Bochum. Weihnachten wird anders als sonst, das ist sicher. Doch es darf gefeiert werden, sagt Dr. Folke Brinkmann – wenn man dabei einige Dinge beachtet.

In drei Wochen ist Weihnachten. Aber wie das Fest im Jahr der Corona-Pandemie gefeiert werden kann, wird in vielen Familien noch diskutiert. Die Großeltern wollen ihre Enkel sehen, doch eine Infektion mit dem Virus wäre für sie besonders gefährlich. Was geht, was geht nicht? Dr. Folke Brinkmann, Oberärztin der Bochumer Universitätskinderklinik beschäftigt sich als Kinderpulmologin und Koordinatorin zweier Studien zum Thema („CorKid“ und „Stars“) mit der Frage, inwieweit Kinder und Jugendliche zum Infektionsgeschehen beitragen.

Anfang November schlugen Sie Alarm: Die Infektionszahlen bei Kindern und Jugendlichen – bis dahin kaum nennenswert – hatten sich plötzlich verzehnfacht. Ende des Monats halbierten sie sich wieder. Wie, denken Sie, geht es in den kommenden drei Wochen weiter?

Die Zahlen schwanken immer etwas. Ich hoffe aber, der Trend setzt sich fort, das jetzt erreichte Plateau geht in einen Rückgang über und die Zahlen sinken endlich wieder.

Dann werden wir an Heiligabend mit gutem Gewissen alle miteinander feiern können?

Das wäre ein frommer Wunsch – der aber leider nicht wahr werden sollte. Weniger von viel zu haben, heißt immer noch: zuviel. Ich denke nicht, dass wir uns aus dieser Kategorie in den nächsten drei Wochen weg bewegen werden. Zu Weihnachten wird das Risiko für Verwandtenbesuche deutlich höher sein als im Sommer.

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Von Tobias Blasius und Matthias Korfmann

Früher als geplant gehen die Schulen in die Ferien, um eine Art vorweihnachtlicher Quarantäne zu ermöglichen, so die Feiertagstreffen sicherer zu machen. Doch Ihre Studien zeigten: Die meisten positiv getesteten Kinder und Jugendlichen hatten sich nicht in der Schule, sondern bei Mutter oder Vater angesteckt. Müssten also nicht eher die Eltern in Quarantäne?

Das stimmt. Wenn man sicher sein will, müssten alle Familienmitglieder eine Woche vor dem Fest in Quarantäne. Das ist aber natürlich unrealistisch. Die Jugendlichen zuhause zu lassen, mag ein hilfreicher Versuch sein, wird als alleinige Maßnahme aber wenig bringen. Vor allem dann nicht, wenn die Jugendlichen ihre Treffen dann ins private Umfeld verlagern.

Dr. Folke Brinkmann ist kommissarische Leiterin der Pädriatrischen Pulmologie der Bochumer Universitätskinderklinik – und Frontfrau zweier Studien zum Thema „Kinder und Corona“. Anfang November schlug sie Alarm: Die Infektionszahlen hatten sich plötzlich verzehnfacht. Inzwischen habe man „ein solides Plateau“ erreicht, sagt die Kinderärztin.
Dr. Folke Brinkmann ist kommissarische Leiterin der Pädriatrischen Pulmologie der Bochumer Universitätskinderklinik – und Frontfrau zweier Studien zum Thema „Kinder und Corona“. Anfang November schlug sie Alarm: Die Infektionszahlen hatten sich plötzlich verzehnfacht. Inzwischen habe man „ein solides Plateau“ erreicht, sagt die Kinderärztin. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Welche Schutzmaßnahmen vor und während der Feiertage sind sinnvoll?

Sieben bis zehn Tage vor Weihnachten unbedingt Kontakte und Besuche minimieren macht sehr viel Sinn. Das Fest selbst wäre am sichersten, könnte man es wie die Australier an einem langen Strand feiern… Womit ich sagen will: Wo und wann immer es geht, Teile der Familientreffen nach draußen verlegen. In engen Räumen mit vielen Menschen ohne Maske lange beieinander zu sitzen, zu reden und zu essen birgt ein erhebliches Risiko. Das zeigen die sehr, sehr guten Animationen zur Verbreitung von Aerosolen. Vielleicht könnte man die Besuche auch kürzer als sonst halten, sich nur auf einen Kaffee treffen – besser noch: treffen, ohne Kaffee zu trinken. Und alles weitere auf die Zeit verschieben, wenn das wieder gefahrlos möglich ist.

Das heißt also: auch an Weihnachten Maske tragen , Abstand halten, keine Nähe, keine Umarmungen, kein Küsschen für die Omi?

Das ist das Sicherste!

Und wenn es womöglich für diese Oma das letzte Weihnachten ist...

Das ist eine Abwägungsfrage, die jede Familie für sich entscheiden muss. Das Schrecklichste, was passieren könnte, wäre doch meiner bereits schwerkranken Oma zu Weihnachten unwissentlich eine Corona-Infektion mitzubringen.

Macht es einen Unterschied, wie alt die Kinder sind? Die unter Zehnjährigen sind Studien zufolge deutlich weniger infektiös als die älteren...

Das Risiko, dass ein Teenager die Infektion weitergibt, ist tatsächlich größer als bei einem zweijährigen Kleinkind. Die können Aerosole noch nicht im selben Ausmaß ausatmen oder aushusten wie Ältere. Aber auch ein Kleinkind kann bei ganz engem Kontakt, mit vielen Küssen und Schmatzen, andere anstecken.

