Mülheim. . Beim Aerial Yoga wird mit bunten Tüchern und in luftigen Höhen trainiert. Der Trend soll Körper und Geist in Einklang bringen.
Mit einem schnellen Handgriff löst Jina Oh (gr. Bild li.) den Knoten, das bunte Tuch gleitet von der Decke ihres Yoga-Studios hinab. Ein prüfender Blick – ja, der fließende Stoff endet etwa auf Hüfthöhe der 48-Jährigen. Sie schlüpft in die Schlaufe des trapezförmigen Tuches, streckt ihre Arme im Stehen aus und führt die Handflächen über den Kopf. Kurz verharrt die Yoga-Lehrerin in dieser Position, bevor sie in einer tiefen Verbeugung mit den Handflächen den Boden berührt. Der spielt beim Fitness-Trend Aerial Yoga allerdings nur eine Nebenrolle. Protagonist ist das Tuch, das Jina Ohs Becken beim Sonnengruß die ganze Zeit gestützt hat.
Kindheitserinnerungen wecken
Gleich mehrere der flatterhaften Helfer hängen unter der Decke im Mülheimer Studio „Bliss Yoga“. Regelmäßig finden in dem lichtdurchfluteten Raum Aerial-Yoga-Kurse und Einsteiger-Workshops statt, in denen die Teilnehmer auf Tuchfühlung gehen können. „Manche müssen allerdings erst ihre Angst überwinden und merken, dass es durch die Tücher keine Gefahr gibt“, erklärt Studio-Inhaberin Jina Oh. Selbst dann nicht, wenn man kopfüber nur eine Haaresbreite über dem Boden schwebt. So wie es Jina Oh und Aerial-Yoga-Lehrerin Sabrina Pompe (33, Bild rechts) vormachen.
Die beiden halten sich an den Händen und schaukeln langsam aber sicher los. Gibbelnd schwingen sie immer höher. „Einmal ausprobiert, verbinden viele Aerial Yoga schnell mit Erinnerungen aus der Kindheit und haben dann einen riesigen Spaß daran“, weiß Jina Oh. Stimmt, wer hat als Kind nicht wie eine Fledermaus am Klettergerüst gehangen und den Spielplatz perspektivisch auf den Kopf gestellt?
Fast wie Fledermäuse
Um die Kindheitserinnerungen weiter anzufachen – beim Aerial Yoga gibt es sogar eine Figur, die sich die Fledermaus nennt. Dabei hängen die Profis waagerecht mit Blick zum Boden im Tuch, das den Körper an Schultern und Beinen umschlingt und hält. Um so durch den Raum zu flattern, ist Körperspannung gefragt. „Man muss sich ständig neu ausbalancieren. Das Tuch stützt, ist aber gleichzeitig auch instabil“, erklärt Jina Oh. Der ständige Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung kann nicht nur für ein Muskelkätzchen, sondern einen ausgewachsenen Muskelkater sorgen. „Gleichzeitig ist diese Form des Yoga aber auch besonders gelenkschonend und rückenfreundlich.“
Die Steigerung der körperlichen Fitness und der Gelenkigkeit seien jedoch nur gerngesehene Nebeneffekte, so die Expertinnen. Der Fokus liegt, wie bei anderen Formen des Yoga auch, auf der Bewusstseinserweiterung. „Es geht um die Erfahrungen im Tuch und mit dem eigenen Körper – einfach mal in sich hören und los lassen“, erklärt Oh. Nur nicht zu wörtlich nehmen, sonst könnte der glänzende Studioboden doch näher kommen als gewollt.
Schon gewusst?
Indien ist das Heimatland des Yoga. Dessen Philosophie hat Wurzeln, die im Hinduismus und Teilen des Buddhismus liegen. Aus dem Altindischen übersetzt bedeutet Yoga so viel wie Joch. Ein Joch verbindet Tiere mit einem Karren. Beim Yoga wird ebenfalls eine Bindung geschaffen – zwischen Anspannung und Entspannung.
Das Tuch,mit dessen Hilfe die Yoga-Übungen ausgeführt werden, kann bis zu 400 Kilogramm halten. Jedes Tuch wird vor dem Beginn einer Trainingsstunde auf die entsprechende Körpergröße der Teilnehmer individuell angepasst.
Übungen des Aerial Yoga gibt es auch als Pendant auf dem Boden. Kopfstände und Handstände sind auf der Matte allerdings deutlich anstrengender als im Tuch. Im hängenden Zustand kann das Körpergewicht abgegeben werden. Zudem sorgen die Umkehr-Übungen dafür, dass die Rückenwirbel auseinander gezogen und entlastet werden.