Essen. Treibt die Grundsteuerreform die Wohnkosten auf breiter Front nach oben? Ein bislang wenig beachteter Faktor könnte dazu führen.
Neuer Wirbel um die Grundsteuer: Unter Hauseigentümern und in den Kommunen wächst die Sorge, dass die mit großem Aufwand betriebene Reform der Grundbesitzabgabe zu einem massiven Anstieg der Wohn- und Mietnebenkosten auf breiter Front führt – und nicht wie bislang angenommen nur in Einzelfällen.
Unterschiedlichen Bewertungsmethoden für Gewerbe- und für Wohngrundstücke
Als Auslöser für diese Entwicklung gilt eine bislang wenig beachtete Systematik des in NRW angewandten Bundesmodells der Reform: die unterschiedlichen Bewertungsmethoden für Gewerbe- und für Wohngrundstücke. Ausschlaggebender Faktor dabei ist die so genannte Alterswertminderung. Sie greift ausschließlich bei der Ermittlung des Grundsteuerwerts für gewerblich genutzte Gebäude. Dort könne sie zu einem Abschlag von bis zu 70 Prozent führen, selbst wenn Gebäude nicht älter als 40 Jahre sind, schätzt der Steuerzahlerbund NRW (BdSt).
In Stichproben teilweise drastisch
Einen entsprechenden Minderungsfaktor gibt es bei überwiegend zu Wohnzwecken genutzten Gebäuden nicht. Unterm Strich könnten die neuen Steuerwerte für Gewerbegrundstücke dadurch im großen Stil sinken, während gleichzeitig die Bewertung von Wohngebäuden tendenziell steigt, glaubt BdSt-Experte Hans-Ulrich Liebern. Nach Informationen der Redaktion soll die Abwertung von Gewerbeimmobilien in Stichproben teilweise drastisch ausfallen.
Schwarzer Peter für die Städte?
Das eigentliche Problem liegt aber am Ende bei den Städten. Um durch die Abwertung der Gewerbeimmobilien keine Einbußen gegenüber den bisherigen Grundsteuereinnahmen hinnehmen zu müssen, wären die Kommunen im Gegenzug gezwungen, ihren für das gesamte Stadtgebiet einheitlich bindenden Hebesatz massiv heraufzusetzen. Die Folge: Für Wohnhäuser und Eigentumswohnungen gäbe es dann durch die Bank kräftige Aufschläge, während die Abgabe beispielsweise für eine Lagerhalle im Gewerbegebiet gleich hoch bliebe oder sogar sinken würde.
Forderung: NRW-Finanzministerium soll Steuermesszahlen für Wohnimmobilien anpassen
„Wir haben die Befürchtung, dass es im Zuge der Grundsteuerreform zu einer massiven Kostenverschiebung zu Lasten von Wohngrundstücken und zugunsten von Gewerbeimmobilien kommt“, bestätigte der Vorsitzende des Verbandes Wohneigentum NRW, Peter Preuß, der Redaktion. Passe das NRW-Finanzministerium die Steuermesszahlen für Wohnimmobilien nicht an, treibe die Grundsteuerreform selbst bei der vielversprochenen Aufkommensneutralität die Kosten fürs Wohnen in die Höhe, so Preuß. Hintergrund der Sorge sind Rückmeldungen aus der Mitgliedschaft des Verbandes, der rund 136.000 Grundeigentümer an Rhein und Ruhr vertritt.
"Grundsteuer-Daten noch nicht aussagekräftig genug"
Auch die Kommunen sind alarmiert. Der Städtetage NRW betonte zwar, dass die bisher vorliegenden Grundsteuer-Daten noch nicht aussagekräftig genug für eine klare Tendenz in der Sache seien. Dennoch haben einzelne Städte mögliche Konsequenzen bereits durchgerechnet. Städtetags-Geschäftsführer Helmut Dedy schickt denn auch vorsorglich ein Warnsignal an die Landespolitik. Es müsse vermieden werden, sagte Dedy im Gespräch mit dieser Redaktion, dass es durch die Reform zu einer Lastenverschiebung zwischen Wohn- und Geschäftsgrundstücken komme „und womöglich Wohngrundstücke stärker belastet werden als Geschäftsgrundstücke“.
Dem Vernehmen nach wird in den Rathäusern zudem als besonders heikel eingeschätzt, dass die neue Grundsteuer erstmals im Jahr der nächsten Kommunalwahl 2025 erhoben wird und viele Bürgerinnen und Bürger ihrem Ärger über höhere Grundbesitzabgaben an der Wahlurne Luft machen könnten. Die Grundsteuer betrifft auch alle Mieter, weil sie in der Regel auf die Nebenkosten umgelegt wird.
FDP fordert "Korrekturfaktor"
Bestätigt sieht sich auch die Landtags-FDP. Sie fordert schon länger einen „Systemwechsel“ bei der Umsetzung der Grundsteuerreform in NRW. „Dass die Grundsteuerreform nach dem Bundesmodell das Wohnen verteuert, hätte der Finanzminister voraussehen müssen“, sagte Fraktionsvizechef Ralf Witzel der Redaktion. Er forderte einen „Korrekturfaktor“ für Wohngrundstücke nach dem Vorbild anderer Bundesländer. Das NRW-Finanzministerium betonte indes auf Anfrage, dass Aussagen zu etwaigen Belastungsverschiebungen derzeit nicht getroffen werden könnten.
Bewertungsgrundlage von Grundstücken und Immobilien ist jahrzehntealt
Die Grundsteuer muss in einem aufwendigen Verfahren bundesweit neu berechnet werden. Anlass ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2018. Es verpflichtet den Gesetzgeber, die jahrzehntealten Bewertungsgrundlagen von Grundstücken, Häusern und anderen Immobilien auf den aktuellen Stand zu bringen.
Für die Umsetzung der Reform müssen bundesweit mehr als 35 Millionen Grundstücken neu bewertet werden. Gelingt das nicht, dürfen die Kommunen die Grundsteuer nach dem bestehenden System ab Januar 2025 nicht mehr erheben. In den Kommunalhaushalten brächen dadurch über Nacht Millionen-Einnahmen weg.