Duisburg. Im Advent besinnt man sich wieder auf die Kirche; dabei traten noch nie so viele aus. Ein Redakteur erklärt seine Gründe – sein Pastor antwortet.

Ich glaube an Gott. Dass da eine höhere Macht über uns wacht, ist irgendwie ein tröstlicher Gedanke. Das Vertrauen in seine irdischen Stellvertreter habe ich verloren. Manchmal denke ich, Religionen richten nur Unheil an. Oder zumindest in ihrem Namen. Dieser Gedanke scheint kein Einzelfall: Nie zuvor traten laut Deutscher Bischofskonferenz mehr Christen aus der Kirche aus als im vergangenen Jahr – über eine halbe Million Protestanten und Katholiken .

Mich interessiert das Warum. Darum fange ich bei mir selbst an. Warum bin ich nach Jahrzehnten ausgetreten? Das wollte die Gemeinde mittels Formbrief auch erfahren. Meine Beweggründe habe ich „meinem Pfarrer“ schriftlich mitgeteilt – und erst später beschlossen, diesen persönlichen, sehr intimen Brief zu veröffentlichen. Auch wenn es inhaltlich teils arg zugespitzt sein mag, wurde nachträglich nichts verändert.

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Christian Schulte, Pastor der Gemeinden St. Ludger und St. Gabriel in Duisburg-Neudorf, hatte sich zunächst Zeit gelassen mit einer Antwort. Weil ich ihn, wie er im Gespräch offen zugestand, mit dem Schreiben auch ein bisschen irritiert hatte. Hier nimmt er die Gelegenheit zu einer Entgegnung an.

An Gott glauben und trotzdem der Kirche den Rücken kehren – dafür gibt es für manchen Gründen.
An Gott glauben und trotzdem der Kirche den Rücken kehren – dafür gibt es für manchen Gründen. © picture alliance/dpa | Ronny Hartmann

Meine Kirche hat keinen Platz für mein Kind

Sehr geehrter Herr Pfarrer Schulte, herzlichen Dank für Ihren Brief. Es ehrt Sie, sich nach meinen Motiven zu erkundigen. Vor allem mit dem Ziel, mit den Erkenntnissen weiter an Glaube und Gemeinde arbeiten zu wollen. Es ist bestimmt nicht leicht, vor Ort, wo anständige Arbeit geleistet wird, die Sünden der Anderen büßen zu müssen, um im kirchlichen Sprachbild zu bleiben.

Wie Sie sich sicher vorstellen können, habe ich den Schritt nach vielen Jahrzehnten der Mitgliedschaft nicht leichtfertig vollzogen. Lassen Sie sich versichern, dass es nicht an der in der Tat von mir reichlich entrichteten Kirchensteuer liegt – dann hätte ich das schon viel früher gemacht.

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Sie wollen wissen, was schließlich das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Dazu muss ich einlassen, dass ich mich ein wenig dafür schäme, dass es tatsächlich ein persönlicher Grund gewesen ist und nicht etwa die widerwärtigen Missbrauchsskandale, die so viele junge Leben zerstört haben, noch die immer noch vorhandene Prunksucht, die so gar nicht in die heutige Zeit passt. Ebenso übrigens wie die unverrückbare Position in den Fragen von Abtreibung und Zölibat oder etwa die priesterliche Weihe für Frauen.

Nein, wie so oft braucht es manchmal die individuelle Betroffenheit. So bin ich spät, aber glücklich Vater geworden. Und bei der Suche nach einem Kindergartenplatz dreimal mit meiner lieben Frau und dem kleinen Sohn vorstellig geworden in der katholischen Kita – bis man uns freundlich zu verstehen gab, dass wir uns dort keine Chancen ausrechnen sollten. Das war im Prinzip fair, so konnten wir notgedrungen alternativ Ausschau halten. Was mich dabei aber wirklich getroffen hat: dass meine Kirche keinen Platz für mein Kind hat! Das kann und soll nicht mehr meine Kirche sein. Verzeihen Sie die unangemessene biblische Analogie – aber wir kamen uns wirklich vor wie in Bethlehem.

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Und jetzt kommen wir vielleicht doch noch mal auf die Kirchensteuer zurück: so lange und so viel eingezahlt und so wenig zurückbekommen (einen Kita-Platz wohlgemerkt, den wir mit dem teuersten Satz bezahlen). Ein egoistisches Motiv, zweifelsohne. Aber so ist der Mensch, da bin ich kein Engel.

Es war mir aber wichtig, da Sie so nett nachgeforscht haben, Ihnen meine Beweggründe mitzuteilen. Es ist alles in Ordnung, so wie es nun ist: Ich glaube immer noch an Gott, auf meine Art, spende gutes Geld an lokale soziale Initiativen, um auch weiter meiner karitativen (Selbst-)Verpflichtung gerecht zu werden; und einen Kita-Platz haben wir auch – ironischerweise bei der anderen Konfession...

Wenn ich mir zum Abschluss diesen Hinweis noch erlauben darf: Das finale Fegefeuer Ihres Schreibens mit der Auflistung der Konsequenzen eines Austritts, auch wenn Sie rechtlich dazu verpflichtet sind, so ist es doch dramaturgisch fragwürdig. Ich meine, es sind doch genau diese von klein auf gelernten „Androhungen“, die einen unfrei werden lassen, die einem zwanghaften Normen (Stichwort Selbstbefriedigung) unterwerfen nach dem schrecklichen „sonst...“-Prinzip.

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Das ist wahrlich kein positiver Verstärker, das motiviert nicht, es verschreckt und setzt auf Einschüchterung durch schlechtes Gewissen. Die Kirche sollte aber etwas Positives haben, das Freiwillige, Verbindende. Das kann ich nicht mehr erkennen.

