Kaufverbot von Alkohol und Tabak für Jugendliche. So hält der Jugendforscher Klaus Hurrelmann den Vorstoß von Blienert trotz der gesundheitlichen Risiken nicht für sinnvoll. „Wir wissen seit Jahrzehnten: In der Altersgruppe erreiche ich nichts, wenn ich etwas verbiete“, sagt er. Wenn eine Substanz verboten werde, erscheint sie einem Jugendlichen „ganz besonders attraktiv“. Wichtig sei, einen verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol zu lernen.
Hierbei übernehmen Eltern in Deutschland traditionell eine wichtige Rolle. Sie sollen die Begleiter sein, die in einen bewussten Konsum einführen. Diese Rolle würde laut Blienert wegfallen, wenn das „begleitete Trinken ab 14“ verboten würde. Stattdessen dürften Jugendliche ihre ersten Erfahrungen in Gruppen von gleichaltrigen Freunden machen und dort sicherlich die Grenzen austesten und auch überschreiten wollen, befürchtet Hurrelmann.
Ohnehin kommt Blienerts Vorschlag für ihn zur falschen Zeit. Die „Generation Z“, also die Kohorte von Jugendlichen, die ab 1997 zur Welt gekommen sind, zeichne sich durch ein hohes Gesundheitsbewusstsein aus, sagt Hurrelmann: „Noch nie wurde so wenig Tabak konsumiert, noch nie wurde so wenig Alkohol getrunken wie heute.“
Warum ein Jugendforscher Blienerts Vorstoß kritisiert
Tatsächlich zeigte eine Auswertung der „Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung“ (BZgA) aus dem Jahr 2020, dass die Raucherquote bei 12- bis 25-Jährigen auf dem niedrigsten Stand seit Beginn der Studiendurchführung in den 1970er-Jahren liegt. 85 Prozent der Befragten gaben an, noch nie geraucht zu haben. Um knapp die Hälfte ist auch die Quote beim Alkoholkonsum gesunken. Laut BZgA haben 2020 insgesamt 9,5 Prozent der Befragten zwölf- bis 17-Jährigen angegeben, mindestens einmal in der Woche Alkohol zu trinken. 2004 lag die Zahl bei 21,2 Prozent.
Für Hurrelmann steckt in dem möglichen Kaufverbot gar eine gewaltige soziale Sprengkraft. „Wir sind in der Pandemie, junge Leute haben seit zwei Jahren den Eindruck gewinnen müssen, dass über ihre Köpfe entschieden wird, dass sie nicht mitreden können“, sagt der Forscher. Komme nun noch das Verbot hinzu, könnte das einen Widerstandsgeister wecken und dazu führen, dass die junge Generation das Vertrauen in die „Erwachsenen-Generation“ verliert.
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Zudem passe der Vorschlag nicht zu anderen Plänen der Ampel, so Hurrelmann. Sie will das Wählen ab 16 ermöglichen, traut jungen Menschen also früh reife Entscheidungen zu. Sie will Cannabis legalisieren, vor allem, um den Schwarzmarkt durch die Freigabe einzudämmen und sicherzustellen, dass keine Substanzen mit schlechter, gesundheitsgefährdender Qualität verkauft werden. „Hier will die Regierung die Übersicht haben, wie das aktuell beim Alkoholverkauf der Fall ist. Blienerts Vorschlag beißt sich damit“, findet Hurrelmann.
Würden sich Jugendliche überhaupt an das Verbot halten?
Ob sich die angesprochene „Generation Z“ überhaupt an die Regel halten würde, steht auf einem anderen Bierdeckel. Dass es Jugendlichen unter 18 heute schon heute nicht schwerfällt, an eigentlich verbotenes Hochprozentiges zu kommen, ist ein offenes Geheimnis.
„Wenn man etwas Härteres trinken möchte, kommt man immer über bestimmte Wege an Alkohol. In einer Gruppe trinkt man sowieso nicht nur Bier oder Wein“, erzählt die 16-jährige Maja Winter*. Blienerts Vorschlag hält sie für nicht realisierbar: „Man trinkt so oder so – egal, ob es ab 16 oder 18 Jahren legal ist.“ Die 17-jährige Josi Müller* sieht das ähnlich. Sie sagt: „Ich denke nicht, dass man sich das im Alter von 16 oder 17 nehmen lassen würde, weil man viel Zeit mit Freunden auf Feiern verbringen und seine Jugend genießen möchte.“
Auch Ärztesprecher Gerschlauer erkennt hier die größte Hürde an Blienerts Idee. „Ein Gesetz ergibt erst Sinn, wenn man für die Umsetzung sorgen kann. Da die Umsetzung schon beim Trinken ab 16 nicht funktioniert, weiß ich nicht, wie die Regelung kontrolliert werden sollte“, sagt er. Sinnvoller sei es, in der Prävention anzusetzen und entsprechende Suchthilfen zu stärken. Aufklären statt verbieten.
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Koeppe von der ginko-Stiftung schlägt zusätzlich vor, die Alkoholpreise hochzusetzen, um den Kauf von Bier und Wein zu erschweren. In Skandinavien werde das mit Erfolg umgesetzt. Nur: Das Wort der Alkohollobby habe in Deutschland Gewicht.
So oder so: Eine Debatte hat Blienert allemal losgetreten. Es bleibt trotz der klaren medizinischen Faktenlage aber abzuwarten, ob aus dem Vorschlag tatsächlich ein Gesetz wird. Vermutlich wird der Drogenbeauftragte das wissen. „Was politisch möglich ist, werden wir sehen“, schob er jedenfalls in besagtem Interview nach. *Namen geändert
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