Essen. . Nach Nokia wird nun Outokumpu eiskaltes Management aus Bochum vorgeworfen. Einige Gewerkschaftler und Politiker haben die Nase voll vom “Finnen-Kapitalismus“. Woher dieses Bild kommt – eine Analyse.
Er ist wieder da im öffentlichen Diskurs: der Finne. Auferstanden nach dem angekündigten Vertragsbruch des Edelstahl-Riesen Outokumpu, der seine Bochumer Schmelze nun schon 2014 schließen will. Wie vor fünf Jahren, als Nokia sein Bochumer Handy-Werk schloss, greifen Politiker wieder zu Verallgemeinerungen. „Jetzt hab’ ich aber vom Finnen-Kapitalismus die Nase voll“, sagte Bochums SPD-Chef Thomas Eiskirch. Das Problem sei, „dass es Finnen sind“, hört man auch in Gewerkschaftskreisen.
Gibt es ihn wirklich, den „Finnen-Kapitalismus“? Als Nokia ging, wurde er mit dem „Manchester-Kapitalismus“ verglichen, der so etwas wie einen Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht kannte. Olli-Pekka Kallasvuo, der damalige Nokia-Chef, trug den Beinamen „Mr. Schweigsam“. Und wenn er über zu hohe Personalkosten dozierte, klang das tatsächlich so eiskalt wie sein Land.
Die „Subventionsheuschrecke“
Nokia hatte sich seinerzeit im Gegenzug für Landessubventionen verpflichtet, 2850 Arbeitsplätze in Bochum langfristig zu halten. 2008 zogen die Finnen nach Rumänien weiter. Der damalige Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) schimpfte über die „Subventionsheuschrecke“. Im rumänischen Cluj wurden Nokia auf 30 Jahre die Immobiliensteuern erlassen. Drei Jahre hätten gereicht, denn 2011 verließ Nokia auch Rumänien.
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Damals wie heute wird kritisiert, die finnischen Manager würden die Arbeitnehmervertreter nicht ernst nehmen. „Outokumpu hat ein Unternehmen gekauft, ohne sich mit den Gepflogenheiten auseinanderzusetzen. Bei uns bringt sich die Arbeitnehmerschaft ein, die Finnen wollen aber alles zentral regeln“, sagt Bernd Kalwa, der 2012 als Gesamtbetriebsratschef die Übernahme-Verhandlungen begleitete.
Tarifvertrag als "härtestes Band" - und jetzt gilt es nicht?
Er war schon damals gebranntes Kind. Denn Outokumpu hatte bereits 2003 die Grobblech-Sparte von Nirosta samt 200 Mitarbeitern übernommen und versprochen, sie auszubauen. Stattdessen wurde sie 2006 geschlossen. „Damals hatten wir nur eine Betriebsvereinbarung, deshalb wollten wir 2012 unbedingt einen Tarifvertrag, das härteste Band, das es gibt“, sagt Kalwa, „jetzt soll auch das nicht mehr gelten.“
Nur: An fehlender finnischer Gewerkschaftskultur kann das nicht liegen. Drei von vier Arbeitnehmern sind dort organisiert, so viele wie in kaum einem anderen Land. Dem steht allerdings eine ausgeprägte Manager-Kultur gegenüber. Deren enormes Selbstbewusstsein entwickelte sich in den 90er-Jahren mit den internationalen Erfolgen heimischer Hightech-Industrien.
Ihre Lobbyarbeit trug maßgeblich zu einer Liberalisierung der zuvor streng regulierten finnischen Wirtschaft bei. Nokia wurde ein globaler Konzern, getragen von großen US-Investmentbanken und Fonds, der sehr früh in aller Welt produzieren ließ. Andere folgten. Mit diesem neuen Selbstbewusstsein traten die einst von Selbstzweifeln geplagten Finnen fortan auch im Ausland auf.
Das Finnland-Bild der Deutschen
„In den Augen finnischer Firmenlenker ist das wichtigste Charakteristikum eines erfolgreichen Chefs, jederzeit schwierige Entscheidungen zu treffen“, heißt es in einer Masterarbeit an der Germanistik-Fakultät der Uni Helsinki. Sie trägt den schönen Titel „Finnen-Bashing und Bindestrich-Kapitalismus“ und untersucht das Finnland-Bild der Deutschen nach der Nokia-Werksschließung in Bochum.
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Darin werden Vorurteile zu entkräften versucht, teils aber auch bestätigt. Etwa das vom „schweigsamen Finnen“. Zitiert wird eine finnisch-schwedische Studie, nach der die schwedische Firmenkultur mehr Wert darauf legt, alle Akteure, auch die Arbeitnehmer, umfassend einzubeziehen. In Finnland dagegen konzentriere man sich darauf, die richtige Entscheidung zur richtigen Zeit zu treffen, worunter die Kommunikation mitunter leide. Hiesige Gewerkschafter würden das wohl unterschreiben.
Sie werfen „den Finnen“ zudem eine einseitige Orientierung an den Aktionären vor. Outokumpu-Chef Mika Seitovirta nannte neben den gravierenden Schwierigkeiten im europäischen Edelstahlgeschäft auch die „Shareholder“ als Grund dafür, dass er handeln, sprich sparen müsse. Aus Gewerkschaftskreisen war zuletzt immer wieder zu hören, der Vorstand sorge sich arg um die Laune der Aktionäre.
Thyssen-Krupp mit im Boot
Das kann bei den seit Jahren anhaltenden Verlusten allerdings kaum verwundern. Ein börsennotierter Konzern muss seinen Eigentümern zumindest die Perspektive bieten, wieder Gewinne zu machen, sonst verfällt sein Wert. Dies ist der große Unterschied zum „Fall Nokia“: Der Handykonzern schloss sein Bochumer Werk, obwohl er damals noch hohe Gewinne einfuhr. Outokumpu ist ebenfalls Marktführer in seinem Edelstahlgeschäft, schreibt aber massive Verluste.
Die Parallele zu Nokia lautet: Erst wird entschieden, dann verhandelt – und sei es der Bruch eines Tarifvertrags. Das zumindest hat die frühere Nirosta-Mutter Thyssen-Krupp bisher anders gehandhabt. Als 29-Prozent-Teilhaberin an Outokumpu sitzt sie nun freilich mit im finnischen Boot.