Essen. Soziale Netzwerke können süchtig machen. Es gibt sogar einen Zusammenhang mit Depressionen. So gefährlich kann Social Media für die Psyche sein.

Längst beschäftigen sich ganze Wissenschaftszweige mit der Frage, wie sich soziale Netzwerke auf unsere Psyche auswirken. An der Universität Duisburg-Essen (UDE) forscht beispielsweise Elisa Wegmann, wie Social Media das Leben eines Menschen so sehr beeinflussen kann, dass er nicht mehr weiß, wie er seinen Alltag meistern soll.

Nicht jeder, der viel Zeit auf Social Media verbringt, sei automatisch süchtig. „Fast alle nutzen Social Media und die Nutzung ist zunächst weder gut noch schlecht“, betont Wegmann vom „Fachgebiet Allgemeine Psychologie: Kognition“ und dem Center for Behavioral Addiction Research (CeBAR).

Soziale Netzwerke haben gute Seiten, sie erleichtern den Austausch mit Freunden ungemein. Aber sie haben auch schlechte Seiten. „Dazu zählt, dass man sich ständig mit anderen vergleicht, viel Zeit online verbringt und aus dem Alltag flüchten kann“, sagt die 34-Jährige. Das Problem: Daraus kann ein süchtig machender Teufelskreis entstehen.

Lesen Sie hier: Das bringt ein Social-Media-Verzicht wirklich – ein Selbstversuch.

Social Media: Abhängigkeit von sozialen Netzwerken ist keine offiziell anerkannte Suchtkrankheit

„Wenn es einer Person nicht gut geht oder sie sich einsam fühlt, kann sie das Bedürfnis entwickeln, sich online mit anderen auszutauschen oder dort dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Sozialkontakt nachzugehen. Sie kann diese Bedürfnisse in den sozialen Medien bewältigen, indem sie sich ablenkt oder dort am sozialen Geschehen teilnimmt“, sagt Wegmann. Ein Mechanismus stelle sich ein: Die Person erwartet, dass auch beim nächsten Mal, diese Bedürfnisse befriedigt werden, sobald man sich einloggt. „Dadurch setzt ein Lernprozess ein, der dazu führt, dass die Person immer und immer wieder Social Media nutzt, um sich besser zu fühlen.“

Dies kann zu einer Abhängigkeit führen, dabei ist die Social-Media-Sucht von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) offiziell nicht als Krankheit anerkannt worden – im Gegensatz zur Computerspielsucht oder dem pathologischen Glücksspiel. Studien geben jedoch Hinweise darauf, so Wegmann, dass Social Media ähnlich wie übermäßiges Zocken oder sogar der Drogenkonsum wirken kann.

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Eine Abhängigkeit liegt nach WHO-Definition dann vor, wenn eine Substanz oder ein Verhalten zunehmend an Priorität gewinnt, Personen einen Kontrollverlust erleben und sie ihr Verhalten trotz negativer Auswirkungen im Alltag fortsetzen. Laut Wegmann kommen manche Studien zum Schluss, dass bis zu 14 bis 24 Prozent der Personen, die an den jeweiligen, internationalen Studien teilgenommen hatten, süchtig nach sozialen Netzwerken seien.

Doch die Forscherin hält solche Zahlen für „überschätzt“: „Ich glaube, dass es eine höhere Anzahl an Personen gibt, die lediglich ein riskantes, problematisches Verhalten entwickelt hat.“ Bei vielen dürfte der Gebrauch der Apps vielmehr aus Gewohnheit erfolgen, so Wegmann: „Man kann sich selbst dabei beobachten: Sie warten auf einen Zug und haben fünf Minuten Wartezeit, wie schnell greifen Sie zum Handy?“

Soziale Medien können ein Verlangen auslösen

Solch ein Verlangen, in der Fachsprache „Craving“ genannt, ist ein bekanntes Phänomen in der Suchtforschung und dafür zuständig, dass man das Smartphone aus der Tasche holt. Dieses Verlangen hat Wegmann bei Probanden in ihren Studien erkannt: Sobald das Smartphone geklingelt hat oder eine Benachrichtigung auf dem Display erschien, entwickelten Probanden den Drang, auf das Handy schauen zu müssen. „Was wir aber auch vermuten, dass das ‚Craving‘ nicht so stark ist wie bei anderen Suchtkrankheiten. Eine Arbeitshypothese ist, dass man einfach auf sein Handy schauen kann, ohne dass es jemanden stört. Das Verlangen wird schnell befriedigt und ist möglicherweise nicht langanhaltend.“

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Dieser automatische Drang, auf den Bildschirm schauen zu müssen, beeinflusst das eigene Verhalten. 90 von 152 Teilnehmenden einer österreichischen Studie schafften es nicht, im Rahmen der Untersuchung eine siebentägige Social-Media-Abstinenz durchzuhalten. Ein weiteres Ergebnis des Forschungsteams: Ein einwöchiger Verzicht reiche bereits aus, um Entzugserscheinungen zu erzeugen, wie sie auch Suchtmittel verursachen können.

So wirken die „Fear of Missing Out“ und der „Like“-Button aufs Gehirn

Der Grund dafür sind wirkmächtige Mechanismen. Auf Facebook und Instagram werden unzählige Fotos und Videos von Freunden oder Influencern angezeigt, die scheinbar das perfekte Leben führen. Schnell vergleicht man sich – und entwickelt dabei das Gefühl, langweiliger zu sein und etwas zu verpassen. In der Fachsprache wird dieses Phänomen „Fear of Missing Out“ (FoMO) genannt, erklärt Wissenschaftlerin Wegmann.

Bei den wenigsten Menschen dürfte das Smartphone so leer aussehen wie hier: Nutzerinnen und Nutzer von sozialen Netzwerken loggen sich häufig übers Handy ein.
Bei den wenigsten Menschen dürfte das Smartphone so leer aussehen wie hier: Nutzerinnen und Nutzer von sozialen Netzwerken loggen sich häufig übers Handy ein. © Fabian Strauch / FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Nicht zu unterschätzen sei auch die Wirkung des „Like“-Buttons. Wenn eine Person ein „Like“ erhält, sei das ähnlich belohnend wie ein Lob im realen Leben. „Die Erwartung, dass ich positives Feedback für einen Post bekomme, kann dafür sorgen, dass ich mehr poste.“

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Dazu passt das Ergebnis einer Umfrage, die der IT-Dienstleister „ExpressVPN“ bei 1500 Jugendlichen aus Deutschland zwischen 16 und 24 Jahren durchgeführt hat. 40 Prozent der Teilnehmenden hätten schon einmal einen eigenen Post gelöscht, wenn er nicht genügend „Likes“ erhielt. 23 Prozent der Befragten sagten, dass man ihnen mehr als eine Million Euro zahlen müsse, damit ihr am häufigsten genutztes Profil dauerhaft gelöscht wird – und gleich 93 Prozent bestätigten, dass soziale Medien einen direkten Einfluss auf ihr Wohlbefinden haben.

Dieser Einfluss stehe sogar in einem Zusammenhang zu Depressionen, wie Studien gezeigt hätten. Aber, so Wegmann: „Ob die depressive Symptomatik zu einer höheren Nutzung führt oder die höhere Nutzung zur Symptomatik, ist noch nicht nachgewiesen worden.