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Die deutsche Ärzteschaft ist schwer empört über einen „Fahndungsaufruf“ des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen (GKV). Der Verband bittet auf seiner Internetseite Patienten darum, „Fehlverhalten“ von Medizinern zu melden, um gegen Abrechnungsbetrug, Untreue und Korruption vorgehen zu können. Andreas Köhler, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), sagte gestern, damit werde zur Verunglimpfung von Ärzten und Psychotherapeuten aufgerufen. Wütend ist Köhler insbesondere über die Formulierungen „Tatort, Tatzeit und tatverdächtige Person“, die sich in einem Online-Formular für Hinweisgeber finden. Diese seien polemisch und „suggerieren direkt ein schweres Verbrechen“, so Köhler. Der Aufruf steht schon seit Längerem auf der Internetseite des GKV-Spitzenverbandes, in jüngster Zeit hätten sich aber die Beschwerden von Ärzten darüber gehäuft, sagte gestern ein KBV-Sprecher.

Die Erregung über den Aufruf fällt in eine Zeit, in der die Politik über die Verschärfung der Gesetzgebung gegen Korruption im Gesundheitswesen nachdenkt. Mitte vergangenen Jahres hatte der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass niedergelassene Ärzte sich nicht wegen Bestechlichkeit strafbar machen, wenn sie Geschenke von Pharmaunternehmen annehmen, da sie keine Beauftragten der Krankenkassen seien; ein Beschluss, der für einigen Unmut gesorgt hatte. Der GKV-Spitzenverband fordert „klare gesetzliche Regelungen“, die diesen Zustand beenden. Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) will das über das Sozialgesetzbuch regeln. Das reicht der Politik allerdings nicht. So fordert die SPD, dass große Korruptionsfälle strafrechtlich verfolgt werden sollen. Karl Lauterbach, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, sagte der NRZ, er wünsche sich, dass die Krankenkassen sich dieser Forderung anschlössen, anstatt Patienten dazu aufzurufen, Ärzte zu denunzieren. Der Vorgang sei „kein Ruhmesblatt“ für den GKV-Spitzenverband.

Die Krankenkassen haben in den vergangenen Jahren ihrerseits die Jagd auf die schwarzen Schafe im Gesundheitswesen verschärft und eigene Fahnder auf sie angesetzt. 2010 und 2011 haben sie 53 000 Verdachtsfälle von Betrug und Fehlverhalten verfolgt. Seit das von den Ärzten kritisierte Formular im Netz steht, sollen laut GKV-Spitzenverband die Hinweise zugenommen haben.