Bringen FFP2 oder gar FFP3-Masken mehr Schutz?

Ja, die schützen besser. FFP3-Masken können bei langem Tragen aber sehr unangenehm werden.

Nicht nur in Patchwork-Familien kommen zu Weihnachten leicht mehr als zehn Personen zusammen. Bei welcher Anzahl ist für Sie die Grenze der Vernunft erreicht?

Je weniger, desto besser.

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Ist es klüger, das eine ganz große Familientreffen auf mehrere kleinere zu verteilen?

Es kommt auf die Intensität und die Dauer des Kontaktes an. Es ist den Viren egal, ob sich eine infizierte Person an drei verschiedenen Tagen mit drei verschiedenen Verwandten trifft oder an einem Abend mit allen zusammen. Sie können in beiden Fällen gleich viele Menschen anstecken. Wo weniger Menschen zusammen kommen, erhöht das natürlich die Chance auf mehr Abstand. Man könnte die Treffen so vielleicht auch kürzer gestalten.

Verfolgen Sie, was nach den jüngsten Familienfeiern zu Thanksgiving in USA passiert?

Ja, sicher. Doch es ist noch zu früh, dazu etwas zu sagen. Nächste Woche denke ich, dürften die Zahlen dort ansteigen. Aber wir müssen gar nicht so weit gucken: Am Black Friday waren auch unsere Malls erschreckend voll. Die Folgen werden wir auch hier sehen.

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Thema Gottesdienst: Könnten die zum Hotspot-Ereignis werden?

Nicht, wenn man sie mit viel Abstand und anderen Hygienemaßnahmen organisiert. Oder nach draußen verlegt – und das kann doch auch stimmungsvoll sein. Auf lautes Lobpreis-Singen aber sollte man unbedingt verzichten, das verteilt die Infektionen ganz fantastisch. Summen soll aber auch funktionieren…..

Werden die Zahlen im Januar wieder in die Höhe schnellen?

Davon würde ich ausgehen. Und dann muss man sehen, welche Einschränkungen man wieder intensivieren muss . Die Gesundheitsämter müssen die Infektionsketten nachverfolgen können und dafür dürfen die kritischen Werte nicht überschritten werden, Was wir in den letzten vier, sechs Wochen erlebt haben, geht nicht. Das war wirklich gefährlich.

Wer warnt, gilt schnell als Spaßbremse...

Wir wollen ja, dass die Leute Weihnachten feiern können. Aber mit Sinn und Verstand. Etwa überlegen: wie organisieren wir das Lüften, wo platzieren wir Opa, wo die Enkel.

Wie werden Sie persönlich feiern?

Wissen wir noch nicht genau. Aber die Großeltern in Norddeutschland werden wir vermutlich nicht sehen.

Und nächstes Jahr, werden wir dann wieder ein ganz normales Weihnachten haben?

Mit der Impfung wird sich viel verbessern. Ich fürchte aber, ganz ohne Einschränkungen wird es auch dann noch nicht gehen. Doch ich bin optimistisch, es folgt ein weiteres Jahr, um zu lernen.

>>>>>INFO

Dr. Folke Brinkmann ist kommissarische Leiterin der Abteilung Pädiatrische Pneumologie der Bochumer Universitätskinderklinik und Frontfrau zweier Studien zum Themen Kinder & Corona (CorKid und Stars).

In der Kinderklinik , berichtet sie, sei man bisher „glimpflich“ durch die Corona-Pandemie gekommen. Knapp 20 Patienten mussten bislang wegen des Virus behandelt werden, nur einer von ihnen auf der Intensivstation. Und: „Alle sind gut nach Hause gegangen!“

Für die Stars-Studie der Bochumer Kinderklinik sind in Kinderarztpraxen und Notfallambulanzen seit Mai knapp 4000 Kinder mit verdächtigen Symptomen wie Fieber oder Husten auf Corona getestet worden, 140 davon waren positiv. Lange lang die „Positiv-Quote“ weit unter 1 Prozent, Anfang Oktober stiegen die Zahlen, zunächst alarmierend rasant. Inzwischen habe man ein „solides Plateau von 10 Prozent erreicht“, so Brinkmann.

Ein gutes Dutzend Kinderarztpraxen in ganz NRW, das Institut für Humangenetik und das für Virologie an der RUB beteiligen sich an der CorKid-Studie Es ist die bundesweit größte, das Bundesforschungsministerium fördert das Projekt mit 566.000 Euro. Im Rahmen der regulären Vorsorge-Untersuchungen wird Kindern Blut für einen Antikörpertest abgenommen, insgesamt sollen 3000 Kinder (ohne Symptome) zwischen sechs Monaten und 18 Jahren untersucht werden. Finden sich Antikörper im Blut heißt das, sie haben (womöglich unbemerkt) eine Sars-CoV-2-Infektion hinter sich. Die Ergebnisse gehen direkt ans RKI. Die Teilnahme ist freiwillig. 1500 Bluttests sind bereits ausgewertet, nur 15 Ergebnisse waren bislang positiv – doch die Positiv-Quote stieg auch bei den „CorKids“ von 0,9 Prozent (Anfang Oktober) deutlich an. Seit der 41. Kalenderwoche liege man bei bei 1,7 Prozent, so die Koordinatorin der Studie, Folke Brinkmann.