Redakteur Marc Oliver Hänig (49).
Redakteur Marc Oliver Hänig (49). © Funke Foto Services GmbH | Olaf Fuhrmann

Beim Kita-Platz spielt auch die Politik eine große Rolle

Pastor Christian Schulte: Gerne antworte ich aus der Sicht der Gemeinde vor Ort und eines Pastors, der sich offen und selbstkritisch mit der Situation der Kirche auseinandersetzt. Der Glaube an Gott sollte an erster Stelle stehen. So haben auch Sie Ihr Statement begonnen. Wenn eine Glaubensgemeinschaft unterwegs ist, kommen in ihr Menschen mit unterschiedlichen Vorstellungen und Bedürfnissen zusammen. Die Glaubensweitergabe ist dabei verbunden mit einer Gemeinschaftsbildung . Glauben und die Auseinandersetzung damit finden insbesondere in Gemeinschaft statt. So könnte Kirche sich im besten Falle auch immer wieder reformieren.

Dass Gemeinschaften, die belegbar viel Gutes tun, aber oftmals durch Skandale, Fehlentwicklungen und Strukturschwächen zurecht in die Kritik geraten, ist durchaus typisch. Dies soll allerdings keine Entschuldigung oder Rechtfertigung bedeuten. Die Kirche und alle, die zu ihr gehören, haben in den vergangenen Jahren sehr viel Vertrauen verloren und viele Menschen zum Austritt bewogen.

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Ich kann viele Ihrer Kritikpunkte nachvollziehen und auch selbst an dieser Kirche und ihren Verantwortlichen kritisieren. Hoffnungsvoll stimmt mich der aktuell begonnene „Synodale Weg“, bei dem durch eine breite Gruppe kritische Themen behandelt werden.

Das Bild vom kleinen Rädchen an dem großen Dampfer zeigt allerdings die Situation eines einzelnen Seelsorgers. Daher ist es mir wichtig, zumindest Kritikpunkte an unserer Arbeit vor Ort herauszufinden, gleichzeitig aber auf keinen Fall die Themen auf den übrigen Ebenen der Kirche ausblenden zu wollen.

Adventszeit, Kirchenzeit? Diese Frage beantwortet jeder Gläubige wohl für sich.
Adventszeit, Kirchenzeit? Diese Frage beantwortet jeder Gläubige wohl für sich. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Der Brief, den Sie nach Ihrem Austritt erhalten haben, dient dieser Absicht und kann es möglich machen, neu oder erstmalig ins Gespräch zu kommen. Es war schade, dass wir beide nicht vor Ihrem Austritt reden konnten, weder im Umfeld von Gottesdiensten oder Veranstaltungen, noch bei einem eigenen Termin. Einiges hätte sich vielleicht besprechen oder gar klären lassen.

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Sie hatten sich dann aber zu einer Antwort auf meinen Brief entschlossen, wofür ich dankbar bin. Leider nutzen die Wenigsten diese Möglichkeit. Umso hilfreicher war es, Ihre sehr konkreten Gründe zu erfahren. Obschon mich die Formulierungen und Zwischentöne zunächst irritiert und ich mich – das muss ich zugeben – auch verärgert hatten. Bei aller Freude über die Geburt Ihres Kindes fand ich den Vergleich zur Heiligen Familie in Betlehem ziemlich unpassend. Was diese Familie erleben und ertragen musste, steht aus meiner Sicht nicht im Zusammenhang mit Ihrer Situation. Dennoch ist es natürlich für Sie ärgerlich, wenn es mit dem Kindergartenplatz nicht geklappt hat.

Dabei spielt allerdings auch die politische Komponente eine große Rolle. In Duisburg beispielsweise werden Plätze nur über das Online-Verfahren vergeben. Als Kirche haben wir hier keinen Einfluss. Es freut mich, dass Sie einen Kita-Platz bei einer christlichen Kirche gefunden haben. Auch dort können Sie Ihren Glauben weitergeben.

Im Blick auf die Kirchensteuer haben wir unterschiedliche Auffassungen. Ich würde es anders beschreiben, was der Sinn der Kirchensteuer ist. Den veröffentlichten Geschäftsberichten des Bistums Essen können Sie die Verwendung entnehmen. Dort werden allein 19 Millionen Euro jährlich für Kitas eingeplant, ein Großteil für karitative Zwecke und Aufgaben in der Ausbildung und der Weltmission. Ich sehe dabei einen solidarischen Anspruch und weniger die Zielsetzung, möglichst viel von meiner gezahlten Kirchensteuer zurückzuerhalten.

Leider überwiegen für Sie die Austrittsgründe, was ich weiterhin bedauere, umso mehr, nachdem wir uns persönlich kennenlernen konnten.

Pastor Christian Schulte (55).
Pastor Christian Schulte (55). © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Rechtsfolgen bei Austritt

Aus der Kirche ausgetretene Personen dürfen die Sakramente der Buße, Eucharistie, Firmung und Krankensalbung – außer in Todesgefahr – nicht empfangen; können keine kirchlichen Ämter bekleiden und keine Funktionen in der Kirche wahrnehmen; können nicht Taufpate und nicht Firmpate sein; können nicht Mitglied in pfarrlichen und in diözesanen Räten sein (z.B. Pfarrgemeinderat und Kirchenvorstand); verlieren das aktive und passive Wahlrecht in der Kirche; können nicht Mitglied in öffentlichen kirchlichen Vereinen sein; zur kirchlichen Eheschließung muss zuvor eine Erlaubnis beim Ortordinarius eingeholt werden (diese setzt das Versprechen über die Bewahrung des Glaubens und die katholische Kindererziehung voraus); ebenso kann das kirchliche Begräbnis verweigert werden .

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