Oberhausen. Corona entzieht den Moscheen ihre Finanzierungsgrundlage. Hätte man ihnen als Zeichen der Solidarität zumindest den Muezzin-Ruf erlauben sollen?

Auch die muslimischen Gemeinden in Oberhausen werden hart von Corona getroffen: Spendengelder, die normalerweise bei Freitagsgebeten, Basaren oder Gemeindefeiern gesammelt werden, fehlen als Finanzierungsgrundlage. „Für die Gemeinden ist das existenzbedrohlich“, sagt Ercan Telli, Geschäftsführer des Integrationsrats. „Die Situation ist sehr angespannt.“

Besonders kleinere Moscheen, die nicht auf Ersparnisse zurückgreifen können, sind laut Bayram Kücük gefährdet. Der 42-Jährige ist Vorsitzender in der Zentralmoschee an der Duisburger Straße. Diese gehört zwar der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) an, der größten Islam-Organisation in Deutschland. Geld vom Dachverband könne man aber nicht erwarten, betont Kücük. „Jeder steht auf den eigenen Beinen.“

Benachteiligte Kinder leiden unter der Situation der islamischen Vereine

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Die Zahl der Gläubigen – und somit auch die Zahl der potenziellen Spender – sind bei den Freitagsgebeten aktuell stark reduziert. „Wo vorher 200 Gläubige hingepasst haben, könnten aufgrund der Schutzvorschriften nur noch 50 Platz nehmen“, sagt Kücük. Zudem müsse aktuell jeder seinen eigenen Gebetsteppic h mitbringen. „Und wir messen bei jedem Fieber, der die Moschee betritt.“ Laut Kücük werden die Corona-Vorschriften sowohl in deutscher und englischer als auch in arabischer und türkischer Sprache vermittelt. „Wir haben ja Gläubige mit ganz unterschiedlicher Herkunft.“

Corona schränkt aber nicht nur das religiöse Zusammensein, sondern auch die Integrationsarbeit der Vereine ein. Die rund 90 Jugendlichen aus benachteiligten Familien, die beim Osterfelder Verein für Bildung und Integration (OVBI) normalerweise warme Mahlzeiten und Hausaufgabenbetreuung erhalten, müssen dort seit März vertröstet werden. „Die Betreuung liegt komplett auf Stillstand“, sagt Recep Kocaoglu vom OVBI. „Kinder aus bildungsfernen Familien leiden da erheblich drunter.“

Diskussion über Muezzin-Ruf in Oberhausen

Oberbürgermeister Daniel Schranz hatte die Moscheevereine im Mai zu einem Krisengespräch eingeladen. Diskutiert wurde dabei auch darüber, ob während der Corona-Zeit ein öffentlich wahrnehmbarer Muezzin-Ruf erlaubt werden soll. Duisburg hatte vom 20. März bis 25. Mai als bundesweit erste Stadt erlaubt, dass die drei großen Moscheen mit Minarett zum Abend „als Zeichen der Solidarität und des Miteinanders“ zum Gebet aufrufen dürfen. Bundesweit zogen zahlreiche Städte nach, in vielen wurde ein Antrag der Gemeinden aber auch abgelehnt.

Sonderprogramm für Vereine

Die Stadt hat Mitte September eine zwei Millionen Euro schwere Corona-Sonderförderung für Solo-Selbständige, Kulturprojekte und gemeinnützige Organisationen auf den Weg gebracht. Auch Moscheevereine sind antragsberechtigt.

Nachgewiesen werden müssen für die Förderung unter anderem coronabedingte Einnahmeeinbußen und Kostennachteile. Förderfähige Projekte müssen detailliert beschrieben werden, der Antragsteller darf nicht bereits Geld von Bund oder Land bekommen haben. Antragsformulare und weitere Informationen gibt es im Internet unter www.oberhausen.de/de/index/rathaus/news/corona-sonderfoerderung.php

„In Oberhausen wurde es den Moscheen grundsätzlich freigestellt, einen Muezzin rufen zu lassen“, sagt Integrationsrat-Geschäftsführer Ercan Telli. Man sei sich dann aber größtenteils einig gewesen, „Symbolik zurückzustellen und das Thema in Oberhausen lieber generell diskutieren und vertiefen zu wollen“. Wichtig sei es, so Telli, „strukturelle, statt in den Tag hinein gelebte Lösungen anzustoßen“, um auch Rechtspopulisten keine Möglichkeit zu geben, eine Debatte ausnutzen.

Mehr Zusammengehörigkeit unter Religionsgemeinschaften durch Corona-Zeit

Auch Recep Kocaoglu vom OVBI hat nach eigener Aussage nichts davon gehalten, Muezzin-Rufe nur für eine bestimmte Zeit zu dulden. „Wir sind an einer gesamtgesellschaftlichen Lösung interessiert und wollen niemanden in Erklärungsnot bringen.“ Bayram Kücük von der Zentralmoschee glaubt zwar, dass der Muezzin-Ruf eine gute Möglichkeit gewesen wäre, um während Corona „Zusammenhalt nach außen zu tragen“. Den Gebetsruf fest zu installieren, stehe jedoch nicht auf dem Plan der Gemeinde. „Wir denken nicht darüber nach, das grundsätzlich machen zu wollen.“

Das eine sind die Symbole des Zusammenhalts – das andere die gelebte Solidarität. Und die ist laut Kücük in der Corona-Zeit stark gewachsen. „Die Religionsgemeinschaften sind mehr zusammengerückt“, sagt der Gewerkschafter und Prozesselektroniker, der nun nach eigenen Angaben viel mehr in Kontakt mit der Emmaus-Kirchengemeinde an der Duisburger Straße und anderen christlichen Gemeinden steht. „Sie haben uns zum Ramadan Wünsche überbracht, wir ihnen zu Ostern“, sagt er. „Die Pandemie hat den interreligiösen Dialog gestärkt.“

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