Essen. Gericht in Rheinland-Pfalz zweifelt an Verfassungsmäßigkeit des Scholz-Modells, das auch NRW nutzt. Diese Einsprüche gehen nun vor NRW-Gerichte.

Kippt das „Scholz“-Modell der Grundsteuerreform und damit auch das NRW-Modell? Der Steuerzahlerbund und der Eigentümerverband Haus & Grund gehen nach den ersten Eilentscheidungen in Rheinland-Pfalz fest davon aus. Das dortige Finanzgericht hatte zwei Einsprüchen stattgegeben und den Grundsteuerbescheid bis zur höchstrichterlichen Entscheidung durch den Bundesfinanzhof ausgesetzt (externer Link). In NRW sind mehr als eine Million Widersprüche gegen die Grundsteuerbescheide eingegangen.

„Die Argumente der Richterin des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz sind eins zu eins auf Nordrhein-Westfalen übertragbar“, sagte Rik Steinheuer unserer Redaktion, der Chef des Steuerzahlerbundes NRW. Zugleich kündigte er an, sehr bald zwei Musterklagen in NRW einzureichen, „das ist eine Frage von Tagen“. Man habe sie vorbereitet und sehe sich nun durch die erstinstanzlichen Entscheidungen in Rhein-Pfalz in der Auffassung bestätigt: „Das Bundesmodell ist verfassungswidrig.“

Das NRW-Finanzministerium hält dagegen, das sächsische Finanzgericht gehe von der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes aus. Sachsen praktiziert das Bundesmodell mit einigen Änderungen, NRW hat es komplett übernommen. Die FDP-Opposition im Landtag sieht sich durch die aktuellen Urteile aus dem Nachbarland in ihrer schon oft geäußerten Kritik am Scholz-Modell bestätigt. „Die Urteile sind logisch, zu erwarten gewesen und haben eine starke Signalwirkung“, sagte FDP-Fraktionsvize Ralf Witzel dieser Redaktion. Er rechnet fest damit, dass auch andere Bestandteile des NRW-Modells wie der Rabatt für Wohnungsgenossenschaften und die unterschiedliche Behandlung von Wohn- und Geschäftsgebäuden einer gerichtlichen Prüfung nicht Stand halten.

Steuerzahlerbund: Zwei NRW-Klagen werden in den kommenden Tagen eingereicht

Die beiden NRW-Klagen werden mit Unterstützung des Steuerzahlerbundes und des Verbands Haus & Grund bei den Finanzgerichten Düsseldorf und Köln eingereicht, kündigte Steinheuer an. Früher sei das im bevölkerungsreichsten Bundesland leider nicht möglich gewesen, „weil die Finanzverwaltung die Entscheidungen über die Einsprüche so lange hinausgezögert hat, wie es irgendwie ging“, kritisiert er.„Dabei benötigen die Steuerzahler und auch die Kommunen schnellstmöglich Rechtssicherheit.“

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NRW hatte wie Rheinland-Pfalz und sieben weitere Bundesländer das vom früheren Finanzminister und jetzigen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vorgelegte Bundesmodell für die Neuberechnung der Grundsteuer unverändert übernommen. Das könnte sich nun rächen, wie nach den ersten Urteilen im südlichen Nachbarland zu befürchten beziehungsweise aus Sicht vieler Eigentümerinnen und Eigentümer zu hoffen ist. Denn Barbara Weiß, die Vorsitzende Richterin am Finanzgericht Rheinland-Pfalz, äußerte in ihrer Begründung erhebliche Bedenken nicht nur in den beiden verhandelten Einzelfällen, sondern grundsätzlich an der Verfassungsmäßigkeit der neuen Grundsteuer-Regeln.

So müssten die Hausbesitzerinnen und -besitzer die Möglichkeit haben, abweichende Bodenrichtwerte darlegen zu können, zum Beispiel mit Gegengutachten. In einem Fall hätte das zu einer Abwertung des Standard-Bodenrichtwerts führen können. Der Eigentümer fordert einen 30-prozentigen Abschlag, weil das Wohnhaus in zweiter Reihe steht, nur über einen Privatweg zugänglich ist und die Freifläche eine starkes Gefälle hat. Trotzdem setzte das Finanzamt für seine rund 1000 Quadratmeter den vollen Bodenrichtwert an.

Richterin hat „ernste Bedenken“ an Verfassungsmäßigkeit des Scholz-Modells

Man habe ernste Bedenken, ob „die Regelungen des Bewertungsgesetzes überhaupt geeignet seien, eine realitäts- und relationsgerechte Grundstücksbewertung zu erreichen“, erklärte das Gericht in Neustadt an der Weinstraße. Auch wegen des zweiten Einspruch, dem es ebenfalls stattgab: Die Antragstellerin hält für ihr Haus den gesetzlich standardisierten Mietwert für überhöht, weil ihr unrenoviertes Altbauhaus aus dem 19. Jahrhundert noch einfach verglaste Fenster hat. Darin ließen sich keine Mieten erzielen wie in moderneren Häusern. Doch das Finanzamt wendete auch bei ihr den Standard-Bodenrichtwert an. Der entspreche nicht dem baulichen Zustand des Hauses, erklärte nun das Gericht.

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Weil das Scholz-Modell den individuellen Eigenschaften der Grundstücke und Häuser offensichtlich in vielen Fällen nicht gerecht wird, meldete die Richterin „ernstliche Zweifel sowohl an der einfachrechtlichen Rechtmäßigkeit der einzelnen Bescheide als auch an der Verfassungsmäßigkeit der zugrundeliegenden Bewertungsregeln“ an. Mit Verweis auf die zu erwartende Grundsatzentscheidung des Bundesfinanzhofs in München setzte sie die Steuerbescheide aus.

Steuerzahlerbund und Haus & Grund strengen bundesweit gemeinsam Musterverfahren an und hatten dazu geraten, Einspruch gegen die Grundsteuerbescheide einzulegen. Rik Steinheuer sieht nach den ersten Eilentscheidungen allen Grund für Optimismus, damit durchzukommen. Bis die Musterverfahren entschieden sind, wollen die Finanzbehörden in NRW ähnliche Einsprüche nicht bearbeiten. „Sobald Klage erhoben wird, kann die Finanzverwaltung Einsprüche gegen ähnlich gelagerte Fälle ruhend stellen“, bestätigte das Finanzministerium auf Nachfrage. Eigentümerinnen und Eigentümer können dann abwarten und letztlich von den Urteilen in den Musterverfahren profitieren, ohne selbst gegen abgelehnte Einsprüche klagen zu müssen.

NRW-Fall 1: Wenn der Nachbar gegenüber weniger zahlt

Dass die starke Vereinheitlichung der Grundsteuer-Berechnung im Scholz-Modell zu absurden Bewertungen führen kann, will der Steuerzahlerbund auch in beiden NRW-Fällen zeigen. In Köln geht es um ein Haus, für das ein höherer Bodenrichtwert gilt als für die Nachbarhäuser auf der anderen Straßenseite. Der Verband kennt auch ein Beispiel, in dem verschiedene Mietniveaus für ein und dieselbe Straße angesetzt wurden – weil sie zugleich die Stadtgrenze zwischen Köln und Bergisch-Gladbach markiert. Weil Köln als teurer gilt, zahlen die einen mehr Grundsteuern als ihre Nachbarn gegenüber – obwohl die tatsächlichen Mieten ähnlich sind.

Im Düsseldorfer Fall wird in einem Haus die kleinere Wohnung teurer bewertet als die größere. Grund sind die Grenzen, die für die Größe von Wohnungen gezogen werden, in diesem Fall bei 60 Quadratmetern. In kleineren Wohnungen steigt nach der Liste die Miete je Quadratmeter, das macht hier eine 58 Quadratmeter große Wohnung teurer als die zweite in dem Haus, die in die Spanne 60 bis 100 Quadratmeter fällt. Tatsächlich bringt die kleinere Wohnung dem Vermieter aber weniger ein.

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Dass nun in vielen Fällen die Grundsteuerbescheide ausgesetzt werden könnten, bereitet den Kommunen Sorgen vor Einnahmeverlusten. Ihnen ist wichtig, durch die Reform zumindest nicht weniger Steuern einzunehmen. Das von Scholz entwickelte Bundesmodell scheint aber gerade für kleinere Privathäuser oft eher eine Steuererhöhung zu bewirken, wie sich aktuell in Bochum zeigt. Die Stadt räumte jüngst ein, „dass ein Großteil der Steuerpflichtigen eine steuerliche Mehrbelastung durch die Reform erfahren wird“.

In Bochum steigt Grundsteuer für kleine Privathäuser

Das Finanzamt hat inzwischen für etwa 80.000 der 105.000 grundsteuerpflichtigen Grundstücke in Bochum die Messbescheiddaten ermittelt. Die Messbeträge, die multipliziert mit dem von der Stadt festgelegten Hebesatz die Grundsteuerbelastung ergeben, sinken demnach bei Geschäftsgrundstücken um 66 Prozent und bei gemischt genutzten Grundstücken um 47 Prozent. Bei Ein- und Zweifamilienhäusern zeichnen sich dagegen Steigerungen um sechs Prozent bei Einfamilienhäusern und um zwei Prozent bei Zweifamilienhäusern ab, bei unbebauten Grundstücken sogar um 32 Prozent.

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Auch im CDU-Stammland Südwestfalen wächst der Unmut über mögliche politische Schäden für die schwarz-grüne Landesregierung durch die Grundsteuerreform. In einem Brandbrief an Finanzminister Marcus Optendrenk machen die Bürgermeister von elf Kommunen aus dem Hochsauerlandkreis ihrem Ärger über die erwarteten Folgen der Reform für Hausbesitzer und ihre Mieter Luft. „Zum Erhalt des sozialen Friedens in unruhigen Zeiten“ fordern die kommunalen Spitzenpolitiker die Landesregierung unmissverständlich zu einer Gesetzesänderung auf. Die Verteilung der Steuerbelastungsveränderungen auf die einzelnen Grundstücksarten sei „inakzebtabel“, heißt es in dem Schreiben. Die Bürgermeister hatten berechnen lassen, wie sich die Grundsteuerbelastung künftig verändern wird. Das Ergebnis sei eine „erhebliche Verteilungsverschiebung“ der Steuerlast zu Ungunsten von Wohngebäuden.