Dortmund. Letzte Ruhe unter Reben. Warum man sich in Dortmund künftig auch in einem Weinberg bestatten lassen kann
Gepflegt ist der Rasen ringsherum, ordentlich sind die Wege zur Kapelle auf dem kleinen Friedhof im Dortmunder Stadtteil Holzen. „Ein schönes Plätzchen“, bestätigen sich zwei ältere Damen bei ihrem Spaziergang gegenseitig. Und es wird sogar noch schöner. Denn ab sofort hat der Friedhof an der Grenze zu Schwerte einen eigenen Weinberg unter dessen Reben man sich bestatten lassen kann. Und das in der Bierstadt Dortmund.
Hinterbliebene wollen „weitgehend pflegefreie Gräber“
Etwas Ähnliches gibt es in Deutschland bisher nur im Ahrtal in Bad Neuenahr-Ahrweiler und in Nordheim am Main in Franken. Dort aber wurden zwei Anbaustellen in sogenannte Friedweinberge umgewandelt. In Dortmund dagegen wurde - einmalig im Land - auf einem seit langem bestehenden Friedhof von Auszubildenden der Friedhofsverwaltung ein ganz neuer Weinberg angelegt.
„Das ist keine Schnapsidee“, stellt Ralf Dallmann, Betriebsleiter der 32 Dortmunder Friedhöfe, klar. Es ist vielmehr Folge einer neuen Bestattungskultur. Weitgehend pflegefrei“, sollen Gräber heutzutage sein, weiß Dallmann schon lange. Zumindest pflegefrei für die Hinterbliebenen, denen es oft an Zeit und Nähe fehlt, sich um die letzte Ruhestätte der Verwandtschaft zu kümmern.
Mitten in der Natur aber gut zu erreichen
Gleichzeitig aber legen sie Wert darauf, dass das Grab der Eltern oder Geschwister in schöner Umgebung liegt. Auf vielen Friedhöfen im Revier haben die Betreiber deshalb Obstbäume gepflanzt oder Kräutergärten in der Nähe der Grabstellen angelegt. Mitten in der Natur und dennoch auch für Menschen mit Handicap gut zu erreichen.
In Holzen kommt nun der Weinberg hinzu. Silvana Reimers, Jessica Bergfeld, Lennart Rohde und Christian Sobotka haben ihn terrassenförmig angelegt, jede Ebene durch kleine Mäuerchen abgestützt und 149 Rebstöcken gepflanzt. 36 Grabstellen für jeweils zwei Urnen gibt es. Wer eine haben möchte zahlt 2350 Euro für 25 Jahre. Erdgräber für Särge gibt es übrigens nicht. „Die sind kaum noch gefragt“, weiß Dallmann. Urnenbestattungen haben in Dortmund mittlerweile einen Anteil von 90 Prozent.
Der Klimawandel lässt die Reben wachsen
„Nein“, sagen die Azubis übereinstimmend, mit so einem Auftrag hätten sie als Auszubildende nicht gerechnet. Aber es hat ihnen Spaß gemacht. „War mal etwas völlig anderes.“ Wäre aber vor 20 oder 30 Jahren noch gar nicht möglich gewesen. „Da hätte niemand an so etwas gedacht“, bestätigt Winzerin Tina Krachten, die den Berg betreut. Was hat sich geändert seitdem? „Das Klima“, sagt Krachten. Und das ist keine Mutmaßung, das lässt sich in Dortmund auch belegen. Schließlich gibt es schon zwei Weinberge in der Stadt.
Der erste davon wurde bereits 2012 mit 96 Rebstöcken am Phoenix-See angelegt und lieferte etwa 2018 fast einen halben Hektoliter Weißwein. Und am Baroper Rüpingsbach gibt es seit 2018 einen Weinberg mit 300 Reben. (Rot)Wein gibt es bisher noch nicht, die Trauben aber seien „vielversprechend“, sagt Krachten. Auch vom Standort in Holzen erwartet sie in drei bis vier Jahren einiges. Ist schließlich „beste Dortmunder Südlage“ wie Dallmann und der Dortmunder Beigeordnete für Bauen und Infrastruktur, Arnuld Rybicki, gemeinsam schwärmen.
Süße Frucht am Gaumen und im Nachhall
Angebaut auf dem Friedhof wird Rotwein der Sorte „Cabertin“, den Experten gerne wie folgt beschreiben. „Schokolade, Schichtnougat, Beerenfrucht, etwas Mokka, feine Würze, Zimt, Nelke, süße Frucht am Gaumen und im Nachhall.“ Kaum weniger wichtig als der Geschmack ist für Krachten allerdings etwas anderes. „Die Rebstöcke sind sehr pilzresistent.“
Läuft alles nach Plan wird es in einigen Jahren alle zwölf Monate fast 150 Flaschen aus Holzen geben. „Pro Rebe eine Flasche“, erwartet die Winzerin. Es sei denn, es wird zu viel genascht von den Besuchern. Denn die Reben sind gut zugänglich, der Friedhof selbst ist rund um die Uhr geöffnet. Wäre schade, wenn Trauben frühzeitig gepflückt würden, findet Dallmann, will frühzeitige Ernten aber nicht ahnden. „Wir werden“, scherzt der Betriebsleiter, „unseren Wein sicher nicht von der Polizei bewachen lassen.“