Rhein-Ruhr. Handwerk, Pflege, IT: Wo der Bewerbermangel groß ist, lassen sich Firmen immer mehr Anreize einfallen - von Chefarztbehandlung bis Fitnessstudio.
Der branchenübergreifende Fachkräftemangel veranlasst Arbeitgeber, immer mehr besondere Leistungen für Mitarbeiter zu schaffen. „Um stark gefragte Talente zu finden, bieten Unternehmen immer häufiger Anreize an – von Fitnessstudio-Mitgliedschaften über Hilfe bei der Kinderbetreuung bis gesundheitlichen Zusatzleistungen“, sagt Anika Jansen vom Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) am Institut der deutschen Wirtschaft.
Chefarztbehandlung für Mitarbeiter
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Dass gesundheitliche Leistungen wie eine betriebliche Krankenzusatzversicherung als Lockmittel für Fachkräfte hoch im Kurs stehen, zeigen auch jüngste Zahlen vom Verband der Privaten Krankenversicherung. Demnach gab es Ende 2019 insgesamt 10.200 Betreibe in Deutschland, die ihren Beschäftigten Versicherungen mit Leistungen wie Chefarztbehandlungen oder Einzelbettzimmern angeboten haben. Im Jahr davor waren es nur 7700. Parallel dazu ist die Zahl der zusätzlich versicherten Beschäftigten in den vergangenen Jahren stark gestiegen. 820.000 Arbeitnehmer gab es bis Ende 2019, 2015 waren es 575.000. Von einem Ende des Trends ist nicht auszugehen: Betriebliche Krankenzusatzversicherungen werden inzwischen als steuerbegünstigte Sachbezüge eingestuft.
Der Maschinenbau-Mittelständler Spaleck aus Bocholt hat Zusatzversicherung als Anreiz für Mitarbeiter bereits 2009 entdeckt, als es angesichts der Weltfinanzkrise „schwierig wurde, noch höhere Gehälter anzuvisieren“, erzählt Gabi Mumbeck, Assistentin der Geschäftsleitung. „Es war eine Möglichkeit, uns von Mitbewerbern abzuheben.“ Die Mitarbeiter von Spaleck erhalten für jeden Tag im Krankenhaus ein Tagegeld und eine betriebliche Zahnzusatzversicherung. Kurz nach Etablierung der Versicherungen wurde ein „Gesundheitszirkel“ mit Fitnessstudio und Yoga- bis Kampfsportkursen auf dem Betriebsgelände eingerichtet. „Gerade bei jungen Bewerbern merkt man, dass solche Soft Skills einen immer wichtigeren Baustein darstellen“, so Mumbeck.
Hohe Prämie für Pfleger
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Laut einer aktuellen Studie des KOFA kommunizieren allerdings die wenigsten Unternehmen derartige Sonderleistungen offen. „Unternehmen sollten aktiver mitteilen, was sie ihren Mitarbeitern bieten – gerade in stark nachgefragten Berufen wie Softwareentwickler oder Mechatroniker“, sagt Studienautorin Anika Jansen. Während nur 14 Prozent der regulären Mitarbeiter besondere Anreize angeboten bekommen, werden solche Leistungen fast für die Hälfte der dringend gesuchten Talente bereitgestellt, heißt es in der KOFA-Studie. Was das für Anreize sind, kann je nach Branche sehr unterschiedlich sein.
Altersvorsorge wichtig, Firmenhandy nicht
Das GenY-Barometer der Jobbörse Absolventa und des Marktforschungsunternehmens Trendence hat 2018 Berufseinsteiger zu ihren favorisierten Anreizen bei der Jobsuche befragt. Die betriebliche Altersvorsorge gehörte dabei für die meisten (81 Prozent) zu einem wichtigen Anreiz, dahinter folgten vermögenswirksame Leistungen (62%) sowie kostenlose Getränke und Obst (58%).
Als weniger wichtig bewerteten die Befragten Anreize wie Job-Tickets (50%), Firmenwagen (41%), Mitarbeiterrabatte (39%) und ein Firmenhandy (27%).
In der Pflege machten zuletzt die Kliniken Maria Hilf in Mönchengladbach mit fünfstelligen Antrittsprämien für Pflegekräfte branchenintern von sich reden. Die Prämien seien inzwischen eingestellt, über Details wollten sich die Kliniken auf Anfrage nicht äußern. Konkurrenten sehen derartige Sonderanreize kritisch. „Der Effekt von solchen Einmalzahlungen verpufft sehr schnell“, sagt Marc Raschke, Sprecher des Uniklinikums Dortmund, wo man stattdessen hofft, mit flexiblen Arbeitszeitmodellen neue Pflegekräfte zu locken. Ludger Risse, Chef vom Pflegerat NRW, hält beispielsweise Förderungen von dienstlichen E-Bikes, wie sie im Katholischen Klinikverbund Hellweg in Unna angeboten werden, für eine „gute Möglichkeit, Anreize zu schaffen.“ „Von dem Angebot profitieren unsere Pfleger besonders, weil sie meist ortsnah leben“, heißt es aus Unna.
Der wöchentliche Obstkorb
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Bei Neubewerbern im Handwerk „geht immer noch viel über Dienstwagen und -handy“, sagt Lena Schulz, Unternehmensberaterin bei der Handwerkskammer Dortmund. „Allerdings experimentieren auch hier immer mehr Unternehmen mit zusätzlichen Anreizen.“ Gesundheitliche Zusatzleistungen würden dabei mehr und mehr ein Thema, prognostiziert Schulz. „Auf einer Baustelle macht es schnell die Runde, wenn eine andere Firma mehr bietet als die eigene.“ Dazu versuche man gerade in Branchen, in denen mehr Frauen arbeiten, über flexible Arbeitszeit oder Notfall-Kinderbetreuung Bewerber zu überzeugen – im Friseurhandwerk beispielsweise.
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In der IT-Branche konkurrieren Firmen auf einem internationalen Stellenmarkt, weshalb sie besondere Kreativität an den Tag legen, um Mitarbeiter zu ködern – bis zu virtuellen Begehungen des zukünftigen Büros, samt Namensschild auf der Bürotür. Aber auch hier seien der wöchentliche Obstkorb, das Job-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr oder Kita-Zuschüsse ein wichtiges Thema, sagt Lucia Falkenberg, Personalexpertin beim Internetwirtschaftsverband Eco. „Oft sind es die kleinen Dinge, die Mitarbeiter weitererzählen und die beste Werbung für neue Bewerber sind.“