Bochum. In 30 Jahren herrscht im Ruhrgebiet ein Klima wie in Norditalien. Forscher der Ruhr-Universität Bochum entwickeln Anpassungskonzepte für Städte.
Das Ruhrgebiet ist schon unterwegs. Es wandert in diesem Jahr etwa 20 Kilometer in Richtung Süden. Und im nächsten Jahr wieder 20 Kilometer. Rein klimatisch natürlich. Geht es mit dem Klimawandel immer so weiter, dann erreicht das Ruhrgebiet bis zum Jahr 2050 etwa die Höhe von San Marino in Norditalien. Von dort ist Rimini nicht weit.
Benjamin Bechtel, Professor für Stadtklimatologie, wirft im sechsten Stock der Ruhr-Uni Bochum lange Zahlenreihen an die Wand. Sie zeigen, wie die Temperaturen in weltweit 520 Städten in Zukunft aussehen könnten – selbst wenn bei einem optimistischen Szenario die Klimaziele eingehalten werden. Nach der Studie von Schweizer Klimaforschern herrschen dann in Köln klimatische Bedingungen wie heute in der Toskana.
Temperaturen wie in Norditalien
„Das klingt erstmal verlockend“, sagt Bechtel. „Nur sind unsere Städte überhaupt nicht dafür gebaut. Das in 30 Jahren zu ändern, ist eine Riesenherausforderung.“ Und wer meint, ein Klima wie am Gardasee wäre doch super, den ermahnt Monika Steinrücke, Expertin für Klimaanpassung an der Ruhr-Uni Bochum: „Im Urlaub genießen wir die Temperaturen für drei Wochen. Aber das ganze Jahr? Im Alltag? Bei der Arbeit? Das stellt uns vor große Probleme.“
In der Praxis geschieht zu wenig
Es werde höchste Zeit, dass sich die Städte im Ruhrgebiet für die Folgen des Klimawandels rüsten. Denn bislang sei noch zu wenig geschehen, finden die Experten. Zwar rufen die Städte nun reihenweise den „Klimanotstand“ aus, haben Klimakonzepte erstellt und Klimaschutzbeauftragte beauftragt. In der Praxis aber sieht es noch dürftig aus. So hat bislang keine der zehn größten Städte in NRW ein klimaschonendes Verkehrskonzept beschlossen, das etwa den Verzicht auf den Straßenausbau oder eine deutliche Förderung des öffentlichen Nahverkehrs vorsieht.
Klimawandel erfordert einen massiven Umbau des Ruhrgebiets
Liebe Leserinnen und Leser. In den letzten Tagen konnten Sie erleben, wie sehr die aktuelle Hitzewelle unseren Alltag belastet. Züge fielen aus, weil sich die Schienen verbogen. Die Notaufnahmen der Krankenhäuser hatten alle Hände voll zu tun. Die Landwirte bangen um ihre Ernten. Der Wald steht unter Stress. Und dieser Rekordsommer wird nicht der letzte gewesen sein.
Das alles zeigt: Es reicht nicht, wenn immer mehr Städte den Klimanotstand ausrufen. Das Ruhrgebiet muss sich aktiv auf die Folgen des Klimawandels einstellen. Das ist keine Frage mehr von ökologischen Überzeugungen, sondern Teil einer „Überlebensstrategie“ für einen Ballungsraum wie das Ruhrgebiet, wie RVR-Umweltdezernentin Nina Frense zu Recht betont.
Mit diesem Interview startet die WAZ die neue Serie „Grüne Zukunft Ruhr“, in der die zentralen Themen, vor die der Klimawandel das Ruhrgebiet stellt, beleuchtet werden: Wie müssen sich Verkehr und Mobilität verändern? Welche Rolle spielen die Gewässer und Wasserflächen? Wie können Städte Frischluftschneisen und grüne Inseln bewahren? Wie muss die Energieversorgung umgestellt werden? Welche Gesundheitsgefahren drohen? Welche Weichen muss die Politik jetzt stellen?
Wieder einmal steht das Ruhrgebiet vor einer großen Herausforderung. Und dieser Rekordsommer erinnert uns daran: Es bleibt nicht mehr viel Zeit.
„Wir wissen seit Jahren, was auf uns zukommt, doch die realen Maßnahmen entsprechen nicht den Klimazielen. Das ändert sich nun langsam“, sagt Bechtel. Vor allem auf die Städte, die sich im Sommer wie große Hitzespeicher aufladen, kommen große Herausforderungen zu. „Wir müssen die Städte jetzt umbauen für eine Klimazukunft, die wir noch nicht genau kennen“, sagt Bechtel.
Mehr Trockenperioden und mehr Extremniederschläge
Auch interessant
Dass die Temperaturen steigen werden, ist wissenschaftlich unstrittig. Doch wie sich Starkregen-Ereignisse entwickeln und auswirken werden, lässt sich schwer vorhersagen. Bechtel: „Die Temperaturen könnten im Mittel um drei Grad steigen, zusätzlich zu dem einen Grad Anstieg, das wir schon haben. Es wird wahrscheinlich mehr Dürreperioden und Extremniederschläge geben. Doch ob es zum Beispiel in Bottrop heftiger regnen wird, können wir nicht sagen.“ So müssen die Städte also mit mehr Trockenheit und zugleich mit größeren Wassermassen umgehen.
Im Ruhrgebiet Millionen Menschen betroffen
Auch interessant
Soviel ist klar: Hitzesommer wie im vergangenen Jahr werden nach den Prognosen der Wissenschaftler künftig zum Normalfall werden. Dadurch wird der Hitzestress in den Städten enorm ansteigen. Insbesondere Tropennächte über 20 Grad sind eine gesundheitliche Belastung. Berechnungen im Auftrag des Regionalverbands Ruhr (RVR) ergeben, dass es in den dicht bebauten Städten des Ruhrgebiets im Mittel der Jahre 2021 bis 2050 bis zu 30 solcher Tropennächte geben könnte. Vor 1990 gab es maximal drei im Jahr. Die Zahl der heißen Tage mit über 30 Grad, wie wir sie zuletzt im Juni und Juli wieder erlebten, soll auf 45 Tage ansteigen – etwa eine Verdoppelung zum Stand heute. Besonders ältere Menschen aber auch Kleinkinder werden darunter leiden.
„Im Ruhrgebiet sind Millionen Menschen betroffen. Nach Sonnenuntergang können die Städte die gespeicherte Hitze nur langsam abgeben, sie stehen wie auf einer heißen Herdplatte,“ sagt Steinrücke. Nachts bleibe es bis zu zehn Grad wärmer als im Umland.
Konkrete Anpassungsprojekte für die Städte
Daher müsse man die kühle Luft aus der Umgebung in die Städte leiten, sagt die Klimaforscherin. Bloß: Im Ruhrgebiet liegt Stadt an Stadt. Mit Hilfe von Nebelmaschinen untersuchen die Forscher den Verlauf von Luftströmungen. Solche Schneisen müssten geschaffen und frei gehalten werden, um frische Luft in die heißen Innenstädte zu bringen. „Das steht natürlich in Konkurrenz zur nötigen Wohnbebauung und zu Gewerbeansiedlungen“, weiß Steinrücke. „Daher müssen wir genau analysieren, welche Flächen für die Belüftung wichtig sind.“
Auf der Ebene der Stadtviertel geht es vor allem um Begrünung. Bäume liefern Schatten und verhindern, dass Häuser sich aufheizen. Grünanlagen, Wasserflächen, offene Bachläufe und Brunnen steigern die Verdunstungsrate und nehmen Sonnenenergie auf.
Auch viele „kleine“ Maßnahmen wirken
Aber auch „kleine“ Maßnahmen können in der Summe große Wirkung erzielen, so die Klimaforscher. „Parkplätze müssen nicht zwingend dunkel sein. Ein heller Belag heizt sich deutlich weniger stark auf, Gittersteine lassen Wasser versickern und verdunsten.“ Unter Straßenbäumen könne man außerdem unterirdisch kleine Regenrückhaltebecken anlegen. Das verhindert überflutete Straßen und ist gut für den Baum. Bochum experimentiere gerade damit.
Spielplätze als Regenrückhaltebecken
Auch Spiel- oder Bolzplätze lassen sich mit wenig Aufwand als flache Regensammelbecken auslegen. Hellere Fassadenfarben und Dachziegel, begrünte Dächer und Garagen, Hecken statt Steinmauern, wildgrüne Vorgärten statt Schotter und Beton seien weitere Maßnahmen.
Die schlechteste Anpassung sind aber Klimaanlagen, sagt Bechtel. Die Energiefresser pusten zwar vorne schön kühle Luft hinaus, doch hinten produzieren sie umso mehr Wärme. „Daher sind sie möglichst zu vermeiden“, sagt Bechtel – auch, wenn künftig das Ruhrgebiet klimatisch bei San Marino liegt.
>>> Anpassungskonzepte für Städte
Das Team der Bochumer Klimaexperten vom Institut für Geographie der Ruhr-Universität Bochum erstellt seit Jahren Anpassungskonzepte für Städte. Die Kommunen erhalten dafür bislang eine Förderung des Bundesumweltministeriums.
Bochum machte 2011 den Anfang, es folgten unter anderem Neuss, Soest, Recklinghausen und Herne. Derzeit sind die Forscher in Wuppertal unterwegs. Doch nicht immer werden ihre Vorschläge von den Städten auch zeitnah umgesetzt. Es geht um Kosten und wechselnde politische Mehrheiten.