Bottrop. Peter Lenz aus Bottrop ist seit 30 Jahren der Revier-Nikolaus. Warum der 56-Jährige trotz der vielen abgesagten Auftritte froh und munter bleibt.
Was macht der Nikolaus zu Corona? Darf er wie immer zu den Kindern kommen? Trägt er eine Maske? Oder fällt das Fest ins Wasser? Mit diesen Fragen und einer Mail an-den-nikolaus@email.de (gibt’s wirklich!) fing diese Geschichte an. Wir baten um ein Interview. Die Zusage hatten wir schnell im Sack und ein Treffen an einer Landmarke im Ruhrgebiet vereinbart. Nur dreimal schlafen, dann durften wir ihm begegnen: dem echten, einzig wahren Revier-Nikolaus.
In vielen Serpentinen windet sich die staubige Piste zum Haldengipfel. Oben parkt kein Rentierschlitten, dafür ein weißer E-Golf mit Bottroper Kennzeichen. Nicht zu übersehen winkt er huldvoll mit dem Bischofsstab – der große Mann im lockigen Bart. Eine stattliche Erscheinung. Von der Nachbarhalde hinter ihm reckt sich filigran das stählerne Tetraeder in den wunderbar blauen Revierhimmel. Postkartenwetter. Die begehbare Terrasse in Pyramidenform ist geschlossen. Zu viele Besucher wollten das „Haldenereignis Emscherblick“ in Bottrop-Batenbrock erklimmen. Als Auszeit vom Pandemiealltag.
Die Stimmung ist getrübt
Etwas Entspannung sucht selbst der Nikolaus. Frischluft, Sonne satt und dazu ein 360 Grad-Ruhrpott-Panorama sollen den Saison-Heiligen in Stimmung bringen. Denn die ist 2020 eindeutig getrübt.
Langsam stapft er vom Haldenplateau herüber. Auf den Stab gestützt, hebt er vorsichtig die Füße. Bei jedem Schritt bleibt etwas von dem dunkelbraun-klebrigen Boden an den Schuhen haften. Nur nicht das weiße, lange Unterkleid noch ruinieren! Majestätisch steht er vor uns: Sein roter Umhang weht im Wind. Es ist klirrend kalt, und Schnee liegt in der Luft neben dem Alpincenter . „Mit Corona ist in diesem Jahr auch für mich alles schwierig“, sagt er. „Alle großen Veranstaltungen und Feiern sind abgesagt.“ Dann lässt der Revier-Nikolaus die Maske fallen: Eigentlich heiße er Peter Lenz. Der krault sich mit den Fingern in schneeweißen Handschuhen nachdenklich den Kunstbart. Vom Nikolaus-Sein könne allein keiner leben. Doch so düster wie in diesem Jahr sei die Lage wohl selten gewesen. Von der Halde kommt er her. Und Corona stört gar sehr.
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Seit 1991 ist der gebürtige Bottroper als Nikolaus an Rhein und Ruhr unterwegs. „Den ersten Auftrag bekam ich als Student“, erzählt der 56-Jährige beim Haldenspaziergang. Das Arbeitsamt hatte ihn vermittelt. Heute gehören die Auftritte für ihn fest zum Jahreslauf. So wie die Besuche als Weihnachtsmann am 24., 25. und 26. Dezember, die er auch gern übernimmt. Von Januar bis November arbeitet der Revier-Nikolaus als Gebäudeenergieberater. Auch das mit Leidenschaft. „Da bereite ich mal den Erwachsenen eine Freude. Sie können durch meine Tipps viel Geld sparen.“
Im festlichen Bischofsgewand und dem hohen Mitra-Hut gehört Lenz zu den klassischen Vertretern der Nikoläuse. Bei den Bistümern Essen, Köln und Paderborn hat er Schulungen fürs standesgemäße Benehmen absolviert. Corona war bisher kein Thema. Doch das Virus verlangt neue Regeln: Diesmal wird Lenz – wenn gefordert oder ausdrücklich erwünscht – neben frischen Handschuhen für jeden Haushalt eine Maske bei den Auftritten tragen. „Vielleicht male ich mir einen Mund darüber, damit es lustiger aussieht. Auf keinen Fall will ich die Kinder erschrecken.“ Draußen darf er die Familien ohne Mundnasenschutz besuchen. „Da kamen einige Anfragen.“ Wo und wann, das wird hier nicht verraten. Nur so viel: „Alles läuft Corona-konform nach den Hygieneregeln .“
Der Nikolaus ist für ihn durchweg positiv
„Lasst uns froh und munter sein“ ist für Lenz nicht irgendein Liedtitel, sondern Lebensmotto. Der Nikolaus ist für ihn durch und durch positiv. Als kleiner Junge war Lenz einmal Knecht Ruprecht begegnet, was ihn nachhaltig prägte. Damals musste er weinen. So kommt er grundsätzlich ohne den finsteren Gehilfen, der den Kindern Prügel androht. Und überhaupt: „Da im Revier nur liebe Blagen wohnen, braucht den ohnehin kein Mensch!“, stellt der Revier-Heilige mal klar.
Wir werfen einen Blick ins Goldene Buch. Von lauter guten Mädchen und Jungen steht da einiges zu lesen. Auf den feinen Papierseiten macht sich der Nikolaus 2020 auch neuartige Notizen: Wenn Mia, Lea, Lina, Ali, Henry oder Paul sich nach der Schule nicht gescheit die Finger waschen. Oder ohne Mundnasenschutz am Spielplatz lautstark toben oder mit der ganzen Clique „anner Bude Klümpkes kaufen.“ Kein Zweifel: Es läuft anders mit Corona, auch am 6. Dezember. Alle Jahre wieder sangen Klein und Groß, dass der Nikolaus ins Haus kommen soll. Nur wie? Lenz überlegt: „Der geforderte Abstand bliebe vielleicht gewahrt, aber durch den Kamin ins Wohnzimmer zu fallen, das war noch nie mein Ding.“
Mit Headset – ohne Gedränge
Heute soll der Nikolaus am besten lieber ganz draußen bleiben. Und wird bei Wind und Wetter ins Freie bestellt. Übers Headset will er zu Kindern sprechen, die ihm fröhlich hinter hell erleuchteten Fenstern zuwinken. „Manche Familien richten die Feier im Wintergarten aus“, erzählt er weiter. Und weisen ihm den Weg durch die Garage. Wenn überhaupt, werde nur im kleinen Kreis gefeiert. Vorher wird 20 Minuten durchgelüftet. Gedränge ist tabu. Was waren das für Zeiten… Im Schwimmbad bei geradezu tropischen Temperaturen („Schwitzen, als ob einem einer von oben ein Glas Wasser über den Kopp kippt“) oder in der Turnhalle. „Glück auf“ rief er bei den Tauchern vom DUC-Bottrop und sogar in einer Boing 737 hat Lenz – wenngleich als Weihnachtsmann – schon Augen zum Leuchten gebracht.
Im Namen des Heiligen Nikolaus, zwischen 280 und 286 in Patara in der heutigen Türkei geboren und ab 325 n.Chr. barmherziger Bischof von Myra, stapfte er von Castrop bis Wanne Glück und Geschenke bringend zu den Familien. Und trällerte dazu aerosolvoll-herzlich selbst zu schiefsten Tönen aus Blockflöten (Achtung: no go!) die o so fröhlichen Lieder mit. „Wusste ja keiner, wie gefährlich dat is.“ 2020 gibt es Musik nur aus dem Internet. „Bei der Omma von CD.“ Bisher fuhr Lenz im Stundentakt mit Buch, Bischofsstab und Jutesack von Haus zu Haus, machte am 5. und 6. Dezember fünf bis sechs Termine nacheinander. Alle wollten ihn um 18 Uhr buchen. Nun zeigt der Kalender Lücken. „Drei Familien haben nach der Bekanntgabe der neuen Corona-Verschärfungen kurzfristig abgesagt. Alle großen Feiern in Firmen oder Vereinen wurden abgesagt.“
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In nunmehr 30 Jahren hat der Revier-Nikolaus viel Gutes bei rund 1000 Auftritten erlebt. Seine sorgenvolle Mine lichtet sich, als wir auf die andere Seite der Halde wechseln. Aus der Kokerei Prosper in Welheim steigen weiße Ablöschwolken in den Himmel. Das freut den Ex-Bergmann. Auf Zollverein und Zeche Westerhold hat er vor seinem FH-Studium in Bochum Elektriker gelernt und einige Jahre unter Tage malocht.
Der goldene Bischofsstab blinkt in der Sonne, Lenz kommt in Stimmung. Berichtet von vertauschten Geschenken wegen abgefallener Post-it-Zettel, über einen Jungen, der oft Schimpfwörter mit „A“ oder „Sch“ am Anfang verwendete, die der Nikolaus so natürlich nicht laut vorlesen durfte und deshalb flüstern musste. Und dann erzählt er von der Herausforderung, die oft vielen Päckchen in den einen Sack zu stopfen. Das sei bisweilen „präzises 3D-Tetris“, scherzt er. So gar nicht mehr ins Puzzlespiel passten die Fahrräder, die eine Patchwork-Familie ihren Kleinen am 6. Dezember spendierte.
Und dann war da noch der Ausrutscher. Im kompletten Kostüm segelte der gute Hirte im Dunklen drei, vier Treppenstufen hinunter. Zum Glück ging alles gut. Der Nikolaus landete fast unbeschadet und knapp neben einer Pfütze. „Das wäre eine Katastrophe gewesen. Ich musste ja zum nächsten Auftritt weiter.“ Schlechte Erinnerungen hat er an einen Jugendlichen, der ihn bei der Feier in einer Bottroper Kneipe immer wieder an den Bart wollte.
Eltern bestimmen die Höhe der Gage
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Lenz’ historisches Vorbild soll ein beträchtliches Vermögen besessen haben. Der wahre Bischof Nikolaus spendete es vollständig an Bedürftige. Der 6. Dezember gilt als sein Todestag, den man zum Andenken an seine guten Taten begeht. Einmal warf der echte Heilige sogar Gold in einen Kamin und rettete damit drei arme Mädchen. Soviel Großzügigkeit kann sich der Revier-Niko beim besten Willen nicht leisten. Doch die Höhe der Gage für den Besuch dürfen die Familien selbst bestimmen. Lenz will sich nicht beschweren. „Nikolaus zu sein, ist vor allem Herzenssache“, betont er.
Und am Ende ist und bleibt er Optimist. „Vielleicht“, sagt er und schaut aufs Oberhausener Gasometer, „werde ich bald wieder in einem Flugzeug sitzen.“ Das Jahr habe schließlich so gut angefangen. Mit Kollegen jettete er im Januar zum internationalen Nikolaus-Treffen nach Israel. „Wir haben einen Umzug durch Jerusalem veranstaltet. Die Menschen am Straßenrand jubelten uns begeistert zu.“ Dieses Bild hat er bis heute vor Augen.
Dass die Zeiten wieder besser werden, meint nicht zuletzt auch seine Freundin Ulli. Die tritt übrigens zu Weihnachten als Engelin auf. 2019 im Ruhrpark in Bochum. So gibt es genug Grund zur Freude allerseits. Lustig, lustig, traleralera, denn heut’ ist Nikolaus’ Abend da!
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