Dortmund. Eine Dachbox aus Flachs? Aus der Suche nach einer Lösung, um den Porsche familientauglich zu machen, entstand das Dortmunder Start-up Cropfiber.

Wenn Nils Freyberg aus seinem Bürofenster schaut, sieht er das alte Ruhrgebiet. Das stillgelegte Stahlwerk Phoenix-West türmt sich vor seinem Auge auf. Im Dortmunder Stadtteil Hörde spuckten die riesigen Hochöfen einst Feuer und Dampf aus. Die Malocher produzierten hier jährlich zigtausende Tonnen Roheisen. 2001 endete dann ein Stück Industriegeschichte – nach 160 Jahren.

Auf dem Flur zeigt Nils Freyberg, was das neue Ruhrgebiet leisten kann. Der 29-Jährige hebt mit seinem Kollegen Tiado Pieperhoff eine Dachbox an. 17 Kilogramm schwer ist das Produkt, das Freyberg draußen auf sein Auto hieven will. Die Optik erinnert an den Hightech-Werkstoff Carbon. Doch Freyberg klärt auf. „Diese Box besteht ausschließlich aus Flachs“, sagt der Dortmunder.

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Freyberg hat vor drei Jahren die Cropfiber GmbH gegründet. Die deutsche Übersetzung für die englische Wortschöpfung lautet in etwa: Erntefaser. Freyberg möchte beweisen, dass auf den Feldern gutes Material für die Industrie wächst. So könnten nach seiner Auffassung Naturfasern wie Flachs oder Hanf in Branchen wie der Autoindustrie bald Kunststoffe ersetzen. „Um Carbon herzustellen, ist ein enormer Energieverbrauch nötig“, sagt Freyberg. „Zudem kann das Material später nicht recycelt werden.“ Flachs hingegen sorge für eine bessere Ökobilanz.

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Wie soll ein Kind in den Porsche passen?

Freyberg macht sich viele Gedanken um Nachhaltigkeit. Trotzdem ist er kein klassischer Vertreter der Generation „Fridays for future“. Sollte der Firmengründer mit seinem Auto bei einer Klimaschutz-Demo vorfahren, müsste er sich mit Sicherheit auch Kritik gefallen lassen. Seine Dachbox montiert Freyberg nämlich auf einen Porsche 911 Carrera 4 GTS. Als er sich vor einigen Jahren den Sportwagen-Traum erfüllte, stellte seine Freundin eine entscheidende Frage: „Was machen wir eigentlich mit dem Auto, wenn mal ein Kind kommt?“ Sie brachte ihren späteren Ehemann ins Grübeln. Klar, ein Sitz für den Nachwuchs würde noch auf die Rückbank passen. Aber für einen Ausflug mit Kinderwagen, Spielzeug und Reisebett ist der Porsche ungeeignet – zumindest ohne Dachbox.

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Sind da was am Planen dran: (v.l.) Philllip Ortmanns ist zuständig für Simulation und Materialverhalten, daneben Geschäftsführer Nils Freyberg im Büro des Start-ups in Dortmund.
Sind da was am Planen dran: (v.l.) Philllip Ortmanns ist zuständig für Simulation und Materialverhalten, daneben Geschäftsführer Nils Freyberg im Büro des Start-ups in Dortmund. © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Also suchte Freyberg nach einer Lösung. Ein Carbon-Modell wollte er sich nicht aufs Dach schrauben. Ihm war klar, dass er als Fahrer eines PS-starken Autos ohnehin die Umwelt belastet. Freyberg suchte nach grünen Alternativen – und beschäftigte sich mit Naturfasern. So entstand 2018 die Cropfiber GmbH. Für Freyberg ist es nicht die erste eigene Firma. Nach seinem Bachelor-Studiengang im Bereich „Technisches Management und Marketing“ an der Hochschule Hamm-Lippstadt gründete er ein Start-up für digitale Dienstleistungen wie Online-Marketing und Suchmaschinenoptimierung.

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Mit Cropfiber beschritt Freyberg ein neues Feld. Es ging ja schließlich darum, ein neues Produkt auf den Markt zu bringen. Dafür benötigte er Hilfe. Freyberg holte sich für die Entwicklung Freelancer ins Team und gab vier Kollegen eine Festanstellung. So arbeitet zum Beispiel Dominik Reitz als Modellbauer für das Start-up.

„Ein überragendes Gefühl“

In seiner Werkstatt demonstriert der 28-Jährige, wie er Flachs weiterverarbeitet. „Man muss dafür sorgen, dass der Stoff fest wird“, sagt Reitz. Mit einer Vakuum-Infusion kommt er zum gewünschten Ergebnis. Reitz lässt einen Klebstoff per Unterdruck in das Gewebe einfließen – rund 24 bis 36 Stunden muss es danach aushärten.

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Was simpel klingt, ist das Ergebnis einer sehr langen Vorarbeit. Erst eineinhalb Jahre nach der initialen Idee hielt Freyberg einen Prototyp in den Händen. „Das war natürlich ein überragendes Gefühl“, sagt der Firmenchef. Die Dachbox musste anschließend noch verschiedene Tests überstehen. So düste Freyberg im Vorjahr mit seinem Entwicklungsingenieur Marvin Miele zum Umweltfestival „Greentech“ nach Berlin. Das neue Produkt beeinträchtigte das Fahrverhalten nicht, verschaffte den beiden aber Aufmerksamkeit. „Unterwegs haben einige den Daumen gehoben, als sie unsere Box gesehen haben“, erklärt Freyberg.

4500 Euro für eine Dachbox

In diesem Sommer beginnt der Verkauf. Die ersten Vorbestellungen sind bereits eingegangen. Freyberg hat erkannt, dass Autofahrer bereit sind, 4500 Euro für eine Dachbox aus Flachs zu zahlen. Das Angebot ist jedoch limitiert. 100 Dachboxen will Cropfiber zunächst verkaufen.

Derweil läuft die Tüftelei im Schatten der Hochöfen weiter. Die Produktlinie „Asphaltkind“ umfasst bereits mehr als nur die Dachbox. Die Dortmunder bieten auch Außenspiegelabdeckungen für Tesla-Elektroautos an. Zudem ist die Lkw-Branche aufmerksam auf das Start-up geworden. „Alles was sich bewegt, ist für uns interessant“, sagt Freyberg.

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Dazu gehören auch Windräder. Aktuell bestehen die Rotorblätter in der Regel aus glasfaserverstärktem Kunststoff. Doch der Energieriese RWE denkt für die Zukunft über Alternativen nach – zum Beispiel Flachs.

Infos unter: www.cropfiber.de

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