Ihren 90. Geburtstag erlebt die Mutter unseres Autoren im Pflegeheim - ein Ort des Dramas in der Pandemie. Abschluss des sehr persönlichen Blogs.

Redakteur Gerd Heidecke hatte im Sommer das Leben seiner bald 90-jährigen Mutter nach ihrem Schlaganfall drei Jahre zuvor geschildert. Am Ende konnte sie nur noch im Heim gepflegt werden. Und dann kam Corona – ein Rückblick auf die letzten Monate zum Abschluss seines ganz persönlichen Blogs.

Der letzte Sonntag im Januar war der schönste Tag des Jahres – und wird es lange bleiben. Weil meine Mutter an ihrem 90. Geburtstag überhaupt noch am Leben war, und weil der so klare blaue Himmel so hoffnungsvoll stimmte für ein bisschen Neuanfang am Ende quälender Wochen.

Die verhängte Quarantäne im Heim wegen mehrerer Corona-Fälle hatte die herbeigesehnte Impfung einen Tag vor dem Arzttermin am 7. Januar verhindert. Da war meine 89-jährige Mutter noch gesund. In der Quarantäne wurden sie und eine Mitbewohnerin als letzte mit dem Virus angesteckt, was sicher in der Enge der Einrichtung unvermeidlich war. Wenn ich irgendeine Möglichkeit gesehen hätte, sie dort rauszuholen, ich hätte es getan.

Viele hofften auf ein Lebenszeichen - und erhielten eine Todesnachricht

Vier der zehn Infizierten in der Einrichtung meiner Mutter haben diese Isolierung nicht überlebt. Das ist die durchschnittliche Sterberate in dieser Gruppe. Sie starben einsam und verlassen „an und mit Corona“ – eine zynische Formulierung für alle Angehörigen, die vergeblich auf ein nach draußen dringendes Lebenszeichen gewartet haben und stattdessen eine Todesnachricht erhielten. Ich habe keine hübsche brennende Kerze ins Fenster gestellt, als Bundespräsident Steinmeier am 22. Januar darum gebeten hat, um Zehntausender Corona-Tote in Deutschland zu gedenken.

„Die für alte Menschen im Heim schlicht schrecklichen Auswirkungen der Kasernierung durch Corona waren möglicherweise nicht zu verhindern. Dass jetzt jedoch öffentlich überhaupt nicht darüber diskutiert wird, was da eigentlich monatelang mit Hunderttausenden Menschen passiert ist und immer noch passiert, und wie man es vielleicht beim nächsten Mal besser machen könnte, ist schon sehr bezeichnend.“ Das hatte ich im Mai 2020 geschrieben. Das Schlimmste neben den noch vergleichsweise wenigen Todesfällen damals schien zu sein, dass alte Menschen in den Pflegeheimen isoliert wurden, dass wir drei Brüder unsere Mutter nicht besuchen konnten, weil es einfach keine Schutzausrüstung gab.

Ansagen wechselten, Hilfe blieb aus

Wer hätte das geglaubt, dass es ein halbes Jahr später in Deutschland für viele nur noch um das Überleben gehen würde und von über 1000 Corona-Toten an manchen Tagen die meisten alte Menschen sein würden? Unglaublich ist auch, wie wenig über den Sommer getan wurde, um die Pflegeeinrichtungen für eine zweite Pandemie-Welle vorzubereiten. Ein symptomatischer Beleg: Auf die Frage, wen und wann das Land Nordrhein-Westfalen zur versprochenen Unterstützung zur Durchführung für Schnelltests schicken würde, hat die Pflegedienstleitung im Heim meiner Mutter nur aufgelacht. Außer manchmal täglich wechselnden Ansagen ist hier aus Düsseldorf nichts angekommen.

Trotz Infektion zurück ins Heim

Ich habe es oft erzählt und immer war die Reaktion ungläubiges Kopfschütteln. Mitte Dezember, zu dem Zeitpunkt, als noch niemand im Heim meiner Mutter, weder Bewohner noch Pflegepersonal, positiv getestet worden war, wurde eine nachweislich mit dem Corona-Virus infizierte Frau aus dem benachbarten Krankenhaus in die Demenz-WG zurückverlegt, gegen den Willen der Heimleitung.

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Die Frau war nach einem leichten Sturz ins benachbarte Krankenhaus eingeliefert worden und dort positiv getestet worden. Nach Aussage der Heimleitung wurde die Rückverlegung der infizierten symptomfreien Frau vom Gesundheitsamt und der Heimaufsicht der Stadt angeordnet. Dabei war das Krankenhaus zu jenem Zeitpunkt keineswegs voll mit infizierten Patienten, geschweige denn so überfüllt, dass unbedingt Platz geschaffen werden musste.

Virusträger mitten in der Risikogruppe

Während Angehörige nur noch nach einem erfolgreichem Schnelltest in die Einrichtung durften, wurde also ein identifizierter Virusträger mitten unter die Bewohner gebracht, allesamt Menschen der höchsten Risikogruppe: alt, gebrechlich und wegen ihrer Demenz auch nur sehr schwer zu schützen. Die rechtlichen Voraussetzungen hatte laut der Heimleitung das Land Nordrhein-Westfalen erst kurz zuvor Anfang Dezember geschaffen. Für mich ist das ein Justiz-Fall von unterlassener Hilfeleistung.

Dankbar für ihr Überleben

„Das ist das Todesurteil für viele der Älteren“, sagt einer meiner Brüder. Natürlich lässt sich der Nachweis nicht führen, dass ausgerechnet die infizierte Frau das Virus in die Einrichtung getragen hat, der alle Bewohner und ganz viele Pflegende getroffen hat. Natürlich könnten die vier Toten unter den zehn Bewohnern auch nicht „an“, sondern „mit“ Corona gestorben sein. Natürlich, natürlich.

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Von Alessandro Peduto und Julia Emmrich

Einen Tag vor ihrem Geburtstag erreicht uns die erlösende Nachricht: Ihre Mutter ist negativ getestet. Da die Quarantäne weiter gilt, dürfen meine Tochter und ich ihr am Sonntag nur an der Tür zuwinken und unseren selbst gebackenen kleinen Kuchen mit der gestreuselten 90 darauf vorbeibringen. Es ist ein trauriger Geburtstag, meine Mutter ein Bild des Jammers, von dem ich kein Bild mehr veröffentlichen möchte.

Sie lebt noch, schlimm eingefallen in den vergangenen Wochen der Isolation, zeitweise alleine eingesperrt auf ihrem Zimmer. Für ihr Überleben muss ich dankbar sein. Für mehr nicht.

Mehr zum Blog "Plötzlich Schlaganfall"

Die bisher erschienenen Folgen des Blogs können Sie hier nachlesen: