Dortmund. Hitze, Missernten, ein überfluteter Westen. Die Klimaerwärmung ist längst in NRW angekommen. Der traurige Grund, warum in Dortmund Wein wächst.
Bäche, die zu Strömen heranwachsen, Autos, Häuser, ganze Straßenzüge mit sich und über 180 Menschen in den Tod reißen. Mitten in Deutschland. Wie ein Zaunpfahl vor den Kopf, so gewaltig, so zerstörerisch und so radikal offensichtlich legte uns die Flutkatastrophe die Folgen der Erderwärmung dar. Zwar unscheinbarer, doch nicht minder verhängnisvoll sind die schleichenden klimatischen Auswirkungen, die im Ruhrgebiet bereits seit Jahrzehnten dokumentiert werden.
Eine – vordergründig positive – Folge des Klimawandels ist in Dortmund zu bestaunen: Dank steigender Temperaturen betreibt die Emschergenossenschaft vor Ort Weinanbau, bald schon an drei Hängen.
Saurer Wein im Mittelalter wurde durch süßen aus dem Süden ersetzt
„Wir haben den ersten Weinberg als Klimawandelindikator angelegt“, sagt Mario Sommerhäuser von der Emschergenossenschaft, der den Bereich Flussgebietsmanagement an Emscher und Lippe leitet.
Zwar sei bereits im Mittelalter zu einer Warmzeit Wein im Ruhrgebiet angebaut worden, „aber man kann den Wein von damals mit dem heutigen nicht vergleichen.“ Im Zuge einer kleinen Eiszeit im 15. Jahrhundert habe der Weinbau in der Region wieder ein Ende gefunden, auch weil nun der Import von – wesentlich süßeren – Weinen aus südlichen Gebieten leichter möglich war.
Hier zeichnet sich der Klimawandel im Revier ab
Laut dem „Klimafolgenmonitoring“ des Landesumweltamts ist seit 1961 die Zahl der Tage mit hoher oder sehr hoher Waldbrandgefahr deutlich gestiegen – das Jahr 2018 erreichte mit 63 Tagen einen Negativrekord.
Die Bodentemperatur hat seit 1951 „hochsignifikant“ zugenommen – maß die Station des Deutschen Wetterdienstes (DWD) in Essen-Bredeney.
Die „Extremwertuntersuchung Starkregen in NRW“ verzeichnet einen „hochsignifikanten Anstieg der mittleren Anzahl der Starkregenereignisse“ im Zeitraum 1961 bis 2018.
1881 bis 1910 lag die mittlere Temperatur in NRW bei 8,4 Grad; im Zeitraum 1990 bis 2019 bei 9,9 Grad. Laut dem DWD-Trend beschleunigt sich der Temperaturanstieg seit den 1980er Jahren.
„Der Wein hat Temperaturansprüche, die selbst vor hundert oder fünfzig Jahren hier in der Region noch nicht erfüllt waren“, sagt der Gewässerbiologe, „Doch was wir in den letzten Sommern erlebt haben, ist dramatisch!“ Der Wasserverband bekam die Folgen extremer Trockenheit 2018 und 2019 besonders zu spüren. „Wir haben zum ersten mal erlebt, dass bis zur Hälfte aller Flüsse und Bäche trocken gefallen oder auf Teilstrecken ausgetrocknet sind“, sagt Sommerhäuser mit Blick auf das Gebiet rund um Lippe und Ruhr.
RUB-Klimatologe erforscht Auswirkungen des Klimawandels im Ruhrgebiet
„Als Wasserwirtschaftsunternehmen wissen wir schon seit einigen Jahrzehnten, dass der Klimawandel Realität ist“, sagt Mario Sommerhäuser, „das ließ sich in den vergangenen Jahren beispielsweise an Starkregenereignissen beobachten.“ Hochwasserschützer des Verbands arbeiteten daher an Konzepten, das Wasser der Starkregenfälle zurückzuhalten und langsam versickern zu lassen.
Die Emschergenossenschaft verzeichne zudem eine Häufung von Gewitterereignissen und „Schwankungen in den Mikrotemperaturen“. Eine weitere Folge, die Gewässerbiologe Mario Sommerhäuser beobachtet: „Die Gewässer werden immer wärmer – auch das kann zum Problem werden, beziehungsweise die Lebensgemeinschaften verändern.“
Ob und wie sich der Klimawandel künftig auf das Ruhrgebiet auswirkt, können Klimatologinnen und Klimatologen nicht verlässlich prognostizieren, erklärt Benjamin Bechtel, Professor für Stadtklimatologie an der Ruhr-Universität Bochum (RUB). Ohne die wesentlichen klimabeeinflussenden Faktoren wie beispielsweise den künftigen Treibhausgasausstoß zu kennen, könne keine Klimavorhersage getroffen werden.
Studierende der RUB kartieren Bochumer Wärmeinsel
Die Klimatologie arbeite daher mit Szenarien, also wie sich das Klima „unter der Annahme einer bestimmten Treibhausgaskonzentration“ entwickelt. Aber: „Was man klar sagen kann – die aktuelle Entwicklung ist bei einer Fortschreibung mit den im Pariser Klimaabkommen gesetzten Zielen nicht vereinbar.“
Mit seinen Studierenden der Ruhr-Uni Bochum geht der Professor für Stadtklimatologie den Auswirkungen der Klimakrise in der Region nach, beispielsweise mithilfe von „Crowdbike“-Messfahrten, auf denen sie die „Wärmeinsel“ Bochums ausmachen konnten.
Neben dem Gedeihen von Weinstöcken zeichnen sich im Revier auch andere Folgen des Klimawandels ab. „Recht eindeutig erkennen wir den Klimawandel an der Zunahme von sehr heißen Tagen – das kennt auch jede beziehungsweise jeder aus eigener Anschauung“, so Bechtel. „Die zehn wärmsten Tage an unserer über hundert Jahre alten Messstation in Bochum waren alle in diesem Jahrhundert, die meisten in den letzten sieben Jahren.“
„Klimafolgen enden nicht an der Gemeindegrenze“
Zudem lasse sich eine Zunahme anderer Extremereignisse beobachten, so auch Starkregen. Doch: „Hier muss man aber sehr vorsichtig sein – man kann nie ein Einzelereignis sicher dem Klimawandel zuschreiben, sondern nur eine auffällige statistische Häufung.“
Zwar sei das Thema Klimaschutz bei vielen Entscheiderinnen und Entscheidern in den Revierstädten bereits angekommen, doch längst nicht in jeder Stadt würden die notwendigen Handlungen entsprechend abgeleitet. „Vorreiter wie Gelsenkirchen sind schon lange aktiv und entsprechend sehr weit, andere könnten sicher noch etwas mehr tun“, sagt der RUB-Professor.
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Bei dem Versuch der Städte, sich an steigende Temperaturen anzupassen, sei die „oftmals dezentrale Raumstruktur und Verwaltung“ eine große Herausforderung, zumal die „Klimafolgen ja nicht an der Gemeindegrenze enden“.
Weinberg in Dortmund-Barop als Mitmachprojekt angelegt
Mario Sommerhäuser von der Emschergenossenschaft kann diesen Klimafolgen etwas abgewinnen. Und zwar literweise.
Den ersten Wein ließ die Emschergenossenschaft bereits 2012 an 96 Rebstöcken am Phoenix-See anlegen. Der zweite Weinberg folgte im Winter 2017/ 2018 in Dortmund-Barop, ausgelegt als Mitmachprojekt. Die ersten Flaschen des so produzierten und – seiner Einschätzung nach –„sehr guten Weins“ namens „Neues Emschertal“ kamen für einen guten Zweck unter den Hammer, eine Flasche brachte sogar 700 Euro bei der Versteigerung ein.
Doch nicht genug für die Emschergenossenschaft. „Als der Anbau größer wurde, wollten wir einen Profi für die Weinberge an der Seite haben“, sagt Sommerhäuser, „deshalb haben wir uns Tina Krachten als unsere Allround-Beraterin in Sachen Weinbau dazugeholt.“
Expertin aus der Pfalz kümmert sich um Dortmunder Weinstöcke
Die Fachfrau für Weinbau und Önologie arbeitete zuvor als Kellermeisterin in einem alten Weingut in der Pfalz. „Doch hier ist die Emschergenossenschaft eine Art Pionier – das hat seinen ganz eigenen Reiz“, so die Winzerin. Freude mache ihr vor allem die Arbeit am Mitmach-Weinberg. „Die Leute sind so begeistert und bringen viel Interesse am Weinbau mit.“
Gemeinsam mit der Weinbau-Expertin will Biologe Mario Sommerhäuser bald schon die nächsten, ambitionierten Winzerpläne des Verbands umsetzen: „Wir haben zusammen mit Frau Krachten vor, ab 2022 und 2023 einen sehr großen Weinbau-Standort mit 8000 bis 9000 Rebstöcken zu schaffen – als Teil des großen ,Emscherland’-Projekts.“ Neben einem Natur- und Wasser-Erlebnis-Park sollen am Wasserkreuz Emscher/Rhein-Herne-Kanal in Castrop-Rauxel auch neue Weinberge entstehen.
Paradoxerweise spielt der fortschreitende Klimawandel der Emschergenossenschaft in Sachen Weinbau weiter in die Karten. In Dortmund könnte bald auch Wein aus roten Trauben gewonnen werden, die deutlich mehr Sonne als grüne Trauben benötigen. „Es gibt Rotweine, die für das Ruhrgebiet ideal geeignet sind: Frühburgunder und Spätburgunder“, sagt Winzerin Tina Krachten, „In Dortmund steht auch ein Cabaret Noir – doch diese Reben brauchen noch drei Jahre, bis wir Ertrag sehen.“
Mario Sommerhäuser ist beim Gedanken an einen baldigen Dortmunder Rotwein zwiegespalten. „Ich hoffe sehr, dass das nicht jedes Jahr möglich ist.“
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