Auch schon auf #Clubhouse – oder noch keine Einladung? Doch was machen Hipster und Diedaobens denn dort? Wir waren in dem digitalen Vereinsheim.
Diese Woche habe ich ein neues Jugendsprechwort kennengelernt: Fomo. Das steht für „Fear of missing out”. Die Angst, etwas zu verpassen, hatte ich das letzte Mal mit 16, als mich die Weisheitszähne eine durchtanzte Nacht im „Old Daddy“ kosteten. Jetzt bin ich selbst ein alter Vater und frage mich angesichts der angesagtesten App ever: #clubhouse – bin ich zu kalt für den heißen Scheiß? Wir müssen reden, Leute!
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Geht schon blöd los, dass ich dachte, es heißt Clubhouse. Mit U. Natürlich sagt man Clubhouse. Mit A. Aber ich hab halt auch immer Donald Duck gesagt als Kind, mit U. Bin wohl doch mehr so der Typ Klubhaus. Da denke ich an Fernet-Flecken auf der Theke und ein Bouquet aus Pissstein, wo vormals Rauchschwaden waberten. Mit Schild an der Tür, auf dem steht: NICHT MIT STOLLENSCHUHEN BETRETEN (gez. Der Platzwart). So habe ich dann auch gleich mal meine erste Gruppe genannt in dieser neuen Plattform, die Leute miteinander ins Gespräch bringt wie an einem ständigen Stammtisch (Danke für die Einladung, lieber Gordon – aber möchte ich wirklich einem Club angehören, der mich als Mitglied aufnimmt? In einem #Houseclub war ich übrigens auch noch nie…).
Dienstag. Morgens halb elf in Deutschland. Nach fünf Minuten: keiner kommt, ich bin ein Niemand. Auch nach zehn Minuten nichts. Dann plötzlich tritt Lars ein, mein Kindergartenkumpel. Wir wollten ohnehin schon lange mal wieder voneinander hören lassen. Nun wird ein bisken gequatscht, Madeleine und Roman leisten uns Gesellschaft, verlieren aber – muss man ja auch echt Zeit haben – schon bald wieder das Interesse.
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Pseudo-Exklusivität befeuert den Hype
Dabei diskutieren wir eigentlich recht erbaulich über Sinn und Unsinn dieser akut gehypten, mit einer Milliarde bewerteten Audio-Anwendung. Bloß ein Lockdown-Langeweilekiller und bald wieder weg wie Vero? Oder doch Kommunikationskanal der Zukunft? Immerhin wurde der Salon, „wieso sich Clubhouse nicht durchsetzen wird“ binnen Kürze wegen Überfüllung geschlossen. Und wieso diese Community so auserlesen ist – oder wie die Diplom-Soziologin Sophia Thomalla es via Instagram disst: „möchtegern-hyperelitäres Medium für Pseudointellektuelle“… Also nur was für die coolen Kids mit iPhones only, und eingeladen werden muss man auch noch, was die vermeintliche „Dafür ist man unter sich“-Exklusivität erhöht – doch auch dieses Prinzip folgt der Arithmetik des exponentiellen Wachstums. Netter Marketing-Move!
War eigentlich der Ton bei Twitter, noch so ein Auffanglager für Journalisten und Politiker mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, früher schon so räudig (vgl. Micky Beisenherz: „Bürgerkrieg für die Hosentasche“) oder kommt das mit der Zeit und wird bald auch im verhältnismäßig doch recht social Medium Clubhouse alles auf Anschlag maximalempört. „Wenn man miteinander redet, ist es doch höflicher und gehemmter, als wenn man es nur hinschreibt“, meint Lars und ich hoffe, er irrt nicht, denn Respekt sollte das Tragflächenboot einer jeden Beziehung sein, was das Internet gern vergisst.
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Auch gibt es Kritik, neben dem handelsüblichen Daten-Kraken (DSGVO!), dass viel Halbwissen unkommentiert geteilt wird – da möchte ich dann gerne völlig belegfrei ergänzen, dass dies immer noch doppelt so viel Wissen ist wie auf Facebook oder Telegram zusammen. Und was im Clubhouse passiert, bleibt noch lange nicht im Clubhouse, trotz Hausordnung, das wissen jetzt auch jene Diedaobens wie Bodo Ramelow. Während der ausgesperrte Paul Ronzheimer eine Kiste guten Weins zur Belohnung aussetzt, wer ihn verpfiffen hat, als er Philipp Amthor auf die Pelle rückte, woraufhin ihm Carsten Maschmeyer („digitaler Maulkorb“) zur Seite springt. Falls jemand noch eine Definition für den Sozioterm „Blase“ sucht… Immerhin: eine Bühne für Begegnungen in einer Zeit ohne Begegnungen – mit Abstand die beste Idee von Gemeinschaft unter diesen Umständen.
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Promis geben sich die Klinke in die Hand
Wandern wir weiter durchs Clubhouse, das man sich als riesige Villa vorstellen kann, so viele Séparées wie es dort gibt. Zum Beispiel den „Bücher-Lunch“, Beschreibung: Lasst uns über Bücher sprechen und dabei gemeinsam Mittag essen. Dabei weiß doch jedes Kind, dass man nicht mit vollem Mund spricht. Schon gar nicht über Bücher. Einen Ruheraum gibt es auch. Wer den besucht, wo tatsächlich 380 Personen gemutet sind, der macht auch Ferien im Funkloch. Alle so: „oh, nee, immer is‘ was online, Zoom, Teams, … – oh, Clubhouse, bin dabei!“ Hier mit Kevin Kühnert aufs Zimmer, der gerade das Grundeinkommen hart rannimmt, dort zu Thomas Gottschalk, der, nun ja: thomasgottschalkt.
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Ja, die zum Narzissmus Konvertierten, sie laufen im virtuellen Vereinsheim heiß – oder zeigen demonstrativ die kalte Schulter. Wie Cem Özdemir, der twittert, dass er die „unzähligen Einladungen“ (wow!) ignoriert und stattdessen „lieber was Schönes mit seinen Kindern macht“. Was denn wohl, twittern?
Laber, Rhabarber. Der Eintritt kostet nicht den Verstand, aber ich hab schon keinen Nerv, mir Hörbücher oder Podcasts reinzuziehen. Deswegen suche ich jetzt diskret den Notausgang. „Leave quietly“ ist eine Button-Option. Danke und tschüss. Memo an mich: mal wieder beim Lars melden. Gern am Telefon. Ich könnte ja was verpassen...
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