Essen. Wirtschaftskriminelle haben im vergangenen Jahr in Deutschland einen Schaden von 3,82 Milliarden Euro verursacht - rund zwei Prozent mehr als 2012. Dabei wird der Betrug mit Arzt- und Krankenhausrechnungen zu einem immer größeren Problem. Kassen setzen deshalb eigene Fahndungsgruppen ein.

Der Betrug mit falschen oder überzogenen Ärzte-, Klinik- und Pharma-Abrechnungen wird zu einem Problem für viele Krankenkassen und Selbstzahler. Denn die Zahl der von der Polizei und Staatsanwaltschaften aufgedeckten Fälle kennt seit 2012 nur einen Trend: nach oben. Auch die Kassen warnen in letzter Zeit verstärkt vor Betrügern. Sie haben eigene Fahndungsgruppen eingesetzt.

Im neuen Lagereport des Bundeskriminalamtes (BKA) zur Wirtschaftskriminalität heißt es beim Thema Abrechungsbetrug: „2013 wurden 4697 Fälle registriert. Das ist nicht nur ein Anstieg um sieben Prozent. Die Fallzahl liegt zudem über dem Mittelwert der letzten fünf Jahre“.

Ermittlungen gegen elf Beschuldigte rund um Dortmund

Der jüngste Vorgang: Die Staatsanwaltschaft in Dortmund ermittelt gegen elf Beschuldigte, darunter neun Ärzte aus Gemeinschaftspraxen in Dortmund, Unna und Bönen. Der Kassenärztlichen Vereinigung war vor zwei Jahren bei Routinekontrollen aufgefallen, dass die Mediziner doppelt abgerechnet haben müssen. Nach der Durchsicht von 150 000 Unterlagen stehen die Staatsanwälte kurz vor dem Ermittlungsabschluss.

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Diese Form der Kriminalität im Gesundheitswesen stelle „eine besonders sozialschädliche Form der Wirtschaftskriminalität dar“, so BKA-Chef Jörg Ziercke. Denn neben hohen Schadenssummen gebe es „negative Auswirkungen auf die Integrität des Gesundheitswesens“.

Mindestens 41 Millionen Euro Schaden

Der festgestellte Schaden lag 2013 bei 41 Millionen Euro. Das ist weniger als im Vorjahr. Aber es gibt eine riesige Grauzone, und auch die Daten von BKA und Versicherungen unterscheiden sich gewaltig: Nach Kassen-Erhebungen hat es in den letzten Jahren mehrere Zehntausend Betrügereien gegeben. Offiziell werden sie „Fehlverhalten im Gesundheitswesen“ genannt. Dahinter verbergen sich Fälle bei den Abrechnungen von Ärzten, Apothekern, Sanitätshäusern, Therapeuten, Hebammen, Krankengymnasten, Pflegediensten oder auch ganzen Kliniken.

Die Kasse DAK beispielsweise ermittelte durch ihre Fahnderteams, dass Trickser den größte Schaden bei der Abrechnung von Arznei- und Verbandmitteln anrichten. Hilfs- und Heilmittel stehen auf Platz 2 – noch vor dem Betrug durch Ärzte. Insgesamt, glauben die Kassen-Ermittler, seien Trickser im weißen Kittel zwar kein Massenphänomen. Es handele sich aber auch „nicht um Einzelfälle“.

Die Bundesregierung will gegenhalten. Gesetze sind in Vorbereitung. Schon im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass Ärztekorruption künftig strafrechtlich verfolgt werden kann.

Weitere Brennpunkte im BKA-Lagebericht zur Wirtschaftskriminalität: 

Die Straftaten, die zuletzt ermittelt werden konnten, sind zwar auf 71 663 zurückgegangen. Der Gesamtschaden ist aber gestiegen, liegt bei 3,82 Milliarden Euro. Er sei auch „nur teilweise abgebildet“, sagt das BKA. Durch Wirtschaftskriminalität könnten ganze Branchen in Verruf geraten. Jörg Ziercke: „Die Lage insgesamt ist geprägt durch eine hohe Dunkelziffer“. Interessant: Die Aufklärungsquote bei bekannt gewordenen Fällen ist mit über 90 Prozent sehr hoch. Denn wer – anders als bei Überfällen und Einbrüchen - betrogen worden ist, kennt meist den Betrüger beim Namen.

Immer wieder Enkeltrick

Besondere Arbeit haben den Fahndern zuletzt die Täter der „Enkeltricks“ gemacht und der Betrügereien am Telefon. Wichtige Spuren führen hier nach Polen und in die Türkei. Beispiel Telefon-Betrug: Aus türkischen Call-Centern wird den Opfern angekündigt, sie hätten viel Geld gewonnen. Um den Preis zu erhalten, sollten sie aber vorab Gebühren und Steuern entrichten. Natürlich ist nie ein Preis ausgezahlt worden.

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Was erstaunt: Eine Million Bundesbürger sind seit 2008 auf diese Masche hereingefallen. Noch erstaunlicher: Sie haben insgesamt 117 Millionen Euro an die Betrüger verloren.

Nicht anders geht es bei den Enkeltricks zu. Der vermeintliche Enkel ruft bei „Oma“ an, weil er in Geldnot stecke. Er brauche ihre Hilfe. 1,7 Millionen Euro haben sich die Täter auf diese Weise im letzten Jahr ergaunert. Die deutschen Sicherheitsbehörden haben aber in Zusammenarbeit mit ihren polnischen Kollegen auch Erfolge zu verzeichnen. Im Nachbarland wurden sechs Verdächtige, darunter Clanchefs der Banden, verhaftet. Drei von ihnen sind nach Deutschland ausgeliefert worden.

Weniger reine Internetkriminalität

Bei klassischen Wirtschaftsdelikten zeigen sich Anstiege im Bereich des Anlagebetrugs (plus 17 Prozent) und bei Untreue bei Kapitalanlagen (plus 27 Prozent) ab. Dabei geht es aber oft um Großverfahren - wie jetzt in Frankfurt, wo Polizeiexperten wegen des Verstoßes gegen das Kreditwesengesetz ermitteln.

Reine Internetkriminalität geht dagegen seit mehreren Jahren zurück. 2013 sind knapp 40 000 Fälle festgestellt worden. Das sind 20 Prozent weniger als 2012.

Das Bundeskriminalamt setzt darauf, dass die Politik die Gesetze gegen Geldwäsche verschärft und auch die Beschlagnahme von Vermögen erleichtert, sagt BKA-Chef Ziercke.