Ruhrgebiet. 1961 schlossen Deutschland und die Türkei ein Anwerbeabkommen, 900.000 sogenannte Gastarbeiter kamen. Fünf von ihnen erzählen ihre Geschichte.

Vor 60 Jahren unterzeichneten Deutschland und die Türkei ein Anwerbeabkommen, um türkische Arbeitskräfte ins Land zu holen. Die sogenannten Gastarbeiter sollten nur kurz bleiben. Viele von ihnen sind längst in Deutschland alt geworden.

>>> DIE WUNDERSAMEN HÄNDE DES HERRN AYDIN

Sabri Aydin (86) gehört zu den ersten sogenannten Gastarbeitern aus der Türkei, die zur Arbeit in Deutschland angeworben worden sind. Er kam nach Duisburg.
Sabri Aydin (86) gehört zu den ersten sogenannten Gastarbeitern aus der Türkei, die zur Arbeit in Deutschland angeworben worden sind. Er kam nach Duisburg. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Duisburg. Sabri Aydin wollte eigentlich gar nicht weg von der Schwarzmeerküste. Es waren seine Arbeitskollegen von der Zeche, die den jungen Türken an einem Juli-Tag 1961 drängten: Er solle doch mitkommen zu dem „deutschen Direktor“, der unter den Bergleuten der türkischen Stadt Zonguldak kräftige Arbeitsmigranten für den Bergbau in Duisburg suchte. Aydin, damals 26 Jahre alt, ging, mehr aus Interesse als mit Absicht – und stand bald mit der Chance auf Arbeit im fernen Deutschland da.

Seine Hände hatte er dem Deutschen zuvor zeigen müssen. Sie waren voller Schwielen. „Er dachte wohl, das kommt von der harten Arbeit unter Tage“, sagt Aydin heute. „Dabei kam die Hornhaut vom Rudern. Ich war kein Bergmann, sondern Telefonist bei der Zeche.“

Er wollte einen Monat lang gucken, wie das Leben in Deutschland ist – 60 Jahre später sitzt Sabri Aydin (Mitte) mit der Familie in Duisburg (v.l.): Sohn Yakup, Schwiegertochter Ifagat, Urenkelkinder Esila, Ela und Kuzey, Enkel Gökhan Aydin.
Er wollte einen Monat lang gucken, wie das Leben in Deutschland ist – 60 Jahre später sitzt Sabri Aydin (Mitte) mit der Familie in Duisburg (v.l.): Sohn Yakup, Schwiegertochter Ifagat, Urenkelkinder Esila, Ela und Kuzey, Enkel Gökhan Aydin. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Sechs Jahrzehnte ist das her und Sabri Aydin muss noch immer herzhaft lachen, wenn er von jenem glücklichen Missverständnis berichtet, das ihm 1961 den Weg nach Deutschland ebnete. Es ist ein ansteckendes Lachen.

Aydin, ein rüstiger, vergnügt wirkender Senior von 86 Jahren, sitzt im Wohnzimmer seines Sohnes. Er ist umringt von der Familie, von Kindern, Enkel- und Urenkelkindern – vier Generationen leben inzwischen in jenem Land, in dem Aydin ursprünglich nur einen Monat lang bleiben wollte. Der Duisburger lacht wieder und hebt die so entscheidenden Hände: „So sind die Dinge eben.“

Mit Blaskapelle verabschiedet

Aydin gehörte zu den ersten türkischen sogenannten Gastarbeitern, die Deutschland in den 60er Jahren anwarb. Die Bundesrepublik benötigte dringend zusätzliche Arbeitskräfte – auch aus der Türkei. Noch bevor am 30. Oktober 1961, vor genau 60 Jahren, das Anwerbeabkommen unterzeichnet wurde, hatte es private Alleingänge von Institutionen und Industrie gegeben, die Arbeitsmigranten ins Land holten – rund 3500 waren es 1960. 8700 schon ein Jahr später – Sabri Aydin war einer von ihnen. In seinem Fall sei es ein türkischer Ingenieur gewesen, der Kontakt zum Duisburger Bergbau herstellte.

Mit Blaskapelle und von weinenden Müttern seien die 120 Männer damals in Zonguldak verabschiedet worden. In Ankara gab es die Reisepässe, rein in die französische Propellermaschine. „Das war mein erster Flug und dann gab es auch noch Sturm. Ich hab gedacht, das ist das Ende.“ War es nicht, aber ein Anfang: In Düsseldorf warteten am 24. Juli 1961 eine Bergmannskapelle und neugierige Deutsche, in Duisburg dann ein Heim für Gastarbeiter, drei Mann auf einem Zimmer, und die Zeche Westende. Aydin, der „Telefonist inkognito“, stand schon bald zwischen seinen Bergmanns-Kollegen im 1000 Meter tiefen Stollen und wollte am liebsten wieder rauf.

Nach der Maloche spielten türkische und griechische Kumpel Fußball. Sabri Aydin (im Mannschaftsfoto 2.v.r. sitzend) spielte als Verteidiger.
Nach der Maloche spielten türkische und griechische Kumpel Fußball. Sabri Aydin (im Mannschaftsfoto 2.v.r. sitzend) spielte als Verteidiger. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Kumpel, Schweißer, Friseur

Er überwand sich, lernte durchs Fragen, Zusehen und mit Fleiß. Für 18 Mark Lohn am Tag setzte Aydin die Stahlstempel zum Abstützen des Hangenden, erst tief unter der Erde, später weiter oben. Er bildete sich fort und lernte das Schweißerhandwerk. Er kam in eine Werkstatt über Tage und zu einem Chef, der ihn nicht nur alltäglich zur Unterhaltung ins Büro zitierte, sondern dem er auch noch die Haare schneiden sollte. „Seine Frau zu Hause hat getobt! Was ich gemacht habe, sagte er am nächsten Tag zu mir. Ich sagte, ich habe Türkisch gemacht.“ Sabri Aydin lacht wieder.

Einen Monat hat sich Aydin 1961 von seiner Arbeit als Telefonist in Zonguldak freigenommen, um die Arbeit in Deutschland kennen zu lernen. Er blieb ein Jahr, kaufte einen schwarzen Opel Kapitän und fuhr die dreitägige Strecke aus dem Ruhrgebiet bis nach Hause. Dort holte er seine Frau und den kleinen Sohn. „Alleine war es nicht gut, ich wollte meine Familie bei mir haben.“

Nach dem ersten Jahr in einer Wohnung vom Bergbau für 20 Mark Miete habe er gedacht: Ein Jahr bleibst du noch. Dann kam das erste Kind in die Schule, bald das zweite. Zurückgehen? Aydin schüttelt den Kopf: „Hier war ich ein Gastarbeiter, aber in der Türkei war ich ein deutscher Arbeiter. Für meine Kinder war es dort fremd.“ 1968 schloss die Zeche Westende, Aydin wechselte in eine Kokerei, er war bis zur Rente 2001 in Beschäftigung. In einem früheren Chef habe er bis heute einen Freund gefunden.

Deutsch habe er wie ein Papagei gelernt, sagt er, Sprach- oder Integrationskurse habe es nicht gegeben. Die habe er auch nicht gebraucht, sagt Aydin. „Ich habe immer Kontakt zu deutschen Familien gesucht. Die Menschen waren nett zu uns“, sagt er. Nach der Arbeit spielten die Kumpel Fußball – Türken und Griechen, eine Zeche gegen die andere. Aydin war Verteidiger. Auch nach Feierabend holte er im Viertel Kinder zum Kicken zusammen. Vier Kinder hatten die Aydins selbst. Inzwischen gehören neun Enkel- und 13 Urenkelkinder zu den Aydins.

Seinem Stadtteil treu geblieben

„Ich bin jetzt 60 Jahre hier, meine Kinder sind groß, alle haben Häuser, alle haben Arbeit, Techniker, Beamte, Fernsehtechniker“, betont der 86-Jährige. Immer habe er im gleichen Stadtteil, in Laar, gewohnt. Seit dem Tod seiner Frau lebt er im Haus des Sohnes mit Garten. „Ich war immer hier.“

Denkt er je daran, was aus ihm geworden wäre, wenn er damals nicht mit seinen Kollegen von der Zeche im türkischen Zonguldak zu dem deutschen Direktor gegangen wäre? Er hätte in der Türkei gelebt, sagt Aydin. Er habe kein schlechtes Leben gehabt, hatte einen Beruf und Arbeit. Aber es wäre ein anderes Leben gewesen.

>>> IM KELLER STAPELTEN SICH DINGE FÜR FÜR RÜCKKEHR

Oberhausen. Noch immer erinnert sich Arslan Yabas an die deutsche Nachbarin in dem Haus, in dem er mit seiner Familie ab Mitte der 70er-Jahre gewohnt hat. Sie habe keine Kinder gehabt und sich wohl deshalb besonders über die fünf Kleinen der Yabas’ gefreut. Immer wieder habe sie den Ältesten Süßes zugesteckt, was Yabas nicht sonderlich geheuer war. Die Nachbarin merkte das wohl und fand einen Umweg: Sie habe das Geschenkte bald aus dem Fenster heraus an einem Seil zu den Kindern gelassen – unentdeckt, so glaubte sie, von den Eltern.

Yabas lächelt. Er habe gute Erfahrungen mit den Deutschen gemacht, sagt der heute 82 Jahre alte Mann bei einem Gespräch in der Ditib-Moschee in Oberhausen. Trotzdem sei jeder für sich geblieben. Yabas pellt beim Sprechen Mandarinen, die er seinem Besuch mit einem Zunicken anbietet. Ihm gegenüber sitzt der Sohn eines Freundes, Saadettin Tüzün, der beim Erzählen unterstützt.

Drei Jahrzehnte reinigte er Züge für die Bahn

Yabas kommt aus einem türkischen Dorf. Er ist Ende 20, als ihm der Arbeitsvertrag einer Kunststofffirma die Reise nach Deutschland ermöglicht. Neun Monate später, im Oktober 1969, steigt er mit seinem Koffer in Oberhausen aus dem Zug – groß, geschäftig und beeindruckend sei die Stadt gewesen. Züge würden Yabas fortan beschäftigten: Er arbeitete bis 1999 für die Bahn und reinigte Personenzüge – in Oberhausen, Duisburg, Emmerich, Dortmund.

Bei der Bundesbahn traf er auf ein bald eingeschworenes Team, viele Türken, auch Deutsche. In den Pausen kamen Kinder der Kollegen mit Henkelmännern. Er schloss Freundschaften, die bis heute halten.

Arslan Yabas (82) gehört zu den Gründungsmitgliedern seiner Oberhausener Moscheegemeinde.
Arslan Yabas (82) gehört zu den Gründungsmitgliedern seiner Oberhausener Moscheegemeinde. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Die Bahn habe ihm früh angeboten, seine Familie aus der Türkei zu holen, aber Yabas wollte erst selbst zurechtkommen. Mit seinem Bruder, der ihm die Arbeit besorgt hatte, teilte er sich ein Zimmer im Wohnheim, arbeitete und verdiente wie erhofft das Geld, das er per Post an die daheimgebliebene Frau und die Kinder schicken konnte. Am Wochenende liefen sie zum Postamt, um Gespräche in die Heimat anzumelden – alles ging zu Fuß, bis er mit 32 Jahren Fahren lernte und sein erstes Auto kaufte: „Ein Ford Taunus, weiß.“

Moschee-Gemeinde gegründet

Nach fünf Jahren in Deutschland habe er für sich entscheiden müssen, sagt er – geht er zurück oder kommt die Familie her? Er holte Frau und Kinder 1974 in jene von der Bundesbahn vermittelte Wohnung, mit Toilette im Hausflur, Zinkwanne zum Baden und der Süßigkeit gebenden Nachbarin. Die älteste Tochter war elf Jahre. Für sie sei es am schwierigsten gewesen.

Trotz der Zusammenführung: Angekommen in Deutschland sei er auch damals nicht. „Man war weder richtig hier noch da“, sagt Yabas. In vielen Kellern von Freunden, auch in ihrem, stapelten sich Dinge für eine mögliche Rückkehr in die Türkei: Decken, Geschirr, Bettwäsche. Zugleich gründete Yabas mit Freunden jenen Verein, zu dem heute die im Oberhausener Stadtbild präsente Ditib-Moschee gehört.

Es habe nie den einen Tag der Entscheidung gegeben, zu bleiben, sagt Yabas fast genau 52 Jahre nach seiner Ankunft in Oberhausen. Das habe sich über die Jahre entwickelt. Und trotzdem sagt der 82-Jährige: „Es ist nicht wichtig, wo man geboren ist, sondern, wo man lebt.“

SIE FOLGTE IHREM MANN: „ICH HABE MICH DAMALS SEHR FREMD GEFÜHLT“

Bingöl/Essen. Als Rabia Demirağ 1973 zum ersten Mal ins Ruhrgebiet kam, wollte sie nicht bleiben. Die Sprache war ihr fremd, ihr fehlte das heimische Essen und die Wohnung war eng und klein. Fünf Jahre war es damals her, dass ihr Mann entschieden hatte, die Stadt Bingöl in Anatolien zu verlassen, um in Deutschland zu arbeiten. Nun sollte sie ihn besuchen – und ihm über kurz oder lang folgen. „Ich habe mich damals sehr fremd in Deutschland gefühlt“, sagt die Kurdin heute.

Rabia Demirağ sitzt auf einem Sofa vor einer weiß getünchten Wand in Bingöl. Die 77-Jährige lächelt freundlich in die Handykamera. Sie fliege oft in ihre alte Heimat, sagt sie, viele ihrer Verwandten lebten noch immer in der Türkei. Sohn Necmettin lehnt seinen Kopf an die Schulter der Mutter, damit beide Gesichter beim Videoanruf zu sehen sind. Er hilft beim Erzählen.

Rabia Demirağ ist heute 77 Jahre alt. In Deutschland zog sie vier Kinder groß und arbeitete als Reinigungskraft.
Rabia Demirağ ist heute 77 Jahre alt. In Deutschland zog sie vier Kinder groß und arbeitete als Reinigungskraft. © Privat | Privat

Das Geld kam mit der Post

Die Ehe mit ihrem Mann sei Liebe auf den ersten Blick gewesen. 1966 heirateten sie gegen den Willen ihrer besser gestellten Familie. Ihr Mann sei als Waise mit drei Brüder groß geworden, viel Geld war nie da. Er arbeitete in einer Ziegelfabrik. Mit dem Lohn sei die Familie gerade so ausgekommen. 1966 habe er die Chance erhalten, zwei Jahre nach Deutschland zu gehen. Er flog nach Hannover, arbeitete dann als Metallschleifer in Essen – und blieb.

Seinen Brüdern, mit denen Rabia Demirağ und ihre Kinder lebten, schickte er Geld. „Die Frauen konnten nicht viel mitbestimmen“, sagt Necmettin Demirağ. Seine Mutter sei trotz der Heimaturlaube des Vaters praktisch alleinerziehend und die Situation schwierig gewesen. 1977, vier Jahre nach ihrem ersten Deutschlandbesuch, folgte die damals 33-Jährige ihrem Mann deshalb dann doch mit ihren Kindern nach Essen-Altendorf und später -Altenessen.

Deutsch schnappte sie sich auf und putzte elf Jahre lang Schulen und Büroräume

Dort erlebte sie eine wachsende türkische Gemeinschaft, was ihr das Ankommen zwar erleichtert habe. Ausgrenzungserfahrung habe es dennoch viele gegeben, erinnert man sich in der Familie. Deutsch konnte Demirağ lediglich im Alltag aufschnappen, so wie sie sich einst selbst das Schreiben und Lesen beigebracht hatte – einen Zugang zum Sprachkurs hatte sie nicht. Doch ihre Nachbarn waren Deutsche, ihre Kinder sprachen miteinander Deutsch, darauf habe sie geachtet. Sie selbst hat als Reinigungskraft gearbeitet. Elf Jahre lang hat sie in Schulen und in Bürogebäuden sauber gemacht. Weiterbildungschancen sah sie nicht.

Zu Hause zog Demirağ neben der Arbeit ihre bald vier Kinder groß, schickte sie zu Schulen, von denen sie hoffte, dass es die besten der Stadt sind. Die Lehrkräfte verstehen konnte sie nicht, aber es sei ihr wichtig gewesen, dass die Kinder lernen, einen guten Beruf ergreifen und ein gutes Leben haben. Zwei haben studiert, zwei eine Ausbildung gemacht.

Ihretwegen bleibe sie in Deutschland, sagt die 77-jährige Rentnerin zum Abschied. Eigentlich aber wolle sie zurück in die Türkei.

DER EINE WILL GEHEN, DER ANDERE KOMMT MIT: „WIR HABEN ES GUT GEMACHT“

Essen. Dreieinhalb Jahrzehnte nach seiner Ankunft in Deutschland hat Ismail Tatik etwas getan, das in wohl kaum einem Land so verbreitet ist wie in Deutschland: Er gründete mit Freunden einen Verein.

Mit Vorsitzendem, Schatzmeister, Schriftführer – allem, was dazu gehörte. 2006 entstand so der Verein „Alevitische Gemeinde Essen“. „Wir wollten einen Ort haben, an dem wir zusammenkommen können“, sagt der Vorsitzende Tatik beim Tee mit seinem Bekannten Ali Öztürk in den Räumen der Alevitischen Gemeinde im Stadtteil Altendorf. 170 Familien gehören heute dazu. Es gibt Jugendarbeit, eine Frauengruppe, Lesungen und Familienfeste - Gemeindeleben eben.

Der eine wartete fünf Jahre auf die Arbeitserlaubnis, der andere kam der Frau zuliebe: Ismail Tatik (78,l.) und Ali Öztürk (80) haben in Rheinland-Pfalz und der Eifel gearbeitet, eh es ins Ruhrgebiet ging:
Der eine wartete fünf Jahre auf die Arbeitserlaubnis, der andere kam der Frau zuliebe: Ismail Tatik (78,l.) und Ali Öztürk (80) haben in Rheinland-Pfalz und der Eifel gearbeitet, eh es ins Ruhrgebiet ging: © FUNKE Foto Services | Bernd Thissen

Tatik und Öztürk gehören zu jenen Arbeitsmigranten, die kurz vor dem Anwerbestopp von 1973 nach Deutschland kommen konnten. Tatik wurde 1972 von einem rheinland-pfälzischen Unternehmen angeworben, das Spanplatten herstellte.

Fünf Jahre hatte er in Ostanatolien auf diese Chance gewartet, wo es für den zweifachen Familienvater wirtschaftlich schwierig geworden war. „Ich war Sekretär, hatte mich auch mit einem Schwager selbstständig gemacht. Aber wir brauchten diese Arbeit.“

Das Auto des Bauarbeiters überzeugte

Und Ali Öztürk? Er wollte gar nicht weg aus der Stadt Van in Ostanatolien, wo er in der Gastronomie arbeitete. Seine Frau habe das anders gesehen: „Ein Bauarbeiter aus unserer Stadt war damals nach Deutschland gegangen. Nach sechs Monaten kam er mit einem roten Ford Escort zurück und meine Frau sagte: ,Siehst du, was er geschafft hat’“, erzählt der 81-Jährige und lacht.

Erst ging die Frau, 1973 kam Öztürk nach. Sie arbeiteten in einer Keramikfabrik in der Eifel, dann schuftete Öztürk in einem Betrieb für landwirtschaftliche Maschinen, machte sich selbstständig mit einem Restaurant, bis es gesundheitlich nicht mehr ging.

Deutsch wird er ohne feierlichen Akt

Als die Männer nach Deutschland einreisten, hatte die Bundesrepublik mehr als zehn Jahre Erfahrung mit türkischer Arbeitsmigration. Was war das für ein Land, das sie da kennenlernten? Tatik erinnert sich an einen Maschinenführer, bei dem er Vokabeln genau nachfragte, um sie zu Hause nachzuschlagen. Er wird selbst Maschinenführer, später Betriebsrat, zieht ins Ruhrgebiet und macht sich mit Imbissen selbstständig. „Ein Familienunternehmen, das gut lief. Ich habe das gern gemacht, man kam mit den Leuten ins Gespräch.“

Ali Öztürk ergänzt, Ausgrenzung habe er nicht erlebt. Er erzählt vom Deutschkurs, den sein Unternehmen anbot, und vom Billardspielen mit Kollegen. „Das war immer genau richtig, weil man nebenbei noch ein Gespräch führen konnte.“ 1994 wird Öztürk selbst Deutscher, ohne feierlichen Akt. Der 81-Jährige sagt heute: „Meine Frau hatte recht. Wir haben es gut gemacht, hierherzugehen